Für die Entwicklungsländer dieser Welt sind die Millenniums-Entwicklungsziele ein Potenzial, mit dessen Hilfe eine breite Palette von Meinungsführern und Entscheidungsträgern zur Unterstützung einer gemeinsamen Entwicklungsagenda zusammengebracht werden können. Inzwischen sind die Millenniums-Entwicklungsziele zu den zentralen Schwerpunkten der internationalen Entwicklungspolitik geworden. Sie haben dazu geführt, dass Entwicklungspolitik als solche und entwicklungspolitische Probleme stärkere Beachtung finden und Einzug in alle anderen Politikfelder gefunden haben. Auch für die deutsche Entwicklungspolitik, sei es in ihrer internationalen, in ihrer europäischen oder in ihrer bilateralen Arbeit, bilden die MDGs (Millennium Development Goals) den verbindlichen Orientierungsrahmen.
Die MDGs sind das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses in der internationalen Entwicklungspolitik. Sie haben eine vorher nicht vorhandene Grundlage und Verpflichtung für die Partnerschaft zwischen entwickelten Staaten und Entwicklungsländern geschaffen. Die politische Bedeutung der Millenniumserklärung und der Entwicklungsziele liegt vor allem darin, dass sie in den Entwicklungsländern einen Diskussionsprozess zwischen Regierung und Zivilgesellschaft angestoßen und das Reformtempo beschleunigt haben. Auch der Dialog der Industrie- mit den Entwicklungsländern über Wege aus der Armut hat sich deutlich intensiviert.
Schließlich wird im Herbst 2005 im Rahmen der 60. Generalversammlung der Vereinten Nationen, wiederum mit den Staats- oder Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, eine umfassende Bestandsaufnahme der Fortschritte stattfinden, die zwischen 2000 und 2005 erreicht werden konnten.
Schon heute ist klar, dass es großer Anstrengungen aller bedarf, alle Entwicklungsziele zu erreichen. Die Weltgemeinschaft steht vor einer enormen Herausforderung. Das zentrale Ziel immerhin - die Halbierung des Anteils der Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen - wird wahrscheinlich erreicht werden. Das ist vor allem auf große Erfolge bei der Armutsbekämpfung in Asien (China, Indien, Vietnam) zurückzuführen. Ebenso wird es nach derzeitigem Trend gelingen, den Anteil der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser um die Hälfte zu senken.
Die Unterschiede bei der Zielerreichung sind zwischen den verschiedenen Weltregionen und Ländern jedoch enorm. Die größten Schwierigkeiten zeigen sich in Afrika südlich der Sahara, insbesondere in Ländern mit Konfliktsituationen. Aber es gibt auch Erfolgsbeispiele. Einige afrikanische Staaten sind auf gutem Wege, ausgewählte MDGs zu erreichen, zum Beispiel Tansania bei der Trinkwasserversorgung, Uganda, Mosambik und die Kapverden bei der Primarschulbildung oder Malawi und Eritrea bei der Senkung der Kindersterblichkeit.
Bereits auf dem Millenniums-Gipfel kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder für Deutschland einen eigenen und sichtbaren deutschen Beitrag zur Umsetzung der Millenniumserklärung an: Das deutsche "Aktionsprogramm 2015" zur globalen Armutsbekämpfung, dass im April 2001 vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Dieses Aktionsprogramm beschreibt den deutschen Beitrag zur Umsetzung der MDGs. Das Aktionsprogramm folgt dem Leitbild einer global nachhaltigen Entwicklung, die sich in wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, sozialer Gerechtigkeit, Beachtung der ökologischen Tragfähigkeit und politischer Stabilität ausdrückt.
Es bekräftigt die Armutsbekämpfung als überwölbende Aufgabe der deutschen Entwicklungspolitik. Dabei wird ein erweiterter Armutsbegriff zugrunde gelegt: Armut bedeutet nicht nur geringes Einkommen, sondern auch geringe Chancen und Beteiligungsmöglichkeiten im politischen und wirtschaftlichen Leben, besondere Gefährdung durch Risiken, Missachtung der Menschenwürde und Menschenrechte sowie fehlender Zugang zu Ressourcen.
