Die optimistischen Einschätzungen der deutschen Industrie zum künftigen Engagement im politisch wieder souveränen Irak unterscheiden sich in zentralen Punkten von den Aussagen der Nahost-Spezialisten. Diese dämpfen die Euphorie, warnen vor der nach wie vor äußerst schwierigen Sicherheitslage und verweisen auf die beunruhigende Schuldensituation des Landes. Außerdem scheinen sich Befürchtungen zu bestätigen, dass millionenschwere Aufträge zum Wiederaufbau des Irak fast ausschließlich Firmen aus Ländern der Kriegskoalition zufließen werden.
Demgegenüber verbreitet der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Optimismus. Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg meint, durch die Übergabe der Macht an die irakische Re-gierung sei die Grundlage für eine internationale Zusammenarbeit beim Wiederaufbau des Landes geschaffen. Die deutsche Wirtschaft sei bereit, einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Auch sei der Weg geebnet, dass internationale Finanzierungsinstitutionen, allen voran die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF), die Zusammenarbeit mit dem Irak wieder "in vollem Umfang" aufnehmen können. Der Hauptgeschäftsführer geht davon aus, dass sich bald eine internationale Geberkonferenz mit dem finanziellen Bedarf des Irak befassen werde und zugesagte internationale Gelder nach den Kriterien eines freien und fairen Wettbewerbs ausgeschrieben würden. Wartenberg verweist auf die traditionell guten Handelsbeziehungen. Nach wie vor genössen deutsche Produkte einen hervorragenden Ruf im Irak. Es bestehe "die große Chance, im wirtschaftlichen Wiederaufbau die alte Führungsrolle als Partner zurückzuerobern".
Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hofft auf Aufträge aus dem Irak. Um deutsche Firmen zu unterstützen, hat der DIHK einen Firmenpool gegründet, um auf diesem Wege, vom benachbarten Jordanien aus Geschäftskontakte mit irakischen Unternehmern einzuleiten. Unmittelbar nach Beginn des Irak-Feldzuges hatten zahlreiche irakische Firmen ihren Zweitsitz nach Jordanien verlegt.
Durch den Krieg waren die deutschen Exporte völlig zusammengebrochen. Im vergangenen Jahr betrug daher das Außenhandelsvolumen lediglich rund 200 Millionen Euro. In 1982 hatten die deutschen Exporte in den Irak noch vier Milliarden Euro betragen.
Für den Nahost-Experten des DIHK, Jochen Clausnitzer, ist die Sicherheitslage derzeit noch die größte Hürde für engere wirtschaftliche Kontakte. Auch hier spiele Geld eine Rolle, denn neben dem unmittelbaren Schutz für die Mitarbeiter - gepanzerte Fahrzeuge, Leibwächter - kämen horrende Summen für Versiche-rungen hinzu. Außerdem sei nicht klar, ob die irakische Übergangsregierung einen unternehmerfreundlichen Kurs einschlagen werde. Immerhin versucht die Bundesagentur für Arbeit, Sicherheitspersonal in den Irak zu vermitteln. Eine solche Anzeige hatte die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) kürzlich in ihrer Zeitschrift geschaltet. Es handelte sich um die Stellenanzeige eines deutschen Arbeitgebers, der eine erfahrene Sicherheitsfachkraft sucht.
Dass sich schon heute im Irak Geld verdienen lässt, zeigt das Beispiel Siemens. Der Konzern baut als Subunternehmer der amerikanischen Tochter für eine kuwaitische Firma im Irak ein Mobilfunknetz auf. Außerdem ist er an der Modernisierung zweier Kraftwerke beteiligt. Davon abgesehen, sollen sich derzeit nicht viel mehr als drei bis vier Dutzend deutsche Geschäftsleute im Zweistromland aufhalten. Peter Kreutzberger, beim BDI für den Nahen Osten zuständig, verweist auf das "erhebliche Risiko", das bei Reisen in den Irak nach wie vor bestehe. Das Auswärtige Amt habe eine Reisewarnung ausgesprochen. Aufträge führten meist irakische Partner durch. Unklar sei, wer künftig die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kontrolliere. Es sei nicht sicher, ob es bei dem von den Amerikanern eingeführten günstigen Einheitssteuersatz von 15 Prozent bleibe.
Wenn die Sicherheitslage sich so verbessere, dass ausländische Untenehmen dorthin kommen können, "dann sei der Irak ein interessantes Handelsland und ein Land, wo sich Investitionen lohnen werden". Da jetzt eine international legitimierte Regierung im Amt sei, könne auch das Problem der Altschulden gelöst werden. Das könne, so der Irak-Experte, durch Entschuldung, durch Moratorien oder durch Umschuldung geschehen. In diesem Zusammenhang erinnert Kreutzberger daran, dass der Irak durch seine Öl- und Gasvorkommen ein "tendenziell reiches Land ist", das langfristig seinen Wiederaufbau selbst meistern könne.
Von direkten Aufträgen zum Wiederaufbau waren deutsche Unternehmen bislang ausgeschlossen. In einer zweiten Tranche sollen von den USA rund fünf Milliarden Dollar aufgelegt werden. Auch diesmal dürften die Deutschen das Nachsehen haben; lukrative Aufträge gehen an am Krieg beteiligte Nationen.
Ein Stückchen vom Kuchen hat sich die Deutsche Bank gesichert. Sie nutzte eine Lücke in einer EU-Verordnung und räumte Geld von einem Irak-Konto ab. Es soll sich um eine Summe handeln, die die irakische Zentralbank auf einem Konto bei der italienischen Tochter Deutsche Bank SpA liegen hatte. Die Gelder waren seit 1990 durch UN-Resolutionen blockiert und sollen der Entwicklung des Irak zugute kommen.
Im September 2003 nutzte die Deutsche Bank diese Lücke, um diese 28 Millionen Dollar mit längst abgeschriebenen Forderungen an das alte Regime in Höhe von über 150 Millionen Euro zu verrechnen. Die Verordnung hatte zwar eine UN-Resolution umgesetzt, die das Einfrieren aller Gelder des früheren irakischen Regimes forderte. Allerdings wurden Ausnahmen wie das Verrechnen mit alten Handelsschulden zugelassen. Die Bank ließ die Gelder nach Frankfurt transferieren. Einen Monat später trat eine neue EU-Verordnung in Kraft, die diese Ausnahmen aufhob. Robert Luchs