PRESSEFREIHEIT
Siebenpfeiffer-Preis für »Reporter ohne Grenzen«
Der Alarmruf aus Tschetschenien landet in einem graffitigestylten Kreuzberger Hinterhof: Mainat Abdulajewa muss aus dem Kriegsgebiet ausreisen. Die Journalistin, die auch für deutsche Zeitungen schreibt und ausländischen Kollegen bei Recherchen zur Hand geht, ist in Gefahr: Sie erhält Morddrohungen, in ihrer Wohnung erscheinen Bewaffnete, sie taucht unter. Von Berlin aus organisieren die Mitarbeiter von "Reporter ohne Grenzen" (ROG) "in einer Eilaktion", so Sprecherin Katrin Evers, für Abdulajewa ein Stipendium beim deutschen PEN-Zentrum.
Unter einem Plakat mit "fünf olympischen Handschellen", das angesichts der Spiele in Peking 2008 die Knebelung der Pressefreiheit in China anprangert, erzählt Evers auch von Sihem Bensedrine. Die Tunesierin, die in ihrem Online-Magazin die Regierung kritisiert, wird mehrfach verhaftet und auf der Straße schon mal verprügelt. Bei einem Aufenthalt in Deutschland gelangt sie dank ROG unter die Fittiche der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.
Auch wegen solcher Aktionen wurde die deutsche Sektion der ROG am Sonntag im saarländischen Homburg mit dem renommierten Siebenpfeiffer-Preis geehrt. Die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung, die zuvor etwa Carola Stern, Ralph Giordano, Jürgen Leinemann oder Heribert Prantl zuerkannt wurde, ist nach Philipp Jakob Siebenpfeiffer benannt, einem saarpfälzischen Bannerträger der Medienfreiheit vor der Revolution 1848. ARD-Chef Fritz Raff, in Homburg Jury-Präsident, lobt ROG als "Organisation, die wider den Stachel löckt". Die Siebenpfeiffer-Stiftung, die von südwestdeutschen Kreisen und Städten sowie mehreren Landesverbänden des Deutschen Journalistenverbands getragen wird, wolle "couragierte Verteidiger des Menschenrechts auf freie Meinungsäußerung" ehren.
Das Engagement für zensierte, inhaftierte, schikanierte oder von Mord bedrohte Journalisten bezeichnet Evers als "Sisyphusarbeit". Die ROG-Statistik weist für 2007 bereits 80 getötete Medienschaffende aus. 130 Journalisten und 64 Online-Dissidenten sitzen hinter Gittern. Zu den Erfolgen rechnet Evers die Freilassung von vier Journalisten, die auf den Malediven teils zu lebenslanger Haft verdonnert worden waren: ROG machte Druck bei der Regierung, protestierte zu deren Ärger auf der Berliner Tourismusbörse und mobilisierte die EU-Kommission. Erfreut zeigt sich Evers auch, dass "offene Briefe" an Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier Wirkung zeigen: Kanzlerin und Außenminister hätten in Russland, China, Usbekistan und Äthiopien eingekerkerten Medienschaffenden zur Freiheit verholfen.
In hundert Staaten melden Journalisten der ROG-Zentrale in Paris, dem Berliner Büro oder anderen Dependancen in Europa Verstöße gegen die Medienfreiheit. Auch auf diesem Netzwerk bauen die ROG-Ranglisten der Pressefreiheit auf, in denen fast 170 Nationen durchleuchtet werden.
Unter den üblen Missetätern finden sich aktuell unter anderem China, Kuba, Eritrea, Birma, Turkmenistan oder Russland. Auch Deutschland, auf Platz 20 eher unter den Musterknaben, wird nicht von Kritik verschont. Evers: "Telefonüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, die Aushöhlung des Quellenschutzes und Ermittlungen wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat bedrohen die journalistische Freiheit".
Angeklagten Journalisten in aller Welt hilft ROG, so Evers, "indem wir Rechtsanwälte vermitteln, Kautionen zahlen und Prozessbeobachter stellen". Neuerdings wird die Organisation dabei von einem prominenten Kuratorium unterstützt, zu dem neben Fritz Raff unter anderem auch Markus Schächter (ZDF), Dagmar Reim (RBB), Wilm Herlyn (dpa) und Giovanni di Lorenzo (Zeit) gehören.