Armutsbekämpfung ist aber auch eine politische Frage. Es geht darum, sowohl die wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten als auch den politischen Einfluss armer Bevölkerungsgruppen auszuweiten. Ohne Frieden und Sicherheit, ohne Demokratisierung und verantwortliche Regierungsführung, ohne die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Geschlechter und gleiche, gesicherte Rechte aller Menschen und ohne den Zugang zu Ressourcen, Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen, kann Armut nicht nachhaltig reduziert werden. Nachhaltige Armutsbekämpfung erfordert demnach vor allem die Entwicklung wirkungsvoller Institutionen.
Nur wenn die institutionellen Rahmenbedingungen Mindestanforderungen genügen, kann ein Land attraktiv für private Investoren aus dem In- und aus dem Ausland werden und so langfristig von Entwicklungshilfe unabhängig werden. Die deutsche Entwicklungspolitik hat daher im internationalen Vergleich einen deutlichen Schwerpunkt auf die Förderung von institutionellen Entwicklungsvoraussetzungen und "good governance" gelegt.
Die deutsche Bundesregierung und insbesondere das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat seit der Verabschiedung der MDGs 2000 in unterschiedlichen Handlungsfeldern bereits deutliche Initiative ergriffen:
Eine großangelegte Informationskampagne zum Fairen Handeln ("fair feels good") wurde Ende vergangenen Jahres gestartet, um zweierlei zu erreichen: Den Marktanteil des Fairen Handels in Deutschland als einen direkten Beitrag zur Armutsbekämpfung massiv auszuweiten und darüber hinaus weite Teile der deutschen Verbraucher für globale Zusammenhänge und die Millenniumsziele zu sensibilisieren. Nach Schätzungen profitieren mittlerweile 800.000 zumeist kleinbäuerliche Familien vom Fairen Handel - aber das Potenzial ist weitaus größer.
Der bilaterale Schuldenerlass durch Deutschland auf Basis der Kölner Gipfelbeschlüsse beträgt insgesamt rund sechs Milliarden Euro. Deutschland trägt zudem national und über die EU einen erheblichen Anteil der Kosten für die Erlassmaßnahmen der internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere der Weltbank. Die Erfolge des Schuldenerlassprogramms sind höchst bemerkenswert: In den Ländern, denen nach Erfüllung der Voraussetzungen die Schulden erlassen wurden, steigen die Sozialausgaben für Bildung, Gesundheit und so weiter ganz erheblich an: in Uganda, Bolivien, Mozambique, Tansania, Burkina Faso, Mauretanien, Bali und Benin laut Weltangaben von insgesamt 5,8 Milliarden US-Dollar im Jahresdurchschnitt 1999/2000 auf 9,2 Milliarden US-Dollar im Jahresdurchschnitt 2002 bis 2005.
Die Bundesregierung beteiligt sich an der Education for All Fast Track Initiative. Die deutsche Förderung konzentriert sich auf diejenigen Länder, in denen die Grundbildung der vereinbarte Schwerpunkt für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist. Das sind derzeit Mozambique, Guinea, Honduras und Jemen. In Mozambique zum Beispiel nimmt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) die Führungsrolle bei der Koordinierung der Geberaktivitäten in diesem Bereich ein und beteiligt sich maßgeblich an der Entwicklung eines gemeinsamen Finanzierungsfonds.
Mit Hilfe dieser Unterstützung ist es Mozambique zwischen 1990 und 2002 gelungen, die Zahl der Kinder in der Grundschule um eine Million zu erhöhen, sodass heute alle Kinder die Grundschule besuchen können. Im Schwerpunktland Jemen konnte mit deutscher Hilfe die Einschulungsrate zwischen 1990 und 2001 von 57 auf 78 Prozent erhöht werden, wobei jetzt wesentlich mehr Mädchen als vor zehn Jahren eine Schule besuchen.
Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr insgesamt 300 Millionen Euro für die AIDS-Bekämpfung in Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt. Der Globale Fond zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria wird bis 2007 mit 300 Millionen Euro unterstützt werden. Thailand und Uganda zum Beispiel sind Länder, in denen es gelungen ist, die Ausbreitung von HIV/AIDS einzudämmen.
In diesem Bereich hat sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit seit Jahren im besonderem Maße engagiert. Das Engagement wurde dadurch nochmals akzentuiert und konkretisiert, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter als einer der zehn Ansatzpunkte im Aktionsprogramm 2015 aufgenommen wurde; denn wir sehen hierin einen Schlüsselfaktor zur Reduzierung der weltweiten Armut. Deutschland unternimmt - auch mit Sondermitteln - besondere Anstrengungen, die Gleichstellung der Geschlechter in die nationalen Armutsbekämpfungsstrategien der Partnerländer aufzunehmen.
Der Förderbereich Wasser ist für die Erreichung der MDGs besonders wichtig, weil er nicht nur die Sicherung von Nachhaltigkeit im Umweltbereich betrifft, sondern auch für die Erreichung der Ziele in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Bildung relevant ist. Deutschland ist weltweit der zweitgrößte bilaterale Geber im Wassersektor mit einem jährlichen Fördervolumen von 350 Millionen Euro. Wir haben deshalb mehrere Konferenzen mitorganisiert und Initiativen ergriffen mit dem Ziel, den Zugang armer Bevölkerungsgruppen zu Wasser und sanitärer Basisversorgung zu verbessern.
Zu nennen sind die internationale Süßwasserkonferenz 2001 in Bonn, der beim G8-Gipfel in Evian 2003 verabschiedete Wasseraktionsplan und der G8-Afrika-Aktionsplan.Darüber hinaus unterstützt Deutschland mit 117 Millionen Euro die EU-Wasserfazilität, die mit einem Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro insbesondere in Afrika Projekte zur Trinkwasserversorgung finanziert.
Die Internationale Konferenz für Erneuerbare Energien in Bonn hat ein Zeichen für eine globale Energiewende gesetzt. Bis zum Jahr 2015 soll eine Milliarde Menschen mit Energie aus erneuerbaren Energiequellen versorgt werden. Auf dieses Ziel haben sich die Delegierten in der politischen Erklärung verständigt. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat zugesagt, dass die Bundesregierung in den kommenden fünf Jahren insgesamt weitere 500 Millionen Euro für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz bereitstellen wird. Damit wurde die Zusage aus Johannesburg, eine Milliarde Euro bereitzustellen, deutlich aufgestockt.
Die MDGs haben Bewegung in die noch vor wenigen Jahren scheinbar festgefahrenen Anstrengungen gebracht, die Verantwortung der Entwicklungsländer für die eigene Entwicklung und die Unterstützung der Industrieländer in eine konstruktive Beziehung zu bringen. Diese neue Dynamik müssen wir nutzen. Unsere Welt steht mit den MDGs vor einer zentralen Herausforderung. Wenn es nicht zu entscheidenden Verbesserungen kommt, werden viele Länder die gesteckten Ziele nicht erreichen. Wir haben die beispiellose Chance, die Armut erfolgreich zu bekämpfen. Zum ersten Mal herrscht zwischen reichen und armen Ländern ein wirklicher Konsens darüber, dass Armut ein Problem der ganzen Welt ist und dass die ganze Welt gemeinsam dagegen ankämpfen muss. Ich habe deshalb die Umsetzung der MDGs zur absoluten Priorität für die deutsche Entwicklungspolitik in den kommenden Jahren gemacht.
Heidemarie-Wiechzorek-Zeul (SPD) ist seit 1998 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.