Ein Blick auf die Fakten: Der medizinische Fortschritt macht es möglich, dass die Bürgerinnen und Bürger immer älter werden, ohne dass das Verhältnis zwischen Jung und Alt ausgeglichen werden kann. Vor 50 Jahren kamen auf zwei Senioren elf jüngere Menschen, heute liegt das Verhältnis bei etwa zwei zu sieben. Nach vorsichtigen Schätzungen der Demographen werden in fünfzig Jahren auf zwei alte Menschen, wenn die Geburtenrate weiter stetig sinkt, nur noch vier junge kommen. Um die aktuelle Bevölkerungszahl zu halten, müsste jedes deutsche Paar durchschnittlich also zwei Kinder in die Welt setzen. Unser Nachbar Frankreich kommt - dank kinder- und frauenfreundlicher Gesetze - immerhin auf 1,7 Kinder pro Paar.
Die wirtschaftlichen Folgen sind bekannt: Die Renten müssen über einen längeren Zeitraum ausgezahlt werden, die größer werdende Last wird auf immer weniger Schultern verteilt. Konkret bedeutet dies, dass in Deutschland künftig weniger Wohnungen gebaut, weniger Autos und Kühlschränke gebraucht und immer mehr Schulen geschlossen werden, während der Bedarf im Dienstleistungsgewerbe steigt: Die Zuwachsrate im Pflegesektor wird auf ein Prozent jährlich geschätzt, da ein älterer Mensch über achtmal mehr Krankheitskosten verursacht als ein jüngerer.
Wie die Folgen der Alterung zu dämpfen sind, wird hauptsächlich wirtschafts- und sozialpolitisch diskutiert: Der Wirtschaftssachverständige Bert Rürup und Bundesfamilienministerin Renate Schmidt haben Ende vergangenen Jahres ein Gutachten zur "nachhaltigen Familienpolitik im Interesse einer aktiven Bevölkerungsentwicklung" vorgestellt, das die Bedingungen für die Familiengründung in Deutschland überprüft und vor dem Hintergrund demographischer Trends und ökonomischer Auswirkungen Leitlinien für eine nachhaltige Familienpolitik entwickelt. Sie haben dabei eine neue Formel kreiert, die Bevölkerungsschrumpfung, Wirtschaftswachstumsraten und das Bruttosozialprodukt unter anderem durch Zuhilfenahme eines Kapitalkoeffizienten ins Verhältnis setzen und damit den ultimativen mathematischen Beweis erbringen wollen, dass Wirtschaftswachstum und gesellschaftlicher Wohlstand ohne Kinder nicht zu sichern sind.
Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass wir unter anderem neue, betriebliche Konzepte brauchen, die ältere Menschen und deren Kompetenzen gezielt einsetzen. Es plädiert für eine gesteuerte Zuwanderung und eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen, um den Arbeitskräftebedarf und die Produktivitätsentwicklung auf mittlere Sicht abzusichern. Das wichtigste jedoch sei eine Trendumkehr in der Geburtenentwicklung. Begründet wird dies damit, dass für den Staat und die Gesellschaft die so genannten "externen Effekte" von Kindern relevant seien. Nicht die Schrumpfung als solche sei also das Problem, sondern die zunehmende Alterung der Bevölkerung. Dieses Problem sei auch nicht durch kluge Sozial-, Bildungs-, Beschäftigungs- und Zuwanderungspolitik in den Griff zu kriegen, sondern nur durch eine Erhöhung der Geburtenrate und eine aktive Bevölkerungsentwicklung, denn Deutschland sei nicht kinderfeindlich, sondern nur "kinderfern".
An den bevölkerungspolitischen Implikationen des Rürup-Gutachtens scheiden sich die Geister: Tilman Mayer, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn, hält es in einer von pro familia initiierten Debatte für unseriös, den Gutachtern bevölkerungspolitisches Denken unseligen Angedenkens zu unterstellen, "weil die zuständige Ministerin, durchaus familienpolitisch-publizistisch ausgewiesen, davon weit entfernt ist". Kritische Stimmen halten nichts von einer ausschließlich ökonomisch orientierten Diskussion, die eine verdeckte Bevölkerungspolitik betreibt. Die Sachbuchautorin Claudia Pinl argumentiert in diesem Zusammenhang, dass entgangenes Einkommen (vor allem der Mutter) oft schwerer wiege "als zum Beispiel die Hoffnung, durch Kinder das eigene Leben zu bereichern". Interessant auch die Beobachtung von Christian Schmitt vom Berliner Wirtschaftsinstitut DIW, der herausfand, dass Kinderlosigkeit bei Männern weiter verbreitet ist als bei Frauen und dass die Wahrscheinlichkeit, als Mann mit über 45 erstmals Vater zu werden, gleich null ist. Die Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Mechthild Jansen sieht eine "Kapitalisierung der Kinder als Standortfaktor" voraus und bezweifelt, dass die Alterung der Gesellschaft eine Katastrophe sein soll: "Wenn das Leben sich verlängert, braucht eine Gesellschaft schlichtweg weniger Kinder." Christel Riedel vom Deutschen Frauenrat bemängelt an einer ausschließlich ökonomischen Betrachtungsweise, dass die tatsächlichen Wünsche der Menschen dabei zu wenig vorkommen. Wenn es so sei, dass die meisten jungen Frauen sich Kinder wünschen und diesen Wunsch mangels ausreichender Infrastruktur nicht nachgehen, dann müsse sich hier etwas ändern.
