Stimmen zu imitieren, hat in der westlichen Welt etwas mit Comedy zu tun. Imitiert werden vorwiegend Politiker, Lehrer auf Schulfesten oder Verwandte bei Familienfeiern. In karibischen Religionen hingegen gehört die Stimmenimitation in Trance zur Verbindung zwischen Lebenden und Toten. Dabei werden oft die Stimmen Verstorbener täuschend echt imitiert. Die Gläubigen versammeln sich, um in Trance und Besessenheit Gnade für Geister, Ahnen oder Tote zu erflehen. Eine noch wichtigere Rolle als Stimmenimitation spielen in den karibischen Religionen aber Trommeln und der Rhythmus. Die Musikwissenschaftlerin Maya Roy hat bemerkt: "Die geweihte Trommel ist die Mittlerin schlechthin zwischen Menschen und Göttern, zwischen den Lebenden und den Geistern der Ahnen."
Die bekanntesten karibischen Religionen sind heute die kubanische Santería oder Regla de Ocha, der haitianische Voodoo, der jamaikanische Rastafarism und bestimmte Varianten des Spiritismus. Santeros und Santeras muss man sich beispielsweise als "Eingeweihte" in die Santería oder Regla de Ocha vorstellen. Sie sind Heilkundige, Berater in allen Lebensfragen und Psychiater zugleich und müssen eine Reihe von Regeln einhalten, die zum Beispiel das Essen, Sex oder ihre Kleidung betreffen. Sie sind einem Orisha oder Santo geweiht, etwa Changó (meist als die Heilige Barbara dargestellt), Ogún (Heiliger Antonius), Yemayá oder Oshún (bestimmte Typen von Marienheiligtümern).
Mit den Trommeln und durch bestimmte Rhythmen werden die einzelnen Orishas herbeigerufen. Manchmal kommen sie im Glauben der Santería-Gläubigen dann wirklich und "reiten" auf Medien, die dann in Trance fallen und anfangen, "mit der Stimme des Santo" zu sprechen, das heißt, ihn zu imitieren.
Neben Santería und Voodoo existieren weitere karibische Religionen, die zum Teil nur noch von lokalem Einfluss sind, aber auch Kulte, die sich mit der Auswanderung von Menschen aus der Karibik nach Nordamerika, Süd- und Mittelamerika sowie Afrika, zu ve-ritablen Religionen entwickelten.
Die karibischen Religionen haben sich zusammen mit Kolonialismus, Sklavenhandel, Migration und Sklaverei entwickelt. Die Untertanen der Krone von Kastilien, die mit Kolumbus seit 1492 in die Karibik kamen, hatten eine mittelalterlich geprägte Religion. Sie nannten sich zwar Christen, glaubten aber auch an Geister, Magie und Dämonen. Die Christen mit ihrem Volksglauben trafen in der Karibik nun auf Völker wie Taínos, Siboneyes und Kariben. Auch sie lebten in einer Welt voller Geister, verehrten aber die Naturgewalten als Götter und hatten völlig andere Bilder, Symbole und Rituale.
Ein Hauptgott der Taínos war beispielweise Yucahuguamá, ein kleines Männlein, das wie eine Yucawurzel aussah, aber sehr mächtig war. Es gab Regenheuler und es gab die Göttin Huracán, eine wilde Göttin, die Stürme ritt. Oder den Liebesgott Maquetaurie Guayaba, der besonders gern die süßen und aromatischen Guayabafrüchte aß und zugleich als Herr des Totenreiches fungierte, weil wahre Liebe und Tod so nah bei einander sind.
Die Eroberer haben die Glaubensinhalte der Ureinwohner als Magie und Aberglaube empfunden und ausgegrenzt oder verboten. Die Indios nahmen die ihnen aufgezwungene Religion der Eroberer formal an, füllten sie aber mit eigenen Inhalten. Weil ihre Götterbilder traditionell aus Holz geschnitzt wurden, erfanden sie beispielsweise Legenden von heiligen Figuren, die ihnen von Gott oder von Maria übergeben worden sein sollen. Aus dem Holz schnitzten sie dann Marienfiguren, die in einem langen Prozess von der offiziellen Kirche anerkannt wurden.
