Hamburg war das Tor des Deutschen Reiches zur Welt. Um 1900 lebten bereits über eine Million Menschen in der Hansestadt, sie war nach London und New York der drittgrößte Hafen, mit einem Anteil am globalen Handel von rund fünf Prozent. U-Bahn, Hagenbecks Tierpark, die großen Museen und Theater - vieles davon wurde vor dem Ersten Weltkrieg gebaut. Größe und Reichtum nicht allein dieser Metropole hingen von der maritimen Wirtschaft ab, die im Kaiserreich eine enge Verbindung mit Politik und Staat eingegangen war.
Die Seeschifffahrt steht für Integration, Expansion und Intensivierung der Weltwirtschaft. Schifffahrt ist Voraussetzung und Grundlage der Internationalisierung der Ökonomie - damals, wie heute. Über 90 Prozent des Welthandels wird über die "blaue Straße" transportiert. Trotzdem, so beklagt der Berliner Sozialwissenschaftler Hartmut Rübner zurecht, mangelt es an wissenschaftlichen Untersuchungen über den deutschen Beitrag an dieser frühen so genannten Globalisierung bis zum Ersten Weltkrieg. Erst ein knappes Jahrhundert später werden Seeschifffahrt und Globalisierung das damalige Niveau erneut erreichen. Und erst in der vereinten Bundesrepublik wird wieder ein maritimer Komplex entstehen, der Staat, Politik, Wirtschaft, Marine und Gewerkschaften zusammen bringt. Eine politische, strategische Antwort auf die Herausforderungen der modernen Globalisierung.
"Der Handel folgt der Flagge", war ein in der verspäteten Schifffahrtsnation weit verbreitetes Schlagwort und Begründung für das Flottenprogramm von Admiral Alfred Tirpitz: "Nationaler Welthandel, Werftindustrie, bis zu einem gewissen Grade auch Hochseefischerei, Weltverkehr und Kolonien sind unmöglich ohne eine der Offensive fähige Flotte." Das aggressive, antihansische Konzept fand - trotz des Widerspruchs von Bismarck - reichsweite Anhänger in Industrie und Wirtschaft, beim Kaiser sowie im Parlament und hatte im Flottenverein eine populäre Massenbasis mit mehr als einer Million Mitgliedern. Dieser frühe maritime Komplex endete in der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Rübners exzellