Zehntausende vertauschter Stimmzettel in Dortmund. Briefwähler, die an der Wahlkabine abgewiesen werden. Beschwerden, dass Wahlzettel "gegen die guten Sitten" verstoßen, weil sie Anreden wie "Frau, Fräulein, Dame, Herr" nicht aufführen: Das sind nur drei der 195 Einsprüche, mit denen sich der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages nach der Bundestagswahl im September 2005 beschäftigen musste. Auch nach der Stimmabgabe am 27. September werden Hunderte von Beschwerden erwartet. Der CDU-Abgeordnete Thomas Strobl muss bei all dem die Übersicht behalten. Seit 2005 ist er Vorsitzender des neunköpfigen Ausschusses, der sich nach jeder Wahl neu konstituiert.
Seine Aufgabe: Prüfen, ob bei der Bundestagswahl alles mit rechten Dingen zuging. Gibt es Einsprüche, die zu Recht gegen die Vorbereitung und Durchführung der Wahl oder die Auszählung der Stimmen erhoben werden? Unter Vorsitz des direkt gewählten Heilbronner Abgeordneten Strobl gingen die sechs Vertreter der großen Koalition und drei der Oppositionsfraktionen bereits nach der vergangenen Wahl dieser Frage nach. Dass er sich zu Beginn der 1980er Jahre für ein Jurastudium in Heidelberg entschieden hat, habe ihm bisher stets geholfen, knifflige Probleme zu lösen, sagt Strobl. Denn bei der "hautnahen Beschäftigung mit staats- und verfassungsrechtlichen Fragen" seien gute Rechtskenntnisse von Vorteil.
Nach dem 27. September werden wahrscheinlich mehr Einsprüche eingehen als vor vier Jahren, vermutet er. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht schon im Vorfeld die Eilanträge der Freien Union der ehemaligen CSU-Politikerin Gabriele Pauli und der "P.A.R.T.E.I." des Satirikers Martin Sonneborn abgelehnt - beide Parteien wurden nicht zur Wahl zugelassen und wollten dies durch Eilanträge durchsetzen. Doch auch nach deren Ablehnung haben sie weiteren Einspruch angekündigt. "Eine einstweilige Verfügung wurde gerade mit dem Hinweis auf den Wahlprüfungsausschuss des Bundestages von den Richtern in Karlsruhe abgelehnt", sagt Strobl. So wird sich zunächst der Ausschuss damit beschäftigen, wie gerechtfertigt die Nichtzulassung der Freien Union, der "P.A.R.T.E.I." und anderer Kleinparteien war.
Was können kleine Parteien von der Prüfung im Bundestag erwarten? Schließlich wurden nach der Bundestagswahl 2005 alle Einsprüche als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Entweder, weil sie nicht durch Fakten gestützt wurden, oder weil selbst mögliche Mängel keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung gehabt hätten. Trotzdem ist das Beschwerdeverfahren nicht überflüssig, betont Thomas Strobl: "Wir gehen jedem Hinweis nach und unternehmen alle Anstrengungen, dass sich Wahlfehler nicht wiederholen." Wenn ein Beschwerdeführer mit der Entscheidung des Bundestages nicht zufrieden ist, kann er außerdem Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen. Die Arbeit im Wahlprüfungsausschuss sei nicht von parteipolitischen Überlegungen geprägt, sondern vom Bemühen, "richtungsweisende Entscheidungen" zu fällen, betont Strobl. "Jeder im Ausschuss weiß: Die Opposition von heute ist die Regierung von morgen - und umgekehrt."
Wenn die letzten Urnen ausgezählt sind, beginnt die Arbeit für den Ausschuss: Nach seiner Konstituierung werden sich die Mitglieder treffen, um über komplizierte oder auch nur kuriose Einsprüche zu diskutieren. "Immer wieder wird beispielsweise kritisiert, dass ein Bleistift in der Wahlkabine zahlreiche Manipulationsmöglichkeiten eröffne", erzählt Strobl. Doch die Möglichkeit allein reicht für eine erfolgreiche Anfechtung nicht. Beschwerden über das negative Stimmgewicht, die es nach 2005 gab, waren dagegen komplizierter: Als "staatsrechtliches Hochseil" beschreibt Strobl sie. Durch die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, bis 2011 eine neue Regelung zu finden, sei die aktuelle Wahl aber rechtlich so gut abgesichert wie keine zuvor. Wie viele Beschwerden er noch untersuchen will, hält sich Thomas Strobl offen: "Ich mache das Amt gerne, aber ob ich es in der nächsten Legislaturperiode noch ausübe, darüber unterhalten wir uns nach der Wahl."