MEINUNG
Eine Erstwählerin, ein Nichtwähler und ein Wähler der ersten Stunde über Vorfreude, Enttäuschungen und Rückblicke
Der 14. August 1949 war für mich ein sehr wichtiger Tag. Ich war damals 23 Jahre alt, arbeitslos und hatte vier Jahre Kriegsgefangenschaft in Kanada und Großbritannien hinter mir. Ein "normales" Leben hatte ich wie alle meine Altersgenossen nie kennengelernt, stattdessen Krieg, Tod, Zerstörung. Deshalb hatten die ersten freien Wahlen auf Bundesebene nach Kriegsende für mich wie für meine ganze Generation eine ungeheure Bedeutung. Wir waren überzeugt: Es kann nur besser werden, es kann nur aufwärts gehen. Indem wir erstmals in unserem Leben wählen durften, hatten wir die Möglichkeit, selbst etwas dazu beizutragen. Das war sehr aufregend.
Meine Stimme habe ich in einer Kneipe im niedersächsischen Northeim abgegeben, die zu einem Wahllokal umfunktioniert worden war. In der einen Ecke des Gastraums stand die Wahlkabine, in der anderen saßen die Leute und tranken ihr Bier. Einen Ansturm auf die Wahlurne gab es zwar nicht, aber es kamen schon eine Menge Wähler, um von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.
Die allgemeine Stimmung am Wahltag würde ich als abwartend bezeichnen. Vier Jahre nach Kriegsende herrschten noch immer Hunger und Wohnungsnot. Die Menschen wollten essen, trinken, sich anständig kleiden. Alles andere war zweitrangig. Die meisten begannen eigentlich erst ab 1950, wieder nach vorn zu schauen. Was die Demokratie und das parlamentarische System betrifft, herrschte damals weitgehend Zurückhaltung vor. Viele Ältere dachten: Wir schauen erst mal, was daraus wird.
Am Wahlabend habe ich mich mit Freunden getroffen, Kollegen aus der Gewerkschaftsbewegung, in der ich mich schon damals stark engagiert habe. Dieser Kreis von Gleichgesinnten war mir sehr wichtig. Uns trieb nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus das Ziel an, auf der Basis einer gerechten sozialen Ordnung eine friedfertige Gesellschaft zu schaffen.
Natürlich waren wir wahnsinnig gespannt, wie die Wahl ausgehen würde. Aber da mussten wir uns etwas gedulden. Das Ergebnis haben wir erst am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren. Fernsehen gab es damals ja noch nicht.
Obwohl die SPD mit Kurt Schumacher an der Spitze der Wahlprognosen gelegen hatte, haben Konrad Adenauer und seine CDU die Wahl gewonnen. Im Wahlkampf haben wir uns damals für die SPD engagiert, sind mit Wahlplakaten auf dem Rücken und vor der Brust durch die Straßen gelaufen. Das haben die Anhänger der anderen Parteien auch so gemacht. 1949 war ein richtiger Plakatwahlkampf.
Im Vorfeld der Wahl fanden auch viele politische Versammlungen statt, die meist gut besucht waren. 1949 sind ja 19 Parteien angetreten, und die haben vor allem mit solchen Versammlungen auf sich aufmerksam gemacht. Weil es eine Fünf-Prozent-Hürde nur auf Landesebene gab, sind elf von ihnen in den Bundestag eingezogen. Es gab auch schon wieder rechtsextreme Parteien wie die Sozialistische Reichspartei (SRP). Doch den Sprung in den Bundestag hat die SRP nicht geschafft.
78,5 Prozent der Deutschen sind übrigens damals zur Wahl gegangen. Das ist keine übermäßig hohe Quote, verglichen mit späteren Jahren. Für mich selbst war immer klar, dass ich wählen gehen würde. Meine Mutter hat das einmal sehr treffend ausgedrückt: Wahlrecht ist Wahlpflicht. Das gilt heute genauso wie damals. Es ist sehr wichtig, dass man die Mitsprachemöglichkeiten, die man hat, auch nutzt.
Heute ist die Einstellung der Deutschen zur Demokratie deutlich positiver als 1949. Doch die abnehmende Wahlbeteiligung der vergangenen Jahre macht mir Sorge. Es reicht einfach nicht, sich etwa in einer Bürgerinitiative für eine Verbesserung der Situation vor Ort einzusetzen. Man muss kontrollieren, ob und wie die eigenen politischen Vorstellungen auf überregionaler Ebene berücksichtigt werden. Und das geht nur, indem man wählen geht.
Ich wünsche mir, dass wir nicht noch einmal schlimme Erfahrungen machen müssen, um diese Lektion zu lernen.