Wenn man die Wahlergebnisse der Spitzenkandidaten der drei Landtagsparteien zur Grundlage nimmt, hat die CDU diesmal die Nase vorn. 99,2 Prozent der Stimmen bekam ihr neuer Frontmann Jürgen Seidel, der im September gern Ministerpräsident werden will. Amtsinhaber Harald Ringstorff von der SPD schaffte es auf 95,7 Prozent Zustimmung auf einem SPD-Parteitag im April und der Spitzenkandidat der Linkspartei.PDS Umweltminister Wolfgang Methling brachte immer noch 84,1 Prozent seiner Delegierten hinter sich, wobei dieser betonte, nicht als Ministerpräsidentenkandidat anzutreten.
In gut drei Monaten wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Die Parteien bringen sich in Stellung. Die Lage ist so unübersichtlich wie noch nie. Bisher schienen die großen drei Parteien SPD, CDU und Linkspartei.PDS die Plätze im Landtag quasi abonniert zu haben. Eine Fortsetzung der SPD/PDS-Koalition schien sicher. Doch dann fand am 18. September 2005 die vorgezogene Bundestagswahl statt und eröffnete neue Möglichkeiten. Denn erstmals wählt Mecklenburg-Vorpommern nun ohne die für eine hohe Wahlbeteiligung sorgende Polarisierung einer Bundestagswahl.
Hier beginnt auch schon das Dilemma. Rückblicke auf und Interpretationen von bisherigen Wahlergebnissen sind da ebenso fragwürdig wie Prognosen. Eines scheint klar zu sein. Die Wahlbeteiligung wird gegenüber der letzten Landtagswahl deutlich zurückgehen. Davon profitiert, wer "seine" Wähler am besten aktiviert.
Ministerpräsident Harald Ringstorff, 66, brachte mit einer für ihn ungewohnt kämpferischen Rede die Delegierten der SPD hinter sich. Der bodenständige, plattdeutsch sprechende Landesvater will es noch einmal wissen, und seine Partei weiß, dass es ohne ihn schwer würde. Er kündigte an, dass er noch einmal für fünf volle Jahre antrete und "nichts entscheidend anders machen" wolle. Aber: Die SPD geht ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf. "Falls die Linkspartei infolge anhaltender Lagerkämpfe nicht zur Verfügung stünde, müssten wir den Wählerwillen respektieren." Deshalb waren die Angriffe auf die CDU auch wohldosiert und für Ringstorff sehr zurückhaltend. Der auf Listenplatz 3 nominierte SPD-Landesvorsitzende, Landwirtschaftsminister Till Backhaus, musste sich mit nur 69,1 Prozent der Delegiertenstimmen zufrieden geben. Davon, dass er einmal das schwarze Vorpommern für die SPD erobern wollte, spricht heute niemand mehr.
In der CDU hat man sich nach langwierigen Grabenkämpfen besonnen. Der ehemalige Landes- und Landtagsfraktionsvorsitzende, Eckhardt Rehberg, sitzt seit dem 18. September 2005 für Rostock im Bundestag. Der bereits im Juli vergangenen Jahres gewählte Landesvorsitzende, der Müritzer Landrat Jürgen Seidel, arbeitet geräuschlos mit dem neuen Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Armin Jäger, zusammen. Das Gespann hat schon einmal von 1995 bis 1997 gut funktioniert. Damals war Seidel Minister und Jäger Staatssekretär. Ähnlich wirkt es jetzt. Während Jürgen Seidel die große Linie vorgibt und einen neuen politischen Stil propagiert, beruhigt Armin Jäger die Landtagsfraktion. Die 99,2 Prozent für den Spitzenkandidaten Jürgen Seidel drücken aber auch die Erwartung der Parteibasis aus, endlich wieder mitregieren zu können. Seidel formulierte denn auch "Wir können viel mehr", und mahnte einen neuen Politikstil an, der die Menschen mitnehmme.
Das mecklenburgische Städtchen Sternberg ist häufig Gastgeber von PDS-Parteitagen. Erst Anfang März rauften sich die Genossen hier zu einem Kompromiss zur Verwaltungsreform zusammen. Die Debatte um das zum größten Reformwerk der SPD/PDS-Koalition stilisierte Gesetzeswerk hatte die Partei tief verunsichert. Im Landtag stimmten am Ende von 13 Abgeordneten der Linkspartei.PDS (wobei einer im Streit bereits die Fraktion, nicht jedoch die Partei verlassen hatte) nur fünf dem Gesetz zu. Wolfgang Methling hatte in der parteiinternen Auseinandersetzung mit seinem Rückzug von der Spitzenkandidatur gedroht, falls man Mitgliedern der Landtagsfraktion die Zustimmung zum Gesetz unmöglich mache. Jetzt ist Wolfgang Methling mit 84,1 Prozent, wie er sagt "nicht als Ministerpräsidentenkandidat" aufgestellt. Das Programm der Linkspartei.PDS nannte der Umweltminis-ter "rot mit grünem Leitfaden".
Die kleinen Parteien machen sich Hoffnung auf den Einzug in den Landtag. Die Grünen mühen sich kräftig um öffentliche Wahrnehmung. Sie waren noch nie im Schweriner Landtag. Die langjährige Landesgeschäftsführerin Ulrike Seemann-Katz aus Schwerin nimmt Listenplatz 1 ein. Sie will mit dem Einzug in den Landtag vor allem verhindern, "dass SPD, CDU und Linkspartei dort im eigenen Saft schmoren".
Auch bei den Liberalen macht man sich Hoffnung auf einen Einzug in den Landtag. Michael Roolf aus Wismar steht an der Spitze der Landesliste. Er setzte sich bereits auf einer Landesvertreterversammlung im November 2005 in Rostock durch. Erst auf Listenplatz zwei folgt der Landesvorsitzende Hans Kreher. Die FDP regierte in den ersten vier Jahren nach der Wende gemeinsam mit der CDU im Land, verfehlte aber 1994, 1998 und 2002 den Einzug in den Landtag zuweilen recht knapp.
Große Diskussionen gibt es im Land zur Frage, wie wahrscheinlich ein Einzug der NPD in den Landtag ist. Bei der Kommunalwahl 2004 zog die rechtsextreme Partei in mehrere Kreistage, Bürgerschaften und Stadtvertretungen ein. Bei der Bundestagswahl erreichte sie in Mecklenburg-Vorpommern 3,5 Prozent. Im Oktober 2005 legte der Innenminister eine Liste mit 105 Gemeinden (von 814) vor, in denen die NPD auf sieben und mehr Prozent gekommen war. Die am 4. Februar beschlossene NPD-Landesliste führt der 53-jährige Juwelier Udo Pastörs aus Lübtheen an. Schon auf Platz zwei findet sich mit Timo Müller der erste Vertreter der Kameradschaftsszene, die sich in Mecklenburg-Vorpommern stark mit der NPD verzahnt hat. Pikant: Der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster (Listenplatz 4) und Udo Pastörs treten als Praktikanten bei der sächsischen NPD-Landtagsfraktion in Erscheinung und nehmen dort auch schon mal an Ausschusssitzungen teil.
Am linken Rand bewegt sich der mit knapp 140 Mitgliedern kleinste Landesverband der WASG. An der Spitze der Landesliste steht einer der schärfsten Kritiker am Fusionskurs der Bundespartei, der Malchower Philipp Zühlke. Er bezeichnete das Votum des Bundesparteitages gegen Alleinantritte bei Landtagswahlen als nichtig und begründet den Antritt in Mecklenburg-Vorpommern mit der "neoliberalen Politik" der Linkspartei.PDS. Inzwischen ist der Landesvorstand der WASG abgesetzt. Der als kommissarischer Leiter des Landesverbandes eingesetzte Bundestagsabgeordnete Volker Schneider hat die WASG beim Landeswahlleiter von der Landtagswahl abgemeldet. Am 28. Juli entscheidet der Landeswahlausschuss.
Noch ist von Wahlkampf wenig zu spüren. Trotzdem wird es spannend am 17. September. Die erste SPD/PDS-Koalition steht nach 1998 und 2002 zum zweiten Mal vor dem Wähler. Geändert hat sich wenig im armen Nordosten: Hohe Arbeitslosigkeit, geringste Einkommen, hohe Abwanderung. Eine große Koalition nach dem Vorbild im Bund scheint möglich. Die Fortsetzung von Rot-Rot auch. Vielleicht weil sich die SPD so auch eine Option für den Bund offen hält.