Das Parlament: Frau von der Leyen, als Familienministerin müssen Sie fast Ihren gesamten Haushalt für vom Bund festgeschriebene Pflichtaufgaben ausgeben. Welche Familienpolitik können Sie da überhaupt noch auf Länderebene gestalten?
Ursula von der Leyen: Familienpolitik gestalten heißt für mich nicht, diese mit Pflichtaufgaben gleichzusetzen. Manchmal braucht man einfach gute Ideen, die sich ohne großen finanziellen Aufwand, aber mit viel Wirkung umsetzen lassen. Ich will Ihnen das am Beispiel des Themas Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich machen. Ich habe gemeinsam mit den Unternehmerverbänden Niedersachsens eine groß angelegte Initiative gestartet, mit der wir gemeinsam praktische Beispiele in die kleinen und mittleren Unternehmen tragen, wie man mit verschiedenen Bausteinen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert. Davon profitieren alle. Die Eltern, weil sie merken, dass ihre Erziehungsleistung anerkannt wird. Die Unternehmen, weil sie motivierte und leistungsbereite Mitarbeiter halten. Die Gesellschaft, weil zufriedene Eltern meist gute Eltern sind und weil (hoffentlich) mehr junge Paare wieder die Zuversicht haben, Kinder in die Welt zu setzen und dennoch an der modernen Arbeitswelt teilhaben zu können.
Das Parlament: Ihr Ziel ist es, Familien zu stärken. Deshalb haben Sie unter anderem den Familien-TÜV für Gesetze eingeführt. Das heißt, Gesetze werden zukünftig auf ihre Auswirkungen auf die Familien überprüft. Wie erfolgreich war dieser TÜV denn bisher?
Ursula von der Leyen: Der Familien-TÜV ist sehr wichtig, weil wir ein Umdenken in der Gesellschaft brauchen. Kinder müssen willkommen sein, und wenn wir dies erreichen wollen, müssen wir als Gesetzgeber zumindest damit anfangen, in dem wir alle Gesetze daraufhin checken, wie sie sich auf Familien auswirken. Ein konkretes Beispiel ist die Verwaltungsreform in Niedersachsen. Ich habe meinen Kollegen, Innenminister Uwe Schünemann gebeten, darauf zu achten, dass bei Standortwechseln von Behörden Familien nicht benachteiligt werden. Ich hielte es für unvertretbar, wenn Eltern ihre Arbeit aufgeben müssten, weil sie wegen der längeren Anfahrtszeit zur Arbeit keine Betreuungsmöglichkeiten mehr haben. Der Familien-TÜV sensibilisiert also, bei der Entwicklung und Umsetzung von Gesetzen immer die Belange von Familien im Auge zu behalten
Das Parlament: Sie fordern bessere Betreuungsmöglichkeiten, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leichter gelingt. Wie weit sind Sie selbst mit der Umsetzung dieser Forderung in Niedersachsen gekommen?
Ursula von der Leyen: In meinem Ressort qualifizieren wir beispielsweise Tagesmütter. Ich meine, dass dadurch ein Beschäftigungsfeld erschlossen werden kann, das bisher noch zu wenig genutzt wird. Wir haben in Niedersachsen in diesem Jahr mehr als 300 Ganztagsschulen eingerichtet, und auch die Zahl der Kindergärten steigt stetig an. Neben der Betreuung ist es wichtig, den Müttern den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern. Das Sozialministerium begleitet zum Beispiel Programme, in denen allein erziehenden Sozialhilfeempfängerinnen ohne Schulabschluss in Zusammenarbeit mit der Kommune und den Kammern eine Ausbildung in Teilzeit ermöglicht wird. Diese Frauen haben mit einem qualifizierten Abschluss eine echte Chance, den Wiedereinstieg zu schaffen.
Das Parlament: In Ihrem Ministerium gibt es seit April das "Eltern-Kind-Büro". Dort sollen Eltern arbeiten können - mit dem Kind zusammen, wenn die Betreuung woanders ausgefallen ist. Wie ist das Büro von Eltern wie Kollegen ohne Kinder im Ministerium angenommen worden?
