Der Druck auf Langzeitarbeitslose wächst. Nach turbulenten Tagen in Ausschuss und Plenum beschloss der Bundestag am 1. Juni Korrekturen an der Hartz-IV-Arbeitsmarktreform. Diese sollen eine bessere Bekämpfung von Leistungsmissbrauch ermöglichen und bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2009 bis zu 4,84 Milliarden Euro an Einsparungen bringen. Vorgesehen ist, denjenigen das Arbeitslosengeld II (Alg II) komplett zu streichen, die binnen eines Jahres drei Arbeitsangebote ablehnen. Mit Sofortangeboten will die Koalition neuen Antragstellern in Sachen Arbeitsbereitschaft auf den Zahn fühlen. Der Datenabgleich zwischen den Behörden zum Aufspüren verschwiegener Vermögenswerte wird erleichtert.
Die Linksfraktion ließ nichts unversucht, die Pläne der Koalition zu stoppen. Sowohl im Ausschuss als auch im Plenum bemühte sie sich mit Geschäftsordnungsanträgen, die Verabschiedung des kurzfristig geänderten Gesetzentwurfs zumindest hinauszuzögern. Aus Protest verließen ihre Abgeordneten geschlossen die Ausschusssitzung. Ihr Fraktionskollege Klaus Ernst zückte während der abschließenden Debatte im Plenum gar eine Fußfessel mit Eisenkugel, um zu verdeutlichen, dass die verschärfte Pflicht für Arbeitslose zum Aufenthalt am Wohnort unzumutbar sei. Prompt handelte er sich einen Ordnungsruf der Vize-Parlamentspräsidentin Katrin Göring-Eckardt ein.
Auch Bündnis 90/Die Grünen kritisierte den Gesetzentwurf scharf. Ihre Abgeordnete Brigitte Pothmer bezeichnete das Verhalten der Linken aber zugleich als "unparlamentarisch". Zur Sache sagte sie, es seien nicht die Arbeitslosen, die Vereinbarungen nicht einhielten. Vielmehr fehle es an Angeboten. "In Sachen Förderung sind Sie die Faulenzer. Sie liegen in der großkoalitionären Hängematte und tun nichts anderes, als sich gegenseitig anzunörgeln", rief sie den Abgeordneten von Union und SPD zu. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel wurde noch deutlicher: "Sie streiten sich wie die Kesselflicker."
Auf den sich zuspitzenden Konflikt der Koalitionspartner in der Frage einer möglichen Generalrevision von Hartz IV ging auch Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) ein. Über Kombi- und Mindestlohn und darüber, "wie sich das Ganze verhält zu Alg II" werde wie vereinbart im Herbst gesprochen. Es sei "keinerlei Hektik nötig", mahnte der Minister. Er verteidigte die Hartz-IV-Korrekturen, wies aber zugleich Darstellungen einiger Unions-Ministerpräsidenten zurück, wonach die Kosten für das Alg II explodierten. Zwar würden die im Haushalt 2006 eingeplanten 24,4 Milliarden Euro möglicherweise nicht ausreichen. Die Kostensteigerung werde mit bis zu fünf Prozent aber im Rahmen bleiben.
Für die Unions-Fraktion betonte der CDU-Parlamentarier Karl Schiewerling, es sei auch eine Frage der Menschenwürde, dass derjenige, der mit seiner Hände Arbeit den Familienunterhalt verdiene, mehr Geld in der Tasche habe, als jemand, der von Transferleistungen lebt. "In der Grundsicherung zu verharren und sich ein paar Euros dazuzuverdienen", sei keine akzeptable Haltung. Hier müsse ein Umdenken stattfinden, das die Koalition mit ihrem Gesetzentwurf befördern wolle. Der FDP-Fraktion gingen die Änderungen nicht weit genug. Der Gesetzentwurf sei nicht mehr als ein "Zwischentrippelschritt", bemängelte ihr Sozialexperte Heinrich Kolb. Der Kern des Problems sei, dass Hartz IV Anreize schaffe, "sich in der Hilfe einzurichten". Das gehe die Koalition nicht an. Notwendig sei beispielsweise eine Pflicht zur Teilnahme an Telefonbefragungen.
Für den Gesetzentwurf stimmten die Unions-Fraktion und die Mehrheit der SPD-Fraktion, dagegen die Fraktionen von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Auch zwei SPD-Abgeordnete votierten mit Nein. 14 Parlamentarier enthielten sich. Der Großteil der Änderungen tritt Anfang August in Kraft, wenn der Bundesrat am 7. Juli zustimmt.