Nicht erst seit dem spektakulären Hilferuf der Berliner Rütli-Schule vom vergangenen März diskutieren Bildungsexperten und Politiker darüber, ob und wie die Hauptschule noch zu retten ist. Wie man jedoch Kinder aus bildungsfernen Migrantenfamilien motivieren kann, selbst in ihrer Freizeit Deutsch zu lernen, zeigt jetzt das Projekt "Die Welt spricht Fußball". Es holt die Schüler dort ab, wo sie ohnehin gerne sind: auf dem Fußballplatz.
Der Kurs, der in Nürnberg Anfang März startete, will die Deutschkenntnisse sprachschwacher Schüler verbessern. In zwei Gruppen, natürlich mit jeweils elf Teilnehmern, werden 14 Jungen und acht Mädchen der Scharrer-Hauptschule auf spielerische Weise mit der deutschen Sprache vertraut gemacht.
Ausgedacht hat sich das Pilotprojekt der Dortmunder Germanist Uwe Wiemann. Der 36-Jährige besitzt reichlich Erfahrung, was die Verbindung von Fußball und Sprache betrifft. Zusammen mit den Profifußballern von Bayer Leverkusen hat er seit 2001 das Lehrwerk "Deutsch für Ballkünstler" entwickelt, das inzwischen von mehreren Bundesligavereinen übernommen wurde. Die Ausgangslage in der Scharrer-Schule ist dagegen eine völlig andere. Hier geht es nicht um erwachsene Fußball-Millionäre, sondern um Kinder aus einkommensschwachen Familien von Migranten und Spätaussiedlern. Spätestens seit der PISA-Studie hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der schulische Erfolg dieser Gruppen entscheidend von deren Deutschkenntnissen abhängt. Und um die ist es nicht immer gut bestellt. Peter Stein, dessen "Verein zur Förderung von Bildung und Ausbildung" (VBA) den Kurs anbietet, war entsetzt über die Ergebnisse eines Sprachtests, den er mit 40 potenziellen Kursteilnehmern machte. "Da wächst eine verlorene Generation heran", sagte Stein, "denn die Kinder werden mit ihren schlechten Deutschkenntnissen auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen haben."
Die Defizite der sprachschwächsten Schüler sind im normalen Unterricht kaum auszugleichen. Dafür sind die Klassen zu heterogen. In Elternhaus und Freundeskreis kommen viele Schüler ebenfalls kaum mit der deutschen Sprache in Berührung. Wer jedoch glaubt, ein außerschulisches Angebot stieße bei den Kindern auf wenig Interesse, wird im Falle des Fußball-Projektes eines Besseren belehrt. "Das macht uns Spaß", riefen die Kinder in der zweiten Unterrichtseinheit in die Mikrofone eines Radiosenders, der wie viele andere Medien über das Projekt berichtete. Wobei neun von zehn Schülern zugaben, wegen des Fußballspielens das Angebot gewählt zu haben.
Kursleiterin Ulla Marx ist Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache und findet die Verbindung von Sprache und Fußball "einfach toll". Alles könne sich um den Sport drehen, da es im Sprachunterricht möglich sei, jeden Inhalt über ein bestimmtes Thema zu transportieren. Zu diesen Inhalten gehören so spröde Themen wie Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung und Präpositionen.
Der Kurs selbst besteht aus zwölf Einheiten à 120 Minuten und findet einmal pro Woche statt. Nach einer lockeren Aufwärmrunde in der Halle widmen sich die Fünft- und Sechstklässler zunächst der Grammatik, bevor sie dann unter der Aufsicht von Sportlehrern zeigen dürfen, ob sie den Unterschied zwischen Straf- und Fünfmeterraum verstanden haben.
Mit der vorhandenen Begeisterung ist bereits ein wesentlicher Punkt des Konzeptes aufgegangen: Die Kinder sollen Spaß am Lernen bekommen, sich mit den Feinheiten der deutschen Sprache auseinander zu setzen. Ein zweiter Aspekt des Programms besteht in der Verbindung von Bewegung und Lernen. Wiemann verweist auf Studien, die die positiven Auswirkungen von körperlicher Bewegung auf intellektuelle Leistungen bestätigen.
Diese Überlegungen haben auch das Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dazu bewogen, das Pilotprojekt finanziell zu unterstützen. Zusammen mit der Stadt Nürnberg und dem Bayerischen Landessportverband stellte das Amt 40.000 Euro bereit. Ob das Projekt viele Nachahmer findet, hängt natürlich von den nachweisbaren Lernerfolgen der Schüler ab.
Auch wenn diese sich nicht sofort in besseren Schulnoten niederschlagen, hat Kursleiterin Marx schon schnell positive Effekte festgestellt. "Heute ein tolles Erfolgserlebnis. Alle Kinder hatten gelesen! Einige sogar das ganze Buch!", heißt es auf den Internetseiten des Projektes, wo verschiedene Unterrichtsstunden protokolliert werden. Natürlich geht es in Christian Tielmanns Geschichte "Ein Zwilling kickt selten allein" um Fußball. Woraus die Lehrerin den Schluss zieht, dass "Kinder lesen - wenn man sie dazu anhält, ihnen was Interessantes anbietet und dann darüber spricht".
Ob das Konzept auch mit älteren Jugendlichen funktioniert, wird im kommenden Schuljahr getestet. In einem Berufskolleg im nordrhein-westfälischen Lünen sollen Schüler des Berufsgrundschuljahres die Kombination aus Fußball und Sprache ausprobieren. Wer auch immer bis dahin Weltmeister geworden sein wird: Fußball wird auch dann noch in Deutschland groß geschrieben.
Informationen im Internet:
www.dieweltsprichtfussball.de