Keine Föderalismusreform ist besser als diese", lautete das Fazit von Christian Bode, Generalsekretär des DAAD in Bonn. Das Vorhaben würde bereits vorhandene Strukturprobleme verschärfen und das deutsche Bildungswesen international schwächen.
Insgesamt war es einhelliger Tenor sowohl der Gegner als auch der Befürworter der Reform, dass an den vorliegenden Gesetzentwürfen ( 16/813, 16/814) nachgebessert werden müsse. Die Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz, Christiane Ebel-Gabriel, appellierte an die Abgeordneten, über ein nochmaliges Aufschnüren des Reformpaktes nachzudenken und so dem wichtigen Thema Bildung gerecht zu werden.
Bernhard Kempen, Professor an der Universität zu Köln, betonte, auch wenn die Reform wichtig sei, seien an einigen Stellen Retuschen angebracht. Wäre das Paket jedoch bereits so fest zugeschnürt, dass man es "nur noch betrachten darf", dann sei die Anhörung "überflüssig und sinnlos". Der ehemalige niedersächsische Wissenschaftsminister Johann-Tönjes Cassens, bemängelte, gemessen an den Intentionen der Reform blieben "die Ergebnisse unbefriedigend".
Das vorgesehene Kooperationsverbot, nach dem der Bund keine Finanzierungsbeihilfen für den Bildungsbereich mehr gewähren darf, und die vorgesehene Trennung von Forschung und Lehre beim Hochschulbau stießen insbesondere bei den Vertretern der Hochschulen auf Widerstand. Sie befürchten, dass es in Zukunft nahezu unmöglich sein wird, dass der Bund Sonderprogramme finanziert oder Finanzhilfen etwa zum Ausbau der Ganztagsschulen geben kann. Die Experten bewerten auch die Abweichungsrechte der Länder skeptisch: Statt 16 verschiedener Regelungen sei insbesondere bei Zugangsvoraussetzungen und Hochschulabschlüssen eine "einheitliche und kontinuierlich verlässliche Struktur" nötig, sagte Christiane Ebel-Gabriel.
DAAD-Generalsekretär Bode bezeichnete die abweichungsregelungen als "abenteuerliches Instrument". Sollte es dabei bleiben, empfehle er die Einrichtung eines "Ausbildungsberufes Rechtspfadfinder", um den Überblick darüber zu behalten, was in welchem Land gelte. Grundsätzlich seien aber seiner Ansicht nach weder bei Zugang noch Abschlüssen Regelungen des Bundes nötig: Die Abschlüsse würden ohnehin durch den Bologna-Prozess europaweit geregelt, zum Hochschulzugang gebe es ein bindendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Ebel-Gabriel betonte dagegen, Bologna gebe keine verbindlichen Strukturen vor. Für ein Funktionieren des gewünschten Wettbewerbs im Bildungsbereich seien Rahmenbedingungen nötig. Manfred Erhardt, ehemaliger Wissenschaftssenator, regte an, dass die Länder künftig gemeinsam mit den Hochschulen die Möglichkeit haben sollten, mit ihren speziellen Kenntnissen der Situation vor Ort die Kapazitäten pro Studiengang festzulegen.
Der Geschäftsführer des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Professor Wolfgang Klös, wies darauf hin, man müsse bei der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen darauf achten, wie stark die Regelungen auf Dritte wirkten. Er folgerte, die Kompetenzen im Bereich der Vorschulen und Schulen müssten beim Bund liegen, der "verbindliche Mindeststandards" schaffen solle. Auch der Bereich von Hochschulzugang und Abschlüssen müsse auf Bundesebene geregelt sein, während der Hochschulbau Ländersache sei. Er schlug den Einstieg in ein "neues Finanzierungssystem" zwischen Bund und Ländern vor: Während die Länder die angewandte Forschung finanzieren sollten, sei die Grundlagenforschung Sache des Bundes.
Auch Befürworter des Reformpaketes wie der ehemalige Kultusminister im Saarland und in Niedersachsen, Wolfgang Knies, kritisierten Einzelregelungen: Die Beschränkung der Gemeinschaftsfinanzierung auf Forschungsbauten werfe die Frage auf, ob damit den realen Zusammenhängen Rechnung getragen würde. So handele es sich bei einer Universitätsbibliothek sowohl um ein Lehrmittel für Studenten als auch um ein Hilfsmittel der Forschung. Auch ein klinisches Labor diene Forschung und Versorgung gleichermaßen.
Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf kritisierte, das Reformgesetz bliebe in der Begründung seiner Ziele zu "zurückhaltend". Biedenkopf befürchtete, die Förderung außeruniversitärer Forschung könne das Leistungsgefälle zwischen Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen verstärken. Bereits heute hätten die Hochschulen "erhebliche Probleme", qualifizierte Forscher anzuwerben. Biedenkopf betonte, über die Planungen bezüglich der Finanzierungsfragen könne man erst realistisch nach der noch ausstehenden Finanzverfassungsreform sprechen. Es sei momentan noch unklar, "was die Länder künftig leisten können". Erst eine "echte Finanzreform" versetze die Länder in die Lage, ihre Bildugnaufgaben erfüllen zu können. Auch Klaus Landfried, ehemaliger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, bemängelte, es sei unklar, was bis zur Finanzverfassungsreform geschehen solle. Diese sei zwar ein "wunderschönes Wolkenbild, aber derzeit noch weit entfernt".
Hans-Peter Schneider, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Instituts für Föderalismusforschung, betonte, das vorliegende Reformpaket müsse schnell um eine "Föderalismusreform II" ergänzt werden. Er konstatierte der Reform ein Novum: Der Anspruch der Bundesländer, im Bildungsbereich auf alle Zuständigkeiten zu pochen, sei "auf der Welt ohne Beispiel". Selbst in bundesstaatlich organisierten Staaten wie den USA oder Kanada werde die substanzielle Mitwirkung der Zentralregierung in diesem Bereich "nicht ernsthaft in Frage gestellt".
Auf Fragen der Bundestagsfraktionen und von Vertretern des Bundesrats nach der Notwendigkeit einer baldigen Finanzverfassungsreform betonten mehrere Sachverständige, wenn es nicht möglich sei, beide Reformen gleichzeitig anzugehen, müsse man zunächst den materiellen Teil regeln. "Die Aufgabenerfüllung hat Vorrang", so das Fazit von Ferdinand Kirchhof von der Eberhard Karls Universität Tübingen. Diese Einschätzung teilte der ehemalige Ministerpräsident Bernhard Vogel. Man dürfe nicht einen Teil der Reform zurückstellen, weil der andere noch nicht angegangen werden könne. Die geplante Finanzreform stehe vor erheblichen Schwierigkeiten: "Die Verteilung wird sich ändern, aber die Masse wird nicht wachsen."
Auch in den Fragerunden bekräftigten die Experten ihre Kritik sowohl am geplanten Kooperationsverbot wie auch am Wegfall der gemeinsamen Hochschul-baufinanzierung. Während der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Ulrich Thöne, das Kooperationsverbot "absurd" nannte, begrüßte Vogel es als überfälliges "Einmischungsverbot". Der Föderalismusforscher Hans-Peter Schneider und Wolfgang Klös betonten, dass das Erziehungs- und Bildungswesen aufgrund seiner immensen Bedeutung für eine strikte Trennung der Bundes- und Landeskompetenzen nicht geeignet sei. Gerade hier müsse man zusammen arbeiten. Biedenkopf wies ebenfalls nachdrücklich darauf hin, dass die hoch entwickelten Volkswirtschaften noch stärker als bisher darauf angewiesen seien, das "geistige Potenzial" zu erhöhen und auf ein Wachstum der Intelligenz zu setzen.