Das Treffen ist nicht ohne Brisanz: US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld besucht diese Woche zum ersten Mal den einstigen Kriegsgegner Vietnam. Er trifft dort sowohl mit Premierminister Pham Van Khai als auch mit seinem vietnamesischen Amtskollegen Pham Van Tra zusammen. Den Gegenbesuch gab es bereits: Ende 2003 reiste erstmals seit Kriegsende 1975 ein vietnamesischer Verteidigungsminister in die USA. Seitdem gibt es zwischen beiden Staaten eine militärische Zusammenarbeit, die erstaunt.
Die USA wollen Vietnam, von dessen militärischen Fähigkeiten sie überzeugt sind, in den internationalen Kampf gegen den Terrorismus einbinden und wünschen sich, dass die vietnamesische Volksarmee an Einsätzen in Fernost teilnimmt. Hanoier Offiziere nahmen bereits an Ausbildungs- und Sprachkursen in den USA teil. Und in Vietnam steht man dem Thema nicht abgeneigt gegenüber. Im vergangenen Herbst besuchten zweimal US-Marineschiffe den Militärhafen der südvietnamesischen Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt.
Antiamerikanismus ist heute in Vietnam kaum noch anzutreffen. Fast zwei Drittel der 83 Millionen Einwohner waren 1975 noch nicht geboren und kennen den Krieg nur aus den Erzählungen der Alten. Englische Sprachkurse sind an Vietnams Schulen und Volkshochschulen sehr begehrt, weil die Sprache des einstigen Kriegsgegners Zugangsvoraussetzung zu lukrativen Jobs ist. Seit die Clinton-Regierung 1994 das Handelsembargo gegen das südostasiatische Land fallen ließ, kann man amerikanische Filme auf vietnamesischen Fernsehbildschirmen sehen, amerikanische Popmusik hören und - falls man es sich leisten kann - Cola trinken. All das ist in Vietnam äußerst beliebt.
Seit Mitte der 1990er-Jahre sind auch die zwischenstaatlichen Beziehungen entspannt. Seit 1996 tauschen beide Staaten Botschafter aus. Hanoi erlaubte den USA, in vietnamesischer Erde nach den Überresten gefallener amerikanischer Soldaten zu suchen. Vietnam fiel dieses Zugeständnis nicht schwer. Die Suche nach den Toten brachte nicht nur Arbeitsplätze in entlegene Gebiete. In der konfuzianischen Kultur ist die Achtung gegenüber Ahnen ohnehin ein hoher Wert.
Offen ist allerdings die Frage der Entschädigung der nach unterschiedlichen vietnamesischen Schätzungen zwischen zwei und vier Millionen Opfer des Giftgases Agent Orange, mit dem die USA die Regenwälder hatte entlauben wollen. Agent Orange enthält Dioxin. Noch heute werden in Vietnam viele Kinder mit Missbildungen geboren. Eine staatliche Wiedergutmachung seitens der USA gibt es nicht, und anders als für seinen Amtsvorgänger Clinton ist das für Präsident Bush auch kein Thema. Somit ging eine vietnamesische Opfervereinigung den Gerichtsweg in den USA. Sie scheiterte Anfang 2005 vor einem New Yorker Bundesgericht, weil in den Augen des Gerichtes der Zusammenhang zwischen den Krebserkrankungen und Missbildungen der Opfer und den Giften als nicht erwiesen galt. Die Berufung läuft.
Eine weitere offene Frage zwischen beiden Staaten ist die mögliche Rückkehr der Amerikaner zu ihrem ehemaligen Militärstützpunkt Cam Ranh in Zentralvietnam, den sie 1975 fluchtartig hatten verlassen müssen. Laut Berichten chinesischer Medien, der britischen BBC und vietnamesischer Exilmedien sollen die USA Vietnam einen langfristigen Pachtvertrag angeboten haben. Weder Washington noch Hanoi kommentieren diese Meldungen, doch in Hanoi prüft man offensichtlich ernsthaft das Pachtangebot.
Seit die Russen, die den ehemals größten Marine- und Luftwaffenstützpunkt der USA außerhalb ihres Territoriums 1979 übernommen hatten, 2002 abzogen, ist das Areal verwaist. Vietnam sucht händeringend einen Investor. China protestierte bereits gegen die Möglichkeit eines weiteren US-Stützpunktes in einem Nachbarland, und das ist wohl auch der Grund, warum der Pachtvertrag noch nicht zustande kam. Nach eigenen Angaben will Peking Hanoi vergangenen Herbst ebenfalls einen Pachtvertrag über Cam Ranh angeboten haben.
Vor der Küste von Cam Ranh liegen riesige Ölfelder im Meer, deren Nutzung zwischen Peking und Hanoi umstritten ist. Jüngere wirtschaftsorientierte Politiker in Vietnam wünschen sich einen amerikanischen Stützpunkt, um den wilden Ölbohrungen durch das Reich der Mitte die Präsenz einer Weltmacht entgegenzustellen.
Doch es gibt auch wichtige Hanoier Politiker, die das chinesische Pachtangebot präferieren, weil sie sich eine engere Anbindung Vietams an China wünschen. In der Bevölkerung ist die Verpachtung einer Militärbasis äußerst unpopulär, egal ob der ehemalige Kriegsgegner den Zuschlag erhält oder der mächtige Nachbar im Norden, unter dessen Herrschaft Vietnam über Jahrhunderte stand.