Es ist die Stunde der Opposition. Bei der Gesetzgebung im Bundestag können FDP, Linke und Grüne gegen die übermächtige Große Koalition nichts ausrichten. Die BND-Affären indes, von denen sich eine zur anderen zu gesellen scheint, verschaffen den drei kleinen Fraktionen nun endlich die Chance, der Regierung kräftig am Zeug zu flicken. Der Geheimdienst selbst liefert ja genügend Munition für solche Angriffe, weswegen das Kanzleramt zusehends in eine wenig angenehme Lage manövriert wird.
Nur mit Mühe halten Max Stadler (FDP), Wolfgang Nescovic (Linke) und Christian Ströbele (Grüne) ihre Triumphgestik im Zaum. Nach der jüngsten Sitzung des Untersuchungsausschusses ergibt sich eine Wendung im Fall des von der CIA verschleppten Khaled El-Masri: Ein Pullacher Agent wusste schon Anfang Januar 2004 von der Entführung des fälschlicherweise unter Terrorverdacht gestellten Ulmer Bürgers und von dessen Übergabe an die US-Amerikaner - wohingegen nach bisheriger Lesart BND und Kanzleramt erst Ende Mai 2004 von diesem Fall Kenntnis erhalten hatten. Laut Pullach will der "Beamte des mittleren Dienstes" die Brisanz dieser Information nicht erkannt und deswegen nicht an die Zentrale weitergeleitet haben.
Stolz vermeldet Stadler Aufklärungserfolge schon vor Beginn der Beweisaufnahme: "Allein die Ankündigung der Zeugenvernehmung hat dazu geführt, dass eine Zeuge seine Erinnerung wiedergefunden hat." Über die Aushebelung der "Vernebelungsstrategie" von BND und Regierung freut sich Nescovic. Eine "Panikreaktion des BND" sieht Ströbele in der Mitteilung Pullachs über die seltsame Rolle des Agenten in Skopje gerade zum jetzigen Zeitpunkt, "da läuten die Alarmglocken". Mit leicht zerknirschter Miene kommentieren CDU-Obmann Hermann Gröhe ("Ein ernster Vorgang") und sein SPD-Kollege Thomas Oppermann ("Es gibt eine Aufklärungslücke") diese Nachricht. Union und SPD hatten den Untersuchungsausschuss als eigentlich überflüssig bezeichnet, weil ja alles schon aufgearbeitet sei.
Die Recherchen zur Verschleppung El-Masris durch den US-Geheimdienst, die in jüngerer Zeit wegen des Wirbels um die Affäre zur Bespitzelung von Journalisten durch den BND in den Hintergrund gerückt war, verheißen für die letzten Juni-Wochen nun einige Spannung: Dann treten unter anderem der Deutsch-Libanese und auch der Agent aus Skopje als Zeugen auf, später werden zudem Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) und der frühere Außenminister Joseph Fischer (Grüne) vernommen. Stadler: "Wir müssen tiefer schürfen", es werde nicht das letzte Mal sein, dass die Regierung ihre Darstellungen korrigieren müsse.
Manch neue Frage steht jetzt im Raum. Auf einen besonders heiklen Punkt verweist Nescovic: Der BND-Mitarbeiter in Skopje habe seine Information erhalten, als El-Masri nach seiner Verhaftung noch in Mazedonien gewesen sei und man dem Deutschen hätte helfen können.
Und die Opposition will sich nicht damit abfinden, dass es sich lediglich um eine "Informationspanne" (BND-Präsident Ernst Uhrlau) gehandelt haben soll. Für Stadler ist es "lebensfremd", anzunehmen, der Agent habe seine Erkenntnis für sich behalten. Man wolle den Bürgern weismachen, streut Nescovic Salz in die Wunde, dass von den zahlreichen Fehlern, die beim BND passiert seien, dessen Spitze nie etwas erfahren habe. Ströbele: "Beim BND ist viel mehr außer Kontrolle geraten als bisher bekannt."
Auf den Ausschuss kommt also jede Menge Arbeit zu. Neben dem Fall El-Masri hat das elfköpfige Gremium die Tätigkeit von BND-Agenten in Bagdad während des Irak-Kriegs, die geheimen CIA-Flüge mit Terrorverdächtigen im deutschen Luftraum und die Verhöre von Gefangenen im Ausland durch deutsche Beamte zu hinterfragen. Vermutlich wird die Kommission auch noch die BND-Spitzelaffäre zu recherchieren haben: Denn die vom Bericht des Ex-Bundesrichters Gerhard Schäfer aufgedeckte Ausforschung von Medienschaffenden und die Anwerbung von Journalisten zur Ausspionierung von Kollegen zwecks Aufdeckung von Informationslecks in Pullach halten FDP, Linkspartei und Grüne noch keineswegs für erledigt. Stadler: "Der Schäfer-Bericht ist der Anfang, nicht das Ende der Aufklärung der Spitzelaffäre." Offen ist, ob ein neuer Untersuchungsausschuss eingerichtet wird oder ob der Auftrag des jetzigen Gremiums erweitert wird, manches spricht für die zweite Variante.
Das Auftauchen des mysteriösen Agenten in Skopje im Fall El-Masri wird wohl nicht die letzte Enthüllung bleiben. Parallel zur Jagd nach neuen Details in der geheimen Schattenwelt hat bereits die Debatte über personelle Konsequenzen aus den Affären und über eine bessere parlamentarische Kontrolle der Dienste an Fahrt aufgenommen. Der Streit vergangene Woche im Bundestag über Vorstöße der Opposition zur Aufwertung des PKG gibt einen Vorgeschmack auf kommende Auseinandersetzungen.
Wer muss Verantwortung übernehmen, wer seinen Hut nehmen? Diese Überlegung ist eng verquickt mit der Frage, inwieweit BND-Spitze und Kanzleramt zwischen Anfang der 90er-Jahre und 2005 über die dubiosen Aktivitäten Pullachs Bescheid wussten, solche Maßnahmen vielleicht gar genehmigten oder in die Praxis umsetzten - für Ex-Richter Schäfer immerhin "ganz überwiegend Rechtsverstöße".
Bislang verfolgen Regierung und Koalitionsfraktionen die Linie, für all das Affären- und Skandalträchtige seien niedere Chargen in Pullach verantwortlich: Das Kanzleramt sei erstmals im November 2005 informiert worden. In der Stellungnahme der Regierung zur Schäfer-Studie über die Journalisten-Observierung heißt es, die für die Eigensicherung des BND zuständige Abteilung in Pullach habe "abgeschottet agiert". In Medien immer wieder auftauchende Meldungen, das Kanzleramt habe bereits früher Hinweise erhalten, werden dementiert. Olaf Scholz, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, nimmt schon mal Außenminister Frank-Walter Steinmeier aus der Schusslinie, der unter Gerhard Schröder Chef der Regierungszentrale war: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für Steinmeier eng wird."
Für die Opposition ist es jedoch undenkbar, dass über ein Jahrzehnt gleich mehrere BND-Präsidenten und Geheimdienstkoordinatoren im Kanzleramt gar nichts mitbekommen haben wollen. Ströbele: "Das können wir nicht glauben, dazu fehlt uns die Phantasie." Auch der Sachverständige Schäfer bezeichnet es als "schwer verständlich", dass der BND gegenüber dem Kanzleramt nichts über die Aktivitäten gegen Journalisten gesagt haben soll. Als gesichert kann mittlerweile gelten, dass der unter Helmut Kohl für die Geheimdienste zuständige CDU-Politiker Bernd Schmidbauer von den Kontakten des früheren BND-Direktors Volker Foertsch zu Journalisten wusste. Und wenn an den Verantwortlichen tatsächlich alles vorbeigelaufen sein sollte, würde dies ein hochproblematisches Eigenleben des Geheimdiensts belegen. Nescovic: "Es gibt schwere Führungs- und Qualitätsmängel, wir haben kein Vertrauen in die BND-Spitze."
Mittlerweile hat Kanzleramtsminister Thomas de Maizière Konsequenzen gezogen. So darf Pullach Journalisten nicht mehr ausforschen und Medienschaffende nicht mehr als nachrichtendienstliche Quellen führen. Für Juni sind neue Dienstvorschriften angekündigt, die eine stärkere interne Kontrolle beim BND und eine gründlichere Unterrichtung der Regierung über dessen Arbeit bewirken sollen.
Vor allem auf Verbesserungen dieser Art setzen die Koalitionsfraktionen auch bei der Debatte im Bundestag über die von der Oppposition geforderten zusätzlichen Kompetenzen für das PKG, dessen Mitglieder zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger verortet die Ursachen für "kritikwürdiges Verhalten" im mangelnden Informationsfluss zwischen BND und Kanzleramt sowie im "persönlichen Fehlverhalten" mancher Pullacher Mitarbeiter und einiger Journalisten. Klaus-Uwe Benneter (SPD) schiebt die Schuld der "abgeschotteten Eigensicherung des BND" zu.
Für FDP, Linkspartei und Grüne verdeutlichen die BND-Affären jedoch, dass es mit der parlamentarischen Aufsicht hapert. "Es ist ein rechtes Kreuz mit der Kontrolle der Geheimdienste", klagt Stadler. Das PKG werde von der Regierung oft zu spät und unvollständig unterrichtet: "Der Aufsichtsrat eines Unternehmens, der informiert wird, wenn die Firma pleite ist, wäre überflüssig." Nescovic empört sich, dass das PKG sein Wissen vor allem "investigativem Journalismus" und nicht den offiziell übermittelten Unterlagen verdanke. Das Gremium, kritisiert der Linkspolitiker, "navigiert den Geheimdiensten hinterher". Man müsse dem PKG "das Geheime nehmen", insistiert Ströbele.
Nescovic verlangt, die Mitglieder des Gremiums sollten Rechtsbrüche der Geheimdienste publik machen können, von denen man im PKG erfahre. Die Vorlagen von FDP und Grünen zielen im Kern darauf ab, die Informationspflichten des Kanzleramts gegenüber dem PKG auszuweiten und dessen neun Angehörigen mehr Möglichkeiten zu eröffnen, Erkenntnisse über Fehler und Skandale der Geheimdienste den Fraktionsvorsitzenden wie der Öffentlichkeit kundzutun. Als Provokation dürfte man beim BND, beim Verfassungsschutz und beim Militärischen Abschirmdienst eine Forderung der FDP empfinden: Mitarbeiter der Dienste sollen sich unter Umgehung ihrer Chefs direkt an das PKG wenden können.
Die Schaffung von mehr Transparenz in den Geheimdiensten wird wohl noch für heftigen Streit sorgen. So ist es für Peter Struck unvorstellbar, dass ein Agent während einer laufenden Aktion das PKG über eventuelle Rechtsverstöße seines Vorgesetzten unterrichtet: "Das kann doch nicht Ihr Ernst sein", wettert der SPD-Fraktionsvorsitzende gegen Stadler. Der CDU-Abgeordnete Binninger: "Geheimdienstarbeit und Geheimdienstkontrolle müssen geheim bleiben." Unter dem Druck der BND-Affären zeichnet sich aber ab, dass es letztlich zu Neuerungen kommen wird. Über eine "sinnvolle Ausweitung" der Kontrollmechanismen solle man reden, wenn der Untersuchungsausschuss seine Ergebnisse präsentiere, sagt der SPD-Politiker Benneter. Binninger kann sich vorstellen, dass im PKG die Beweiserhebung verbessert wird und der Bundestag einen Geheimdienstbeauftragten beruft.