Einleitung
Der Ruf nach einer aktiven Bürgergesellschaft wird immer lauter. Doch das kann nicht nur ehrenamtliches Engagement in Kirchen, Verbänden und Vereinen bedeuten. Eine pluralistische Bürgergesellschaft verlangt nach einer erweiterten Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen. Soll eine Zivilgesellschaft offen, innovativ und kreativ gestaltet werden, müssen Machtverteilung und staatliche Verantwortung neu organisiert sowie das Verhältnis von Bürger und Staat auf allen Ebenen neu bestimmt werden. Das Herzstück einer modernisierten Demokratie bilden dabei Verfahren der direktenDemokratie, die durch ihr Mehr an Legitimation und Partizipation einen Ausweg aus der Parteienkrise und Politikverdrossenheit aufzeigen können.
Während Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat 1948/49 noch ausdrücklich vor der Aufnahme von Elementen direkter Demokratie ins Grundgesetz warnte und sie in der Folge der Erfahrungen in der Weimarer Republik mit plebiszitären Elementen als "Prämie für jeden Demagogen" bezeichnete, verhielten sich die meisten Landesverfassunggeber aufgeschlossen gegenüber Volksbegehren und Volksentscheid. Vielfach waren dafür die Erfahrungen der Verfassungsschöpfer entscheidend. So prägten zum Beispiel in Bayern der Staatsrechtler Hans Nawiasky und der damalige Ministerpräsident Wilhelm Hoegner die Landesverfassung durch ihre Erfahrungen im Schweizer Exil während der Zeit des Nationalsozialismus. Sie hatten dort die bis heute weltweit unvergleichlich stark ausgeprägte unmittelbare Demokratie und ihre Möglichkeiten schätzen gelernt.
Während auf Bundesebene die Diskussion um die Einführung des Volksentscheids anhält, sind die Instrumente direkter Demokratie inzwischen in allen 16 deutschen Bundesländern vollständig verankert, sowohl auf Landes- als auch auf Gemeinde- bzw. Kreisebene. Jedoch fanden Volksbegehren in den fünfziger bis achtziger Jahren nur vereinzelt Anwendung; erst seit Anfang der neunziger Jahre setzte ein gesellschaftliches Umdenken ein. Der bis dahin eher obrigkeitshörige Bürger begann sich zu emanzipieren und die Beteiligungsmöglichkeiten außerhalb der periodisch stattfindenden Wahlen und der tradierten parlamentarischen Wege zu nutzen - ein Signal für den Aufbruch in die Bürgergesellschaft.
Unabhängig davon erweiterten sich ab 1990 mit dem Beitritt der ostdeutschen Bundesländer und der dortigen Landesverfassunggebung sowie mit den längst überfälligen Verfassungsreformen in den westdeutschen Bundesländern die verfassungsrechtlichen Grundlagen von unmittelbarer Demokratie erheblich. Volksbegehren und Volksentscheid sind aus dem aktuellen politischen Prozess (insbesondere auch auf kommunaler Ebene) nicht mehr wegzudenken. Empirische Befunde belegen, dass sich der Einfluss der direktdemokratischen Instrumente auf Landesebene in den vergangenen 15 Jahren erheblich verstärkt hat: rund 90 Prozent aller Volksbegehren fanden zwischen 1990 und 2005 statt. Dabei hängen Erfolg und Misserfolg plebiszitärer Initiativen entscheidend von der Ausgestaltung der volksunmittelbaren Verfahren ab, von Zulassungsbeschränkungen und Abstimmungsquoren, aber auch vom Interesse der Bürgerinnen und Bürger an den Formen und Inhalten der direkten Demokratie.