Doch das Aufeinandertreffen von Eroberern und Urbevölkerung allein reichte nicht, um die neuen Religionen entstehen zu lassen, an die die Menschen in der Karibik heute glauben. Die karibischen Religionen sind eine Mischung europäischer, indianischer und in erster Linie afrikanischer Elemente. Da die Indios in der Karibik fast alle ausstarben, und die Besiedlung durch Europäer, vor allem aber durch versklavte Afrikaner erfolgte, prägten die Sklaven aus unterschiedlichen afrikanischen Kulturen die neuen Religionen entscheidend. Dabei fand eine erste Vermischung von Glaubensinhalten oftmals bereits in der afrikanischen Heimat der Sklaven statt, denn dort trafen sie zum ersten Mal auf die Europäer. Von dort aus brachte dann vor allem das atlantische Hin und Her des Sklavenhandels die "vermischten" Religionen in alle Winkel des Atlantiks.
Wichtig ist dabei, dass der vom traditionellen mittelalterlichen Volkskatholizismus geprägte Sklavenhalter-Kolonialismus der Spanier und Portugiesen trotz der gewaltsamen Durchsetzung der formalen katholischen Rituale und Bilder durchlässiger für bestimmte religiöse Elemente aus Afrika gewesen ist, als der protestantische Puritanismus der Engländer, Niederländer, US-Amerikaner oder Hugenotten. Die Spanier erlaubten es Sklaven und Freigelassenen, sich in religiösen Ratsversammlungen (cabildos) und Bruderschaften (cofradías) zu organisieren und dort bis zu einem gewissen Maß ihre traditionellen Riten weiter zu verwenden. So durften die Sklaven in ihren Kirchen und Cabildo-Gebäuden beispielsweise auch Trommeln benutzen. Das ist einer der Gründe, warum gerade in den ehemals spanischen und portugiesischen Kolonien bis heute die Trommel ein wichtiger Bestandteil der Religionen geblieben ist.
Im Widerstand gegen die Sklaverei entwickelten sich dann schnell die so genannten Cimarrón-Religionen. Das waren pragmatische religiöse Mischungen aus Christentum und afrikanischen Religionen, die vor allem dem Ziel dienten, die Wiederversklavung zu verhindern und die Sklavenjäger zu erschrecken. Als die Briten 1807 den Sklavenhandel im atlantischen Raum verboten, und die wichtigste europäische Kolonie, die Zucker- und Kaffeeinsel Saint-Domingue (das heutige Haiti), sich nach einer Revolution der Sklaven (1791 - 1803) für unabhängig erklärte, wurden Sklavenreligionen wie Voodoo im 19. Jahrhundert zu Landesreligionen, obwohl die Oberschicht meist katholisch blieb.
In Spanisch-Amerika sind die Mischungen indianischer, europäischer und afrikanischer Religionen besonders intensiv, andauernd und tiefgreifend gewesen. Das galt besonders auf Kuba: Nach dem Zusammenbruch von Saint-Domingue/Haiti und Jamaika bildete sich dort die modernste, kompakteste und bekannteste Massensklaverei der Welt (1800 - 1850) aus - ein wahres "Eldorado" von Produktivität, modernster Technologie und Organisation, Wissenschaft und Kunst. Weil den Herren der Zuckerplantagen jedoch Pfarrer, Friedhöfe und Katechese einfach zu teuer waren, schlossen sie ihre Besitztümer gegen den Zugriff von katholischer Kirche und Staat ab. Damit schufen sie auf den ländlichen Plantagen selbst die besten Bedingungen für Sklavenreligionen. Die Sklaven der großen Plantagen waren nachts in ihren Gefängnis-Baracken sich selbst überlassen und konnten ihre religiösen Zeremonien abhalten.
Kuba war und ist bis heute weltweit das Paradies verschiedenster karibischer Religionen (Santería, Abakuá, Palo Monte, Reglas Arará, Voodoo-Oggunismo, sogar verborgener Islamismus). Die Karibikinsel weist mehr Afro-Religionen auf als selbst das riesige Brasilien. Auch chinesische Einflüsse und Migranten von Jamaika und Haiti haben ihre Spuren im kubanischen Eintopf der karibischen Religionen hinterlassen.
Vor allem seit der Sinnkrise des Marxismus-Leninismus auf Kuba breiteten sich die karibischen Religionen Kubas nun wie Schwärme aus. Jede Kubanerin und jeder Kubaner glaubt an irgendeinen Orisha oder wendet afrokaribische Heilpraktiken an. Selbst Castro nutzte die weiße Taube als Symbol von Obbatalá, dem Orisha der Weisheit und des Friedens.