Die Aufregung im Deutschen Bundestag hielt sich zwar in engen Grenzen, doch waren gewisse Irritationen im Präsidium und in den Fraktionen nicht zu leugnen. Am 1. Juni beendete der Ältestenrat die eher auf Sparflamme geführte Diskussion zwischen Politikern und Staatsrechtlern. Die umstrittene Abstimmung über das mit Koalitionsmehrheit beschlossene "Haushaltsbegleitgesetz 2006" vom 19. Mai wird nicht wiederholt.
Was war passiert? Bei der Abstimmung über das Steuererhöhungspaket war es im Parlament zu einer Panne gekommen. Der CDU-Abgeordnete Reinhard Göhner war im Protokoll mit einer Ja-Stimme vermerkt worden, obwohl er zum Zeitpunkt der Abstimmung nachweislich nicht in Berlin war. Gleichzeitig wurde die Stimme von Göhners Fraktionskollegen Jochen-Konrad Fromme als "nicht abgestimmt" gewertet, obwohl Fromme teilgenommen hatte und dies anschließend auch zu Protokoll gab. Dort heißt es in der Anlage 3: "In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet ‚Ja'".
Es war namentliche Abstimmung beantragt worden, so dass später dokumentiert werden konnte, wie die Parlamentarier über die Mehrwertsteuererhöhung um drei auf 19 Prozent ab Jahresbeginn 2007 votiert haben. Nach knapp zweistündiger Debatte hatten 393 Abgeordnete dafür gestimmt, 146 Parlamentarier waren dagegen, drei enthielten sich.
Das klare Ergebnis war ein Fingerzeig darauf, warum die Forderung, die Abstimmung zu wiederholen, nur auf geringe Resonanz gestoßen war. Der FDP-Abgeordnete Dirk Niebel hatte erklärt: "Wenn es bei der Mehrwertsteuerentscheidung zu diesen Unregelmäßigkeiten gekommen ist, gibt es nur eine saubere Lösung: Die Wiederholung der namentlichen Abstimmung im Bundestag."
"Wir sehen keinen Grund für eine Wiederholung," sagte dagegen eine Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion. Aus der SPD hieß es, wenn die Bundestagsverwaltung bei ihrer Prüfung nichts Relevantes finde, werde es keine Wiederholung geben. Auch bei Bündnis 90/Die Grünen sah man keinen Grund für eine neue Abstimmung. Die Linksfraktion sprach von einer eher formellen Geschichte.
Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis argumentierte. "Die Stimme müsste schon entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben. Die Stimme kann auch im Nachhinein als ungültig gezählt werden." Im "Handbuch für die Parlamentarische Praxis", dem von Ritzel/Bücker herausgegebenen Kommentar zur Geschäftsordnung des Bundestages heißt es in der Erläuterung zu Paragraf 52: "Nicht aufklärbare Fehler bei der Stimmabgabe können zu einer Wiederholung der Abstimmung nur dann führen, wenn die Gültigkeit beziehungsweise Ungültigkeit der in Frage stehenden Stimmen für das Ergebnis der Abstimmung erheblich sein kann. Die Geschäftsordnung des Bundestages enthält hierzu keine Regelungen."
Der Ältestenrat, dem Abgeordnete aller Fraktionen angehören, ist auf die Frage der Erheblichkeit fehlerhafter Abstimmungsergebnisse nicht eingegangen. "Eine Wiederholung der Abstimmung, wie sie in der Öffentlichkeit vereinzelt gefordert wurde, ist aus parlamentarischen Gründen ausgeschlossen", wurde einmütig festgestellt. Ein in dritter Beratung gefasster Beschluss des Plenums könne nicht wieder aufgegriffen werden. Stattdessen sollen auch künftig "Unklarheiten" bei Abstimmungen durch offizielle Erklärungen der betroffenen Abgeordneten ausgeräumt und im Protokoll veröffentlicht werden, erklärte die Parlamentspressestelle.