Direkte Demokratie auf Landesebene
Als Elemente direkter Demokratie werden im allgemeinen und engeren Sinne die verfassten Volksrechte gesehen. Dabei bleiben neuere, nicht verfasste Wege der unmittelbaren Bürgerbeteiligung, z.B. die Planungszelle mit Bürgergutachten oder unverbindliche Volksbefragungen ausgeklammert. 1
Die Landesverfassungen nennen durchweg als Alternative zur parlamentarischen Gesetzgebung die Volksgesetzgebung mit dem initiierenden Volksbegehren und dem abschließenden Volksentscheid. Dazu kommt ergänzend in zwölf Bundesländern das Verfahren der Volksinitiative, 2 die nicht wie Begehren und Entscheid die Änderung, Abschaffung oder Einführung eines Landesgesetzes zum Ziel hat, sondern den Landtag lediglich mit wichtigen Themen beschäftigt. Politisch interessant ist diese zusätzliche Stufe in der so genannten Volksgesetzgebung, wenn das Antragsquorum niedrig ist, das heißt die Zahl der benötigten Unterstützerunterschriften bei etwa 0,5 bis 1 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung liegt wie in Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. So gab es beispielsweise in Brandenburg allein in den ersten fünf Jahren seit Verabschiedung der Verfassung und Einführung der Volksinitiative 1992 dreizehn Volksinitiativen. Zudem sollte die Volksinitiative, wenn der Landtag ihr nicht entspricht und die Initiatoren ein anschließendes Volksbegehren anstreben, diese den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens, für den wiederum Unterstützerunterschriften gesammelt werden müssen, bereits ersetzen, also die erste Stufe der eigentlichen Volksgesetzgebung bilden. Dies ist nicht der Fall in Berlin, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. 3
Das Volksbegehren als Motor für Veränderungen
Ein Volksbegehren kann darauf gerichtet sein, ein bestehendes Landesgesetz oder die Landesverfassung zu ändern oder ein neues Gesetz zu schaffen. Geht man von einer Rechtshierarchie aus, so ist die Kompetenz des Volkes für Verfassungsänderungen höher zu bewerten als die Einflussnahme auf Landesgesetze. In allen Landesverfassungen gibt es Regelungen über die Zulässigkeit plebiszitärer Verfassungsänderungen. Die Zustimmungsquoren bei Verfassungsentscheiden nach erfolgreichen Volksbegehren 4 sind durchweg höher angesetzt als bei der Abstimmung über einfache Gesetze. Dieses plebiszitäre Element hat bislang nur in Bayern Bedeutung erlangt, in dem viermal die Verfassung auf Grundlage eines Volksbegehrens geändert wurde. 5Ein Verfassungsentscheid in Hamburg scheiterte am Zustimmungsquorum. 6
Bei Verfassungsänderungen und einfachen Landesgesetzen gelten in der Initiativphase die gleichen Anforderungen. 7 Bei allen Volksbegehren besteht die Einleitungsphase aus zwei Schritten: erstens dem Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens und zweitens dem eigentlichen Volksbegehren. Der Antrag auf Zulassung entfällt in einigen Bundesländern, in denen dem Volksbegehren die Volksinitiative vorausgeht (Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Schleswig-Holstein) sowie in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Einreichung der frei gesammelten Unterstützerunterschriften für das Volksbegehren gleichzeitig den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens bedeutet. Die Sammlung von Unterschriften auf so genannten "freien Listen" über einen längeren Zeitraum hinweg stellt ein weitaus bürgerfreundlicheres Verfahren dar als die Eintragung zu einem Volksbegehren in den Gemeindebehörden mit geregelten und eingeschränkten Öffnungszeiten. Der Eintragungszeitraum zum Volksbegehren sollte wenigstens zwei Monate betragen. Das Eintragungsquorum beim Volksbegehren umfasst idealerweise nicht mehr als 10 Prozent der Wahlberechtigten. Brandenburg (ca. 4 Prozent), Hamburg (5 Prozent) und seit 2002 Nordrhein-Westfalen (8 Prozent) können diese partizipationsfreundliche und demokratische Zielsetzung erfüllen.