Ursula von der Leyen: Das Eltern-Kind-Büro wird insgesamt gut angenommen. Sicher ist es nicht jeden Tag besetzt, doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sehr positiv auf die Möglichkeit reagiert, ihre Kinder nun einfach mitbringen zu können - und zu wissen, die Kinder sind bei uns willkommen. Wenn die Kinderbetreuung ausfällt, können die Eltern ihren Nachwuchs mitbringen - in ein Büro, in dem neben dem vernetzten Arbeitsplatz Spielzeug, Bücher und viele andere Dinge für die Kinder sind. Wenn die Eltern dann auch nur ein Viertel ihrer Arbeitskraft einsetzen, haben wir alle gewonnen. Und die Eltern sind von dem Zwang und Konflikt befreit, sich selbst krank zu melden, wenn die Betreuung ausfällt.
Das Parlament: Kann die Idee des "Eltern-Kind-Büros", deren Realisierung sich so selbstverständlich anhört, für ganz Deutschland beispielgebend sein?
Ursula von der Leyen: Ich würde mich freuen, wenn diese einfache und doch effektive Möglichkeit auch in anderen Einrichtungen oder Behörden Nachahmer findet. Es kann für die Eltern nur eine Entlastung sein, und den jeweiligen Betrieb belastet es nicht, im Gegenteil - es verbessert das Betriebsklima.
Das Parlament: Sie wollen einen Gegensatz - sagen wir aus der Gedankenwelt der Deutschen - schaffen. Wie kann es denn gelingen, das Vorurteil abzubauen, dass eine Frau mit Kindern zwischen berufstätiger Rabenmutter und Heimchen am Herd wählen muss?
Ursula von der Leyen: Wir müssen begreifen, dass Kinder die zwingende Vorraussetzung für Innovation, die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes und die Zukunft der Sozialsysteme sind. Deshalb müssen wir denjenigen, die sie erziehen, einen höheren Stellenwert beimessen. Für die Arbeitswelt bedeutet das: Kinder müssen zum Vorteil werden. Manche Arbeitgeber haben bereits erkannt, dass die hohen sozialen und emotionalen Kompetenzen von Eltern für den Betrieb Vorteile bringen. In anderen europäischen Ländern gelten Kinder als Karrieremotor, da anerkannt wird, dass berufstätige Mütter belastbar, effizient und hervorragend organisiert sind. Für die Mütter, die eine Auszeit für die Erziehung ihrer Kinder nehmen, muss es mehr Gerechtigkeit in den Sozialsystemen geben, die sie ja erst durch die Kindererziehung zukunftsfähig machen. In der Rente und in der Pflege muss ein Bonus pro Kind und Monat aus Steuermitteln gezahlt werden, denn ohne Kinder werden diese Systeme in der nächsten Generation nicht mehr existieren. Ich favorisiere, diese Leistungen in einem hohen, transparenten Kindergeld zu bündeln. Damit geht die finanzielle Anerkennung der Erziehungsleistung direkt an die Erziehenden und wertet ihre Arbeit auf.
Das Parlament: Sie haben in Niedersachsen den Wettbewerb "Niedersachsen - Kinderland, Familienland" ins Leben gerufen. Was soll der Wettbewerb bewirken und auslösen?
Ursula von der Leyen: Der Wettbewerb prämiert ehrenamtliches Engagement zugunsten von Familien. Die Resonanz ist enorm. Wir haben über
300 Bewerbungen gehabt. Mich hat vor allem die Vielfalt und der Phantasiereichtum der Bewerbungen beeindruckt. Ich wünsche mir, dass von dem Wettbewerb Anerkennung für die ehrenamtliche Leistung ausgeht, aber auch Information darüber, wie viel ein jeder mit kreativem Einsatz für Familie bewirken kann.
Das Parlament: In der laufenden Legislaturperiode sollen nach Ihren Vorstellungen bis zu 50 Mehrgenerationenhäuser in Niedersachsen initiiert werden. Woher kommt die Idee, das Geld dafür, und inwiefern können mit diesem Konzept Familien gestärkt werden?
