Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird Russlands Präsident Vladimir Putin dem Europarat in Straßburg Ende Juni einen offiziellen Besuch abstatten. Eine solche Einladung hat René van der Linden, der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, am 29. Mai in Moskau ausgesprochen. Da diese Art von Einladung nicht ohne Rücksprache erfolgt, scheint Putin tatsächlich den Gang in die Höhle des Löwen zu wagen. Der russische Regierungschef dürfte dort - was die Medien anbelangt - nicht freundlich empfangen werden. Diese Erfahrung machte bereits sein Außenminister Sergey Lavrov, als Russland Ende April, dem Alphabet folgend, für sechs Monate den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats übernahm. Die von ihm genannten politische Schwerpunkte, die Stärkung des individuellen Menschenrechts- und des Minderheitenschutzes, der Kampf gegen Terrorismus, Drogenhandel und Geldwäscherei, wurden äußerst kritisch kommentiert. In Straßburg werde "der Bock zum Gärtner" gemacht, lautete der Tenor der Berichterstattung.
Russland ist zwar der größte, zugleich aber auch der schwierigste Partner unter den 46 Mitgliedstaaten. Trotz der russischen Tschetschenienpolitik sieht van der Linden die Übernahme des Vorsitzes als einmalige Gelegenheit für Russland zu beweisen, dass es integraler Bestandteil des demokratischen Europa sei. Auf die Kritik, der Europarat gehe mit Russland zu nachsichtig um, sagte van der Linden, auch in den kommenden sechs Monaten werde der Europarat auf seinem Menschenrechtsauge nicht blind sein. Der britische Generalsekretär der Organisation, Terry Davis, reagierte auf die Kritik mit dem Hinweis, dass sich Russland zum Beispiel durch die Aussetzung der Todesstrafe, die Anerkennung der Urteile des Europäischen Menschengerichtshofs oder unvorhergesehene Überprüfungen in russischen Straflagern zur europäischen Wertegemeinschaft bekenne. Trotz der Reformanstrenungen ist das Land allerdings noch weit davon entfernt, das rechtstaatliche Gütesiegel vom Europarat zu erhalten. Erst vor knapp einem Jahr hatte die Parlamentarische Versammlung des Europarats durchgesetzt, den Monitoring-Prozess solange fortzuführen, bis genug Fortschritte bei der Achtung der Menschenrechte erreicht worden sind. Die beiden Berichterstatter, der Brite David Adkinson und der Deutsche Rudolf Bindig, stellten in ihrem Bericht erhebliche Mängel fest: Die Wahlchancen oppositioneller Parteien in Russland seien weiter erschwert, die Pressefreiheit eingeschränkt und die Gewaltenteilung ausgehöhlt. Zudem blieben Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien weiter ungesühnt.