Es ist eine Premiere - das betonten die Veranstalter der Diskussionsrunde zum Thema Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit am 23. Mai im Türkischen Haus in Berlin gleich mehrmals an diesem Abend. Ein Treffen dieser Art, so ihre Einschätzung, hätte es im Einwanderungsland Deutschland bislang noch nicht gegeben.
In der Tat sprach schon das überwältigende Interesse der rund 200 Gäste für eine Veranstaltung mit erstaunlichem Charakter: Erstmals wollten der Zentralrat der Juden und die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion, DITIB, gemeinsam über ein Thema diskutieren, das Juden und Türken in Deutschland betrifft, das aber meist jede Gruppe für sich diskutiert - und das auch noch am Tag des Grundgesetzes, an dem die Republik gern die Unverletzlichkeit der Menschenwürde und andere zivilisatorische Errungenschaften erörtert.
Mit den Botschaftern der Türkei, Mehmet Irtemcelik, und Israels, Shimon Stein, äußerten sich an dem Abend gleich zwei Vertreter von Staaten zu Wort, die in der deutschen Außenpolitik eine wesentliche Rolle spielen. Und beide richteten kritische Worte an die deutsche Politik: Der jüngste Verfassungsschutzbericht wie auch die Serie ausländerfeindlicher Vorfälle der vergangenen Monate, so Stein, sprächen eine deutliche Sprache. Politisch aber werde das Thema häufig "bei Sonntagsreden ausführlich besprochen und alltags geht man wieder zur Tagesordnung über". Angesichts dessen sei es, so Stein, "eine "gemeinsame Aufgabe" der in Deutschland lebenden türkischen und jüdischen Gemeinden, sich zu Wort zu melden. Sein türkischer Kollege Irtemcelik ging noch weiter und empörte sich über einige integrationspolitische Forderungen der jüngsten Zeit. Das Motto "Wer sich anpasst, darf bleiben und wer nicht, soll gehen", sei weder realis- tisch noch mit der multikulturellen Gesellschaft zu vereinbaren. Auch die, von denen die Mehrheit behaupte, sie seien nicht angepasst, "gehören zu diesem Land."
Dass es Grund gibt, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie gemeinsam zu betrachten, darüber war man sich auf der Podiumsdiskussion einig. Der Sozialwissenschaftler Andreas Zick, der mit einem Team der Universität Bielefeld jedes Jahr den Stand der Vorurteile untersucht, betonte, dass alle drei Teil einer stetig steigenden "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in Deutschland seien. Konkret: Nach ihren Wertvorstellungen gefragt, finden immer mehr Menschen, dass a) Israel eine Bedrohung für den Weltfrieden darstellt, b) Ausländer das Sozialsystem belasten, und c), es nicht wünschenswert sei, mit Muslimen in einem Viertel zu leben. Viel spräche also angesichts solcher Ergebnisse für die Solidarität zwischen Türken und Juden, konstatierte auch Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen.
Bevor aber das Podium allzu traut mit dem Finger auf die deutsche Rechte zeigen konnte, stellte Mehmet Daimagüler, Ex-Mitglied im FDP-Bundesvorstand, eine Frage, die viele sich schon tuschelnd und nicht allzu laut in der Pause gestellt hatten: Nämlich die nicht ganz unwesentliche, wie es denn - siehe Frankreich - mit den antijüdischen Ressentiments der Muslime in Deutschland aussehe? Der Einschätzung des Türkeiforschers Sen, das sei alles kein Problem, widersprach der Antisemitismus-Experte Martin Kloke ganz vehement: Wenn ein Film wie "Tal der Wölfe" offen antisemitische Stereotype bediene und unter türkischen Jugendlichen ein Riesenerfolg sei, gebe das doch wohl zu denken. Ein Kreuzberger Sozialarbeiter bezeichnete das Ausmaß antisemitischer Vorurteile unter muslimischen Jugendlichen gar als "alarmierend". "Es ist höchste Zeit, dass auch da etwas geschieht", so seine Mahnung.