Beim Volksentscheid ist nach Ansicht der Befürworter direkter Demokratie die Entscheidung der Mehrheit der Abstimmenden als demokratiekonform anzusehen. Jedoch kann ein geringes Beteiligungsquorum (etwa 25 Prozent der Stimmberechtigten) durchaus die Akzeptanz volksunmittelbarer Entscheidungen fördern. Bürgerfreundlich erscheint die Variante Sachsen-Anhalts, das auf ein Zustimmungsquorum verzichtet, wenn der Landtag einen Konkurrenzentwurf vorlegt.
Zu den Zielsetzungen künftiger direktdemokratischer Regelungen gehört auch eine angemessene Kostenerstattung für die Initiatoren bei Erfolg eines Volksbegehrens oder nach dem Volksentscheid. Dies leisten die Länder Hamburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, wobei Sachsen bei Volksbegehren und Volksentscheid geringe Beträge auszahlt; Hamburg und Schleswig-Holstein bieten eine umfassende Erstattungsregelung für den Volksentscheid an, die mit der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung vergleichbar ist. Am bürgerfreundlichsten sind plebiszitäre Elemente in Schleswig-Holstein und Hamburg bezüglich Quoren und Fristen geregelt, in Sachsen Fristen und Kostenerstattung betreffend sowie in Sachsen-Anhalt im Hinblick auf die differenzierten Regelungen in der Initiativ- und Entscheidungsphase. Diese Länder machen direkte Demokratie von unten möglich, geben den Organisatoren von Plebisziten und staatlichen Organen weitgehend gleiche Chancen bei der Interessendurchsetzung und schaffen mit ihren Verfahrensnormen eine sinnvolle Ergänzung zur rein parlamentarischen Demokratie.
Die Praxis unmittelbarer Demokratie
Bis Ende 2004 zählte der Verein "Mehr Demokratie e. V." 162 plebiszitäre Initiativen, d.h. angestrebte Volksinitiativen und Volksbegehren. Dabei sind Bayern mit über 20Prozent aller Verfahrensansätze (37), Brandenburg mit rund 12 Prozent (20) und Hamburg mit etwa 11 Prozent (18) regionale Schwerpunkte. 8 Im November 2004 wurde das 50. Volksbegehren in einem Bundeslanddurchgeführt, bezeichnenderweise in Bayern. Betrachtet man die absolute Zahl der bis Ende 2004 durchgeführten Verfahren zur Volksgesetzgebung so hält Bayern mit insgesamt 15 Volksbegehren und fünf Volksentscheiden klar vor Hamburg mit sieben Begehren und vier Entscheiden den ersten Platz. Schaut man jedoch auf die Häufigkeit der durchgeführten Verfahren, dann nimmt Hamburg vor Bayern, Brandenburg und Sachsen den Spitzenplatz ein mit durchschnittlich einem Volksbegehren pro Jahr und einem Volksentscheid alle zwei Jahre. 9 Anzumerken ist, dass in drei Bundesländern noch gar kein Volksbegehren stattgefunden hat: in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und im Saarland. Und nur in fünf der 16 Bundesländer haben bislang überhaupt Volksentscheide auf Grundlage eines Volksbegehrens stattgefunden: in Bayern (5), Hamburg (4), Schleswig-Holstein (2), Sachsen (1) und Sachsen-Anhalt (1). 10 Zeitlich gesehen fanden rund 90 Prozent aller Initiativen ab 1990 statt, nach dem Zuwachs durch die fünf ostdeutschen Bundesländer und den plebiszitären Verfassungsreformen in den alten Bundesländern. 11
Unter den bisher beantragten Volksbegehren und Volksinitiativen lassen sich eindeutig thematische Schwerpunkte feststellen, die maßgeblich mit den relativ wenigen den Bundesländern verbliebenen Landeskompetenzen zu tun haben. Dabei widmen sich über ein Drittel aller Verfahren dem Themenbereich Schule, Bildung und Erziehung.