Bundesfamilienministerin Renate Schmidt zitierte bei der Zertifikatsverleihung zum Audit Beruf & Familie Ende Juni in Berlin die Schweizer Prognos AG, die errechnet habe, dass die durchschnittliche Rendite auf Investitionen in Familienfreundlichkeit 25 Prozent beträgt und dass damit in der Kosten-Nutzen-Relation der betriebswirtschaftliche Nutzen auch kurzfristig betrachtet die Investitionen deutlich übersteigt: "Familienpolitik ist ,harte' Wirtschaftspolitik, denn niedrige Geburtenraten bedeuten schon heute niedrige Wachstumsraten und werden nach Schätzungen der OECD ab 2005 dazu führen, dass unser Wirtschaftswachstum auf 0,5 Prozent statt der möglichen 2,3 Prozent absinken wird." Und weiter: Familienpolitik sei auch "harte" Bildungspolitik, denn ohne ausreichende und frühe Förderung in den Familien und ausreichende Betreuungseinrichtungen könnten die Zukunftschancen unserer Kinder nicht verwirklicht werden.
Die Frage, ob mehr Kinder aus ökonomischer Sicht das Wirtschaftswachstum sichern, scheint also vordergründig leicht mit Ja zu beantworten zu sein. Eine Studie des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und demographischer Wandel (MEA) kommt jedoch zu einem differenzierteren Ergebnis: Kurzfristig würde eine Steigerung der Geburtenrate sogar zu mehr Kosten anstatt zum Anwachsen des Bruttonationaleinkommens pro Kopf führen. Erst sehr langfristig, das heißt, in den Jahren 2020 bis 2040 könne sich der Effekt einer steigenden Geburtenrate bemerkbar machen - allerdings nur dann, wenn es sich bei den Kindern, die dann zur Welt kämen, um besser ausgebildete handelt, die als produktives Humankapital Wirkung auf die Einkommen und die Arbeit pro Kopf zeitigen.
Fest steht: Investiert werden muss auf jeden Fall - vor allem in Erziehung, Bildung und Betreuung; Bereiche, in denen die öffentlichen Aufwendungen für Kinder in Deutschland im internationalen Vergleich beschämend niedrig sind. Nach dem neuen "Tagesbetreuungsausbaugesetz" sollen die selbst notleidenden Kommunen für die Vervierfachung der Betreuungsplätze jährlich bis zu 1,5 Milliarden Euro ausgeben. Investiert werden müsste nicht zuletzt in die familiengerechte Veränderung der Arbeitsbedingungen in Betrieben und Unternehmen, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu bewirken. Unter dem Dach der "Allianz für die Familie" sollen sich neuerdings mittelfristig starke Partner aus Wirtschaft, Verbänden und Politik zusammenfinden, um Initiativen für eine bessere Balance von Familie und Arbeitswelt zu bündeln. Das Leitbildpapier dieser Allianz basiert auf dem unermüdlich wiederholten Konsens, dass wir eine höhere Geburtenrate, qualifizierte Arbeitsplätze, mehr erwerbstätige Frauen und dass Kinder eine frühe Förderung brauchen.
Das alles ist richtig, reicht aber sicher immer noch nicht aus, damit Frauen überhaupt oder mehr Kinder bekommen. Bei der Entscheidung für oder gegen ein Kind zählen neben den subjektiven finanziellen und den gesellschaftlich-ökonomischen Gründen zahlreiche nicht berechenbare Motive und auch das Recht auf Familienplanung. Es besagt, dass Frauen und Männer das Recht haben, über die Zahl ihrer Kinder und den Zeitpunkt ihrer Geburt frei und verantwortlich selbst entscheiden zu können und sich dabei nicht unter Druck setzen zu lassen - auch nicht von einer Gesellschaft, die um ihren materiellen Wohlstand fürchtet. Wenn es stimmen sollte, dass nach einer US-Studie ein höheres Einkommen weder mehr Sex noch mehr Sexualpartner verschafft, müssen wir uns als Folge wohl mit sinkendem Einkommen und weniger Wirtschaftswachstum einrichten.
Gundel Köbke ist freie Journalistin in Berlin.