Ursula von der Leyen: Die Idee für die Mehrgenerationenhäuser gründet sich auf meine Erfahrungen in einer Großfamilie. Ich habe in meinem Elternhaus mit meinen sechs Geschwistern erfahren, wie viele Alltagskompetenzen, "Instinkt" in der Erziehung, Kulturtechniken unbemerkt in einer Großfamilie von Generation zu Generation weitergegeben werden. Und ich habe die gewaltigen Kräfte der Hilfe zur Selbsthilfe in einer Großfamilie erlebt. Dies möchte ich in Form moderner Sozialpolitik in der heutigen Zeit mit den Mehrgenerationenhäusern wieder beleben. Hier treffen sich Menschen aller Generationen, um den Tag miteinander zu verbringen. Altenbegegnung, Jugendtreff, Mütterzentrum, Krabbelgruppe, Selbsthilfegruppen - wir bündeln dies unter einem Dach. Jeder kann etwas einbringen, jeder kann profitieren. Das Land finanziert die Stelle zur zentralen Organisation - aber der Betrieb läuft weitgehend selbst organisiert. In den Mehrgenerationenhäusern engagieren sich ganz unterschiedliche Träger. Das geht vom Deutschen Roten Kreuz über das kommunale Dorfgemeinschaftshaus bis zur Diakonie oder zu einem örtlichen Verein. Mehrgenerationenhäuser sind die positive Antwort auf den Wandel der Familienstrukturen. Die hohen Bewerbungszahlen haben alle meine Erwartungen übertroffen, zeigen aber auch, dass wir mit dem Konzept einem Bedürfnis nach Gemeinschaft und kluger Arbeitsteilung den richtigen Rahmen geben.
Das Parlament: Sie haben selber sieben Kinder. Wann und wie kümmern Sie sich um Ihren Nachwuchs, und welche Rolle spielt auch Ihr Mann dabei?
Ursula von der Leyen: Mein Mann übernimmt genau dieselbe Verantwortung in der Kindererziehung wie ich. Wir jonglieren unsere Terminkalender möglichst so, dass immer einer von beiden zur Verfügung steht. Ich blocke feste Zeiten für unsere Kinder. Der Morgen gehört bis neun erst den Gymnasialkindern, dann den Grundschulkindern und danach den Kindergartenkindern - so haben alle ein gemeinsames Frühstück mit mir. Zweimal in der Woche essen wir gemeinsam Mittag und mein Büro darf nicht mehr als drei Abende in der Woche verbuchen. Der Sonntag ist tabu. Hinzu kommt, dass mich die größeren Kinder oft im Ministerium nach der Schule besuchen und bei mir Hausaufgaben machen. Wenn ich interessante Veranstaltungen für Kinder habe, nehme ich gerne meine eigenen mit.
Das Parlament: Sie sagen über sich selbst, dass sie durch die Berufstätigkeit eine bessere Mutter sind, weil sie glücklich nach Hause kommen und ihren Kindern etwas geben können. Eine sicher moderne Haltung für eine Politikerin innerhalb der Union. Welche Reaktionen erleben Sie mit dieser Haltung?
Ursula von der Leyen: Anfangs ist mir viel Skepsis, gelegentlich auch Ablehnung entgegengebracht worden: "Wie wollen Sie das denn schaffen? Da muss doch was zu kurz kommen!" Aber inzwischen erlebe ich, dass ich durch meine Lebensform auch anderen Mut mache. Wenn ich dazu beitragen kann, die Einstellung dahingehend zu verändern, dass gesagt wird: Wir wollen Kinder, also schaffen wir den Rahmen, dass Menschen mit Kindern auch die Wahlfreiheit haben, so zu leben, wie sie es sich wünschen - dann ist viel gewonnen.
Das Parlament: Haben Sie einen Rat für akademisch gebildete Mütter, wie sie selber eine sind, die im Beruf auf Probleme stoßen, einfach weil sie zum Beispiel auf verlässliche Arbeitszeiten angewiesen sind oder schrittweise ins Aus gedrängt werden, weil Informationen an Ihnen vorbeifließen?
Ursula von der Leyen: Freundlich, aber bestimmt und mit Selbstbewusstsein verbalisieren, dass die Kinder einen berechtigten Raum in ihrem Leben einnehmen. Ich habe mich früher nie getraut darauf zu pochen, dass ich gehen muss, weil die Kinder warten und stattdessen "Termine" vorgeschützt. Dies führt zu dem Gefühl von Zerrissenheit - und warum eigentlich die Kinder verleugnen? Inzwischen sage ich aufrichtig, dass ich zum Beispiel nach einer Rede nicht mehr zur Podiumsdiskussion bleibe, weil ich nach Hause zu den Kindern will, und es wird akzeptiert. Wenn die Arbeitsabläufe so gestaltet sind, dass man Infos nicht mitbekommt, sollte man das offen ansprechen und darauf drängen, dass Updates am Vormittag stattfinden. Und sich niemals ein schlechtes Gewissen einreden lassen - das Thema demographischer Wandel ist in aller Munde. Diese Mütter und Väter sind der Garant dafür, dass wir ihn beherrschen.
Das Interview führte Ines Gollnick.