Anhand des Politikfelds Schule, Bildung und Erziehung lassen sich Erfolg und Misserfolg plebiszitärer Initiativen veranschaulichen. Betrachtet man nur die beantragten Volksbegehren, so ist festzustellen, dass rund zwei Drittel der Zulassungsanträge bereits am Finanztabu der Landesverfassungen scheiterten. Eine Korrektur der Entscheidung der zulassenden Behörde zugunsten der Initiatoren durch die Landesverfassungsgerichte erfolgte kaum. Die folgende Übersicht zum originär landespolitischen Themenfeld "Schule, Bildung und Erziehung" kann noch einmal deutlich die zeitlichen und regionalen Schwerpunkte plebiszitärer Initiativen belegen. In die Zählung flossen alle angestrebten plebiszitären Initiativen ein ohne Rücksicht auf tatsächliche Durchführung oder Erfolg.
Insgesamt war von 51 Volksbegehren, die bis Ende 2004 durchgeführt wurden, genau ein Drittel erfolgreich. Vier Begehren wurden vom Parlament übernommen; dreizehnmal kam es zum Volksentscheid. Dabei gingen acht Entscheide zugunsten der Initiatoren aus. Kritisch muss angemerkt werden, dass die für die Umsetzung der Volksabstimmung zuständigen Staatsorgane das Ergebnis nicht immer akzeptierten. So wurden die Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, die 1995 per Volksentscheid eingeführt wurden, durch ein Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs von 1997 hin zum damaligen CSU-Landtagsentwurf korrigiert. Auch der Volksentscheid in Hamburg von 2004, der sich erfolgreich gegen die Privatisierung der Landesbetriebskrankenhäuser wandte, wurde durch einen gegenteiligen Beschluss der Bürgerschaft de facto aufgehoben. Der bestimmte Charakter eines Volksentscheids als verfassungsrechtlich garantierte Alternative zum parlamentarischen Beschluss wird damit unterlaufen. Hier zeigt sich nicht selten ein wenig souveräner Umgang der Volksvertreter mit dem direkt geäußerten Willen des Souveräns.
Die Zukunft der direkten Demokratie auf Landesebene
Dabei wird sich direkte Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland niemals als eigenständige Staatsform in Abgrenzung zur repräsentativen Demokratie verstehen. Ziel ist nicht eine Basisdemokratie, die auf repräsentative Organe wie Volksvertreter verzichtet, sondern die Etablierung eines zusätzlichen Verfahrens zur unmittelbaren Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bei politischen Entscheidungen in einem demokratisch legitimierten Gemeinwesen. Volksbegehren und Volksentscheid wollen den parlamentarischen Weg der Gesetzgebung nicht ersetzen, sondern ihn sinnvoll ergänzen, als Korrektiv wirken, wo parteipolitische Konstellationen und Machtspiele eine allein am Gemeinwohl orientierte Sichtweise verhüllen, einen Weg bilden, über die periodisch stattfindenden Wahlen hinaus sich in den politischen Prozess einzubringen und ihn mit zu entscheiden. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass die Instrumente direkter Demokratie angesichts scheinbar zementierter Mehrheitsverhältnisse in Bayern besonders häufig genutzt werden.
