Verleger produzieren Bücher, die man lesen, und solche, die man bloß betrachten soll. Der Bildband "Unterwegs auf den Weltmeeren" zählt zur zweiten Kategorie - denn der auf hochwertigem Papier gedruckte Band ist mit 115 farbigen Abbildungen oppulent ausgestattet. In manche Szenen der Bilder kann man sich stundenlang vertiefen und sieht dann Details, die einem im Museum im Menschengedränge sicherlich entgehen wären. Doch dafür bedarf es einer gewissen Kraftanstrengung: Das Buch im Folio-Format ist schwer wie ein Autoreifen.
Laut Titel beschreibt der Autor die allgemeine Fernhandelsentwicklung auf den Weltmeeren. Aus wenig überzeugenden Gründen wird dies in den Abbildungen aber nicht deutlich, denn es werden vornehmlich alte portugiesische und niederländische Ansichten gezeigt. Das Buch hätte von daher eher den Titel "Einstmals auf der Gewürzroute" oder "Der östliche Seeweg nach Indien" verdient. Der Verlag hatte dann aber wohl die Idee für die deutsche Ausgabe einen vollmundigeren Titel zu wählen, der dem Leser verspricht, eine Reise über die Handelsrouten unternehmen zu dürfen - leider vergeblich.
Denn andere Welthandelsrouten bleiben weitgehend unberücksichtigt: Etwa das wichtigste Teilstück des so genannten "westlichen Seewegs nach Indien", den Kolumbus 1492 suchte und dabei Amerika fand und den Magalães 1520-21 über den Pazifik befuhr. Diese von Kolumbus entdeckte Route über den Atlantik war mit ihren verschiedenen Varianten bis zum Aufkommen des Flugverkehrs die bedeutendste Strecke des Weltverkehrs. Der Atlantikverkehr ließ schon zum Beginn des 16. Jahrhunderts den Asienhandel hinter sich: sowohl in der Zahl der beförderten Personen wie auch hinsichtlich der Menge der beförderten Güter. Vom Hafen Chaunu fuhren allein im Zeitraum von 1504 bis 1650 von Spanien aus 10.635 Schiffe nach Amerika. Darunter waren die berühmten Silber-Galeonen. Allein der Gesamtwert der Edelmetalleinfuhren belief sich zwischen 1503 und 1600 auf etwa 3.000 Milliarden Pesos. Dazu wurden begehrte Güter wie Koschenillefarbstoffe und Indigo zum Blaufärben von Textilien befördert. In den Frachträumen wurden zudem Farbhölzer, Häute, Leder, Heilpflanzen und daraus gewonnene Arzneien, Perlen, Kakao und später Zucker, Kaffee und Tabak transportiert. Von den Neufundlandbänken kamen zehntausende von Schiffsladungen Fisch als südeuropäische Fastenspeise.
Zu dem in dem Buch nur unzureichend erwähnten Amerikaverkehr müssen auch englische "merchant adventurers" nach Spanisch-Amerika, normannische und niederländische Schmuggler und Kaperfahrer sowie nordeuropäische Walfänger gerechnet werden. Es ist davon auszugehen, dass allein im 16. Jahrhundert 8.000 bis 10.000 "Einheiten" den Atlantik hin und zurück überquert haben dürften: mindestens das Zehnfache an Schiffen als im Gegenzug auf der asiatischen Gewürzroute unterwegs waren.
Unerwähnt bleibt auch die gefahrenreichste Route über die Ozeane an sich: die über den Pazifik: Sie wurde 200 Jahre lang, von 1615 bis 1815, von der so genannten Manila-Galeone befahren. Auch spätere für die Schifffahrt bedeutende Seewege wie die durch den Suezkanal und den Panamakanal finden in dem Buch keine Berücksichtigung.
Der Bildband bietet trotz des hohen Anspruchs nur wenig erklärende Textpassagen: Beim Leser wird daher zum Teil der Anschein erweckt, er sei lediglich geschrieben worden, um prächtige Bildquellen wissenschaftlich zu garnieren. So wird insgesamt unzutreffend der Eindruck eines soliden Grundlagenwerks suggeriert. Der Text ist aber nichts anderes als eine essayartige, hier und da lückenhafte Geschichte des von Europa aus in Gang gekommenen Asienhandels. So bleibt es ein Buch, das hauptsächlich wegen seiner Abbildungen bemerkenswert ist: ein Prachtband und damit schönes Geschenk für Meeresfreunde, denen der Genuss schöner Bilder wichtiger ist als eine fundierte wissenschaftliche Darstellung.
François Belle: Unterwegs auf den Weltmeeren. Die Geschichte der großen Handelsrouten. Knesebeck-Verlag, München 2005; 176 S., 49,95 Euro