Die Kirche ist jung" lautet die Devise Benedikts XVI. Der 96. Deutsche Katholikentag (24. bis 28. Mai) schien den Teilnehmern das Gegenteil beweisen zu wollen. In Saarbrücken herrschte mitunter gähnende Leere. Vielerorts dominierten ergraute und weiße Schöpfe das Bild. 1990 zählte der erste gesamtdeutsche Katholikentag in Berlin mehr als 100.000 Besucher. In Saarbrücken kamen ganze 8.000 Gläubige zum Eröffnungsgottesdienst, gerade einmal 20.000 waren es beim Schlussgottesdienst. Zu den 26.000 Dauerteilnehmern gesellten sich 14.000 Tagesgäste. Zu berücksichtigen ist, dass diese Zahlen viele einschließen, die ausschließlich durch Schule, Beruf oder aufgrund eines Ehrenamts teilnahmen und dem Grau des Katholikentags nach absolvierter Pflicht schleunigst entflohen. Aufwand und Ergebnis standen in einem denkbar ungünstigen Verhältnis zueinander. Man ziehe nur einmal den Vergleich zu regionalen Highlights des deutschen Kaholizismus, die ohne massive Subventionen und monatelange bundesweite Werbekampagnen auskommen: Mehr als 20.000 Menschen kamen am 26. Mai zum Blutritt nach Weingarten. In den mittelschwäbischen Maria Vesperbild zieht es alljährlich am 15. August allein zum abendlichen Pontifikalamt bis zu 18.000 Gläubige.
"Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" lautete das Thema des Treffens. Es fiel nicht immer leicht, hinter den Binsenweisheiten, die in den Foren zu hören waren, eine christliche Grundhaltung zu erkennen. Viele Referenten begnügten sich damit, Richtigkeiten festzuhalten. Bundespräsident Horst Köhler nutzte seinen Auftritt immerhin zu couragierten Worten gegen die Doppelmoral der Politik auf Kosten ärmerer Länder. Vertreter der katholischen Kirche fielen durch verblüffende Unbedarftheit und gut gemeinte Versprechungen auf. Vor dem Hintergrund ausländerfeindlicher Übergriffe verkündete etwa der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Hans-Joachim Meyer: "Wir werden dafür sorgen, dass in Deutschland kein Mensch, wo immer er herkommt, Angst haben muss, über die Straße zu gehen." Wie nett.
Substanzieller waren die europapolitischen Foren. Sie verschafften zwar keine neuen Erkenntnisse, veranschaulichten aber den Spannungsbogen der nationalen Interessen einzelner Mitgliedsstaaten. Bundeskanzlerin Angela Merkel überzeugte in einer Diskussion mit europäischen Jugendlichen. Schnörkellos, sachverständig und ungezwungen stellte sie sich kritischen Fragen. Erneut plädierte Merkel für einen Gottesbezug in der europäischen Verfassung. Die Europäer vergäben sich etwas, wenn sie ihre Identität als selbstverständlich erachteten und Traditionen zurück-drängten, erklärte sie. Wer sich mit anderen Kulturen verständigen wolle, müsse sich zu seiner eigenen Religion bekennen können. Die Kanzlerin traf in der atmosphärisch dichten Begegnung konstant den richtigen Ton - auch in ihrer Beschreibung der gespannten Beziehungen einzelner Mitgliedstaaten zu den USA. Der ehemalige Präsident der Kommission der europäischen Bischofskonferenzen in der EU (COMECE), Bischof Josef Homeyer unterstrich, die Werte der Verfassung könne man nicht ohne Gott verstehen. Der amtierende EU-Ratspräsident Wolfgang Schüssel verlangte eine EU-Beitrittsperspektive für die Balkanstaaten. Ein Stichwort, das Kroatiens Regierungschef Ivo Sanader dankbar aufgriff und ein konkretes Datum für den Beitritt seines Landes zur EU verlangte. Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker sprach sich für die Einführung von Mindestlöhnen auf europäischer Ebene aus. Die deutsche Debatte in dieser Frage sei überzogen. Kritik an der EU-Erweiterung wies er zurück. Er sehe es lieber, dass die Osteuropäer ihre Hoffnungen auf Europa richteten statt auf Raketen, wie es noch Ende der 80er-Jahre der Fall gewesen sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zeigten sich mit Blick auf die Erweiterung eher skeptisch. Schäuble plädierte erneut für eine privilegierte Partnerschaft statt einer Vollmitgliedschaft für die Türkei. SPD-Chef Kurt Beck wandte ein, der Begriff privilegierte Partnerschaft höre sich zwar gut an, heiße im Gefühl der Türken jedoch "Katzenbank oder zweite Reihe".
Trotz positiver Akzente einzelner Verbände und Vereine blieben die Signale des Katholikentags ambivalent. Zu einer genuin christlichen Botschaft reichte es trotz des mit mehr als 1.000 Veranstaltungen überfrachteten Programms nicht. Dafür bemühten sich führende Kirchenvertreter wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, angestrengt um eine Relativierung des christlichen Wahrheitsanspruchs. Der Kardinal legte Wert darauf, dass es sich bei christlichen Werten um allgemein verbindliche humane Werte handele, "die ich unter Umständen christlich anspitzen kann". Wozu braucht es da noch einen Katholikentag?
Unzählige Veranstaltungen bewiesen, wie weit sich Vertreter der hiesigen Ortskirche von der Weltkirche und ihrer international relevanten politischen Stimme - Papst Benedikt XVI. - entfernen können. Damit schaden sie sich und den Parteien gleichermaßen und bringen sich zugleich um die Möglichkeit, in Fragen des Lebensschutzes und der Bioethik Orientierung zu bieten. Welche gesellschaftliche Kraft soll von einem Treffen ausgehen, das sich vom politischen Mainstream allenfalls durch einen eigenen, spießigen Jargon unterscheidet? Zwar ist der Katholikentag nach wie vor eine medienwirksame Folie für Politiker. Doch sind die Zeiten, in denen der katholische Nachwuchs ein zuverlässiges Rekrutierungspotenzial für politische Parteien darstellte, längst passé. Die Profillosigkeit vieler Foren suggerierte, Beliebigkeit im tagespolitischen Geschäft sei durchaus kompatibel mit der christlichen Botschaft. Auch die Präsenz des Vereins Donum Vitae hinterließ einen schalen Nachgeschmack. Dem Vernehmen nach erhielten Besucher am Stand Informationen über die "Pille danach". Die katholische Kirche in Deutschland ist in der Frage der Schwangerschaftskonfliktberatung zutiefst gespalten. Der Kampf um staatliche Zuschüsse belastet nicht nur die Beraterinnen, sondern auch Politiker, die konsequent für den Schutz des Lebens eintreten und solche, die noch ernsthaft um eine eigene Position ringen.
Eine bezeichnende Bemerkung fiel am Rande des Katholikentags: Die deutschen Bischöfe wollen Kardinal Lehmann zufolge an den Regelungen zum Kirchenaustritt festhalten. Letztlich dürfte es sich darum drehen, Besitzstände zu sichern. Mit Hilfe steuerlicher Extravaganzen oder auch durch Katholikentage.