Die Akzeptanz unmittelbarer Bürgerentscheidungen erhöht sich, wenn diese von einer breiteren Mehrheit getragen wird; ein maßvolles Beteiligungsquorum bei Volksabstimmungen erscheint also sinnvoll. Die Angst vor der "Diktatur" von Minderheiten wird somit geschmälert. Zukünftig könnten auf der Landesebene weitere Verfahrenserleichterungen für Volksbegehren angestrebt werden: Verlängerung der Eintragungsfristen, Sammeln auf freien Listen, nicht beschränkt auf die Gemeindebehörden und deren oft stark eingeschränkte Öffnungszeiten, Überlegungen zu einer angemessenen Kostenerstattung für die Initiatoren entsprechend der Wahlkampfkostenerstattung für Parteien. 12
Die Rolle der Landesverfassungsgerichte muss bezüglich der Gestaltung und Anwendung plebiszitärer Elemente kontrovers diskutiert und bewertet werden. In zahlreichen Fällen entschieden sie, gerade bei der Auslegung des Finanztabus, gegen entsprechende Initiativen, so z.B. in Bayern 1976 und 1994 bei schulpolitischen Anliegen, bei der Nichtzulassung der Reformansätze für Volksbegehren und Volksentscheid 1994 und 2000 oder bei der Korrektur des kommunalen Bürgerentscheids 1997. Die Urteilsbegründungen wirken teils wie eine "politische Nachkorrektur" und lassen eine gewisse Furcht vor dem Souverän nicht verleugnen. 13
Genutzt wurden die Instrumente direkter Demokratie vor allem von Bürgerinitiativen und Aktionsbündnissen. 14 Sie leiten die plebiszitären Initiativen ein; Verbände, insbesondere Gewerkschaften und Parteien treten als Unterstützer oder Bündnispartner auf. In Bayern tat sich zudem eine kleine Partei hervor, die sich als besonders aktive außerparlamentarische Opposition erweist, die ÖDP. 15 Ihr größter Erfolg war wohl die Abschaffung des Bayerischen Senats 1998 unter dem Kennwort "Schlanker Staat ohne Senat". Dazu kamen zwei weitere, aber deutlich gescheiterte Volksbegehren: "Menschenwürde ja, Menschenklonen niemals!" 2003 und "Für Gesundheitsvorsorge beim Mobilfunk" 2005. Im Frühjahr 2005 startete eine neue ÖDP-Initiative unter dem Motto "Gerecht sparen, auch an der Spitze" zur Alimentation von Politikern, deren Zulassung jedoch abgelehnt wurde. Zwischen 1998 und 2005 schaffte es die ÖDP sechsmal, deutlich mehr als die benötigten 25 000 Unterschriften für einen Zulassungsantrag zu sammeln. 16
Die differenzierte Ausgestaltung der unmittelbaren Mitentscheidungsrechte der Bürger auf Landesebene stellt unzweifelhaft eine Bereicherung des repräsentativen politischen Systems dar. Die Qualität der politischen Kultur hängt aber nicht allein von der Existenz vielfältiger demokratischer Beteiligungsinstrumente ab, sondern vor allem vom Interesse der Bürger an ihnen und der Bereitschaft der Menschen, sie in bürgerschaftlichem Engagement zu nutzen, wie dies in der Bundesrepublik seit 1990 verstärkt geschieht. Nach dem bisherigen Höchststand von 22 neuen Volksinitiativen und Volksbegehren im Jahr 1997 ist deren Zahl eher rückläufig. 2004 wurden nur noch sieben Verfahren eingeleitet. 2004 zählte man insgesamt 28 laufende Verfahren in zehn Bundesländern. Plebiszitäre Initiativen sind aber trotz rückläufiger Tendenz nach dem "Reiz des Neuen" zu Beginn der 90er Jahre aus der Verfassungswirklichkeit der deutschen Bundesländer nicht mehr wegzudenken. Der Souverän hat sie als Instrument der Teilhabe, als Korrektiv erkannt und wendet sie an, um Parteien, Regierung und Parlament wahrgenommene Mängel und Fehlentwicklungen aufzuzeigen. Direkte Demokratie wird auch weiterhin für einen breiten öffentlichen Dialog in einer politisch lebendigen Bürgergesellschaft sorgen.
1 Vgl. Adrian
Reinert, Bürgerbeteiligung im Vergleich, in: mehr demokatie.
Zeitschrift für Direkte Demokratie, 17 (2005) 4, S. 6 -
11.
2 Verwendung unterschiedlicher Termini
in den Landesverfassungen: "Volksinitiative" in Brandenburg,
Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein;
"Bürgerantrag" in Bremen, Thüringen; "Volksantrag" in
Sachsen; "Einwohnerantrag" in Berlin; keine Volksinitiative in
Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Saarland. Demzufolge
spricht man in den erstgenannten Ländern von dreistufiger, in
den übrigen Ländern von zweistufiger Volksgesetzgebung.
Liegt der Volksinitiative kein ausgearbeiteter Gesetzentwurf
zugrunde, spricht man auch von "Volkspetition".
3 Wollen also Bürger in diesen
Ländern eine Gesetzesinitiative starten, zu der eine
Volksinitiative bereits gescheitert ist, muss das komplette
Volksbegehren durchlaufen werden, einschließlich einer
erneuten Antragstellung. Hier kann man von "vierstufiger"
Volksgesetzgebung im negativen Sinn sprechen, vgl. Bärbel
Martina Weixner, Direkte Demokratie in den Bundesländern,
Opladen. 2002, S. 154f.
4 Das Verfassungsreferendum nach
Abschluss des parlamentarischen Verfassungsänderungsverfahrens
bleibt hier unberücksichtigt; obligatorisches Referendum in
Hessen und Bayern; fakultatives Referendum (nach Anordnung durch
ein Staatsorgan) in Baden-Württemberg, Bremen,
Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Vgl. B. M. Weixner, ebd., S.
151.
5 1967 Christliche Gemeinschaftsschule,
1973 Rundfunkfreiheit (obligatorischer Verfassungsentscheid, da der
Landtag das Volksbegehren übernommen hatte); 1995
Einführung des Bürgerentscheids, 1998 Abschaffung des
Bayerischen Senats; 2003 Aufnahme des Konnexitätsprinzips (das
Volksbegehren war ohne Durchführung erfolgreich, da der
Landtag den Entwurf übernommen hat; obligatorischer
Verfassungsentscheid).
6 1998 Änderung der
Volksgesetzgebung.
7 Nur in Bremen gilt: 20 statt 10
%.
8 Zur Relation: in Brandenburg gibt es
direkte Demokratie seit 1992, in Hamburg seit 1996, in Bayern seit
1946.
9 Berechnung ergibt sich nach dem Jahr
der Einführung plebiszitärer Elemente in der Verfassung:
Bayern 1946, Hamburg 1996; in Bayern findet durchschnittlich nur
alle vier Jahre ein Volksbegehren und alle 11 Jahre ein
Volksentscheid statt.
10 Hier Stand Januar 2005;
Volksentscheid in Sachsen-Anhalt für einen sicheren Platz in
einem Kindergarten oder einer Kinderkrippe am 23. Januar 2005, am
Beteiligungsquorum gescheitert.
11 Vgl. Mehr Demokratie e.V.,
Volksbegehrensbericht 2004, Berlin 2005, S. 2 - 5.
12 Vgl. Otmar Jung, Grundsatzfragen der
direkten Demokratie, in: Andreas Kost (Hrsg.), Direkte Demokratie
in den deutschen Ländern, Wiesbaden 2005, S. 321 - 339.
13 Landesverfassungsrichter werden in
der Regel von den Landtagen gewählt. Vgl. ausführlich zur
Rolle der Verfassungsgerichte B. M. Weixner (Anm. 3), S. 246 -
264.
14 An dieser Stelle sei auf die Arbeit
des Verbandes "Mehr Demokratie e. V." hingewiesen, der alle
plebiszitären Initiativen verfahrensrechtlich unterstützt
und inhaltlich dokumentiert.
15 Plebiszitäre Aktivität
schlägt sich auch in steigenden Stimmenanteilen bei Wahlen
nieder: Kommunalwahl 2002 landesweit 1,3 %, Landtagswahl 2003 2,2
%, Europawahl 2004 bayernweit 2,4 %; auf kommunaler Ebene stellt
die ÖDP in Bayern 242 Mandatsträger, darunter sechs
Bürgermeister.
16 Zu den genannten: 1998 "Kein neues
Atomkraftwerk in Bayern", erledigt durch
Landtagsbeschluss.