Die Gefahr, die NPD könne demnächst einmal ins Kanzleramt einziehen, besteht nicht. Gleichwohl geht von der NPD eine unterschätzte Bedrohung der deutschen Demokratie aus. Das sind die zentralen Thesen des Journalisten Toralf Staud, der in seinem Buch eine allmähliche soziale und alltagskulturelle politische Verankerung der NPD zumal in den neuen Bundesländern diagnostiziert. Die politische Klasse der Bundesrepublik atme immer wieder erleichtert auf, wenn die NPD bei Landtags- oder Bundestagswahlen unter der 5-Prozent-Hürde geblieben ist. Damit nehme sie aber nicht zur Kenntnis, dass sich die Rechtsextremisten dauerhaft an der Basis der Gesellschaft etablieren und erfolgreich an einer "Faschisierung der ostdeutschen Provinz" arbeiten. Insbesondere in der Sächsischen Schweiz konzentriere die NPD ihre Ressourcen, um ihren Wahlerfolg zu stabilisieren und ihre Kader zu popularisieren. Messe man dort den Rechtsextremismus nicht in Wählerstimmen, sondern an den Einstellungen, komme man leicht auf Ergebnisse von 30 Prozent. Dort seien die Institutionen, die die Gesellschaft zusammenhalten, schwächer als im Westen. Eine Verständigung in der Gesellschaft über demokratische Werte und Menschenrechte habe in den neuen Ländern nicht stattgefunden.
Staud porträtiert den Parteivorsitzenden, den "Nationalsoldaten" Udo Voigt, lässt die Parteigeschichte der NPD Revue passieren, charakterisiert frühere Schwächen und stellt dar, wie die NPD von "staatlicher Verfolgung" profitierte. Weitere Kapitel gelten dem früheren und gegenwärtigen ideologischen Profil. Die Neue Rechte versuche nun nicht mehr, Hitler von seinen Verbrechen, sondern den deutschen Nationalismus von Hitler zu trennen. Den sächsischen Landtag nutze sie als "Geldmaschine, Lehrwerkstatt und Propaganda-bühne". Dabei spottet Staud, wie "kopflose Fernsehmoderatoren" und Politiker einer argumentativen Auseinandersetzung mit den NPD-Parlamentariern auswichen und der NPD zu wohlfeilen Schlagzeilen verhalfen. Aufschlussreich sind die Vergleiche mit hessischen Kommunen, wo die NPD zwar auch lokale Erfolge feiern konnte, allerdings die kommunale Verankerung nicht so gelingt wie in der Sächsischen Schweiz, in der sich eine breite rechte Subkultur entfalten konnte.
Bei der Analyse der Skinhead-Musikszene bewegt sich der Autor offenbar in seinem Metier. Es drohe die Gefahr, dass sich diese Szene zu einem unübersichtlichen Mainstream-Phänomen popularisiert, allerdings fransten hier die Ränder aus und unklar bleibe für die NPD, auf wen sie sich in dieser Bewegung verlassen könne und wer ihrer Kontrolle entgleite.
Ein von beachtlicher Sach- und Detailkenntnis getragenes journalistisches Werk, das allerdings - was manche verallgemeinernde Aussagen betrifft - nicht immer empirisch solide argumentieren kann und will. Erschreckend sind die Einblicke in die Realitäten der "National Befreiten Zone" Wurzen, in der offenbar kommunale Institutionen mehr oder minder intensiv wegsehen oder den Kampf gegen den Links- und Rechtsextremismus betonen, wobei freilich ein Linksextremismus gar nicht existiert.
Unklar bleibt, worin denn die "Modernität" der Neuen Rechten besteht, etwa die taktisch motivierte leicht abweichende Haltung von traditionellen rechtsextremistischen Geschichtsdeutungen oder die Öffnung gegenüber bestimmten Strömungen in der Musikszene? Abschließend präsentiert Staud eine praktisch-politische "Gebrauchsanleitung für den Umgang mit der NPD": "Demokratische Politiker sollten planmäßig die Themen identifizieren, mit denen die NPD kampagnenfähig werden könnte, und diese selbst besetzen (...) und NPD-Wahlerfolge nicht mit sozialen Problemen entschuldigen." Die Weimarer Republik scheiterte eben nicht an der Massenarbeitslosigkeit, sondern weil die bürgerlichen Parteien nicht die Demokratie verteidigten.
Toralf Staud
Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005; 232 S.; 8,90 Euro