Das Parlament: Ihr Buch ist die Geschichte Ihrer Familie und der Zeitschrift "Konkret" sowie politische Analyse. Aus welcher Intention ist es entstanden?
Bettina Röhl: Ich habe eine deutsch-deutsche Geschichte geschrieben, die in den 50er- und 60er-Jahren spielt und exemplarisch am Beispiel der Familie Meinhof/Röhl eine Geschichte der Linken in der frühen Bundesrepublik zeichnet. Meine Vorbilder schon seit meiner Jugendzeit sind Thomas Mann, Fjodor Dostojewski, Leo Tolstoi, die großen Romane, die auf ihre besondere Weise die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit einer Zeit eingefangen haben, literarisch, politisch, historisch. Meine Familiengeschichte bietet einen solchen Stoff. Ich bin hier die Chronistin. Mein Interesse galt der Zeit vor 1968, die mir weitgehend verdeckt scheint.
Das Parlament: Sie haben 1998 neue Akten im Bundesarchiv und in der Gauckbehörde gefunden, mit denen Sie die Zusammenarbeit ihrer Eltern, Ulrike Meinhof und Klaus Rainer Röhl, mit Ostberlin detailliert belegen können. Ihr Vater Klaus Rainer Röhl hatte eine Finanzierung von "Konkret" schon 1974 eingeräumt. Was ist das Neue an Ihrem Buch?
Bettina Röhl: Alles ist neu. Die Akte selber, die die Geschichte der Zeitschrift "Konkret", eine detaillierte Zusammenarbeit von Ostberlin und Hamburg in allen Einzelheiten belegt, die Berichte der Zeitzeugen, die zahlreichen, bisher unveröffentlichten Briefe vor allem von Ulrike Meinhof, die im hohen Maße selber zu Wort kommt, aber auch die Einordnungen, die Beschreibung der Zusammenhänge, die politischen Analysen und nicht zuletzt meine eigene Sichtweise, meine eigenen Erinnerungen. Und das Phantastische ist, dass sich die unabhängigen Quellen, die ich bringe, in einer erstaunlichen Weise quer belegen, so dass mir sowohl Historiker als auch zahlreiche Zeitzeugen bestätigt haben, welches hohe Maß an Wirklichkeit sie in dem Buch gefunden hätten, dass die Zeit für sie regelrecht wieder aufersteht. Sogar ein sehr hochrangiger Politiker der DDR hat mir geschrieben, dass er in dem Buch Neues erfahren hat.
Das Parlament: Ihr Urteil ist es, dass Ihre Eltern halfen, den Kommunismus in Westdeutschland aufzubauen - wie erfolgreich waren Ulrike Meinhof und Klaus-Rainer Röhl dabei? Wie stark waren Ihre Einflüsse auf die so genannten 68er - und wie stark waren deren Einflüsse auf Ihre Eltern?
Bettina Röhl: Die Zeitschrift "Konkret", die in ihren Hochzeiten Ende der 60er-Jahre eine Auflage von 250.000 Exemplare erreichte, und im studentischen und jungakademischen Bereich einen nicht unerheblichen Einfluss ausübte, war erst eine kommunistische Zeitschrift und dann zunehmend das Sprachrohr der 68er. Umgekehrt wurde die Zeitschrift von den politischen linken Bewegungen getragen. Der Blattmacher Klaus Rainer Röhl und die Kolumnistin Ulrike Meinhof waren zehn Jahre lang ein erfolgreiches Duo, das der avantgardistischen Linken in der Bundesrepublik mit zum Durchbruch verhalf. Beide Eltern waren, obwohl sie 68 miterzeugt haben, keine typischen 68er, sondern blieben im Kern Kommunisten.
Das Parlament: Wie passte das zusammen: die Villa in Blankenese mit den schicken Partys auf der einen und die radikalen, konsumkritischen Artikel auf der anderen Seite?
Bettina Röhl: Der Erfolg von "Konkret" machte meine Eltern seit 1967 zunehmend für alle sichtbar zu Kleinkapitalisten, ein Aufstieg, der sie selber nicht unberührt ließ. Die berühmtem etablierten West-Linken haben fast alle in Saus und Braus gelebt und tun das zum großen Teil auch heute noch. Das Ferienhaus in der Toskana, die Maßanzüge, die heimliche Segeljacht, das dicke Geld und nach außen gleiches Wasser für alle predigen - so lebten die "Fettaugen" der Westlinken, die zum Teil richtig Reichtum akkumuliert haben. Meine Eltern sind wahrscheinlich die Einzigen in dieser Gruppe, die gerade nicht mit dieser Diskrepanz klar gekommen sind.
Das Parlament: Können Sie heute das Liebäugeln Ihrer Eltern mit dem Kommunismus nachvollziehen?
Bettina Röhl: Ich habe mein Buch nicht umsonst der sozialen Idee gewidmet. Der Kommunismus ist gescheitert. Das soziale Anliegen bleibt das große Thema der Menschheit, das jeden Tag aufs Neue bedacht und bearbeitet werden muss.
Das Parlament: Die Lektüre Ihres Buches legt nahe, Ulrike Meinhof sei den Weg in den Untergang vor allem deshalb gegangen, weil sie von Klaus-Rainer Röhl enttäuscht worden war…
Bettina Röhl: Mein Buch legt diese These, die in der Tat von vielen Zeitzeugen damals schon vertreten wurde, in keiner Weise nahe. Ich ende in meinem Buch mit der Scheidung meiner Eltern im Februar 1968 mitten in der Partyzeit in Hamburg Blankenese. Aber die Umwälzungen, die 68 erzeugte, erschüt- terte nicht nur die Ehe meiner Eltern. Fast alle Ehen aus dem so genannten Establishment wurden damals geschüttelt, viele ließen sich scheiden. Eine Epoche ging gewissermaßen zu Ende, was den Zeitzeugen damals natürlich nicht bewusst war. Der Gang von Ulrike Meinhof in den Terrorismus, der erst zweieinhalb Jahre später erfolgte, hatte ganz sicher andere Ursachen. Diese Frage stelle ich in meinem Buch nicht.
Das Parlament: Ist es vorstellbar, dass Sie den weiteren Lebensweg von Ulrike Meinhof in einem zweiten Buch beschreiben werden?
Bettina Röhl: Es wird ganz gewiss ein zweites Buch über meine Familie und die Zeit ab 1968 geben.
Das Interview führte Susanne Kailitz
Bettina Röhl
So macht Kommunismus Spaß! Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret.
Europ. Verlagsanstalt, Hamburg 2006; 677 S., 29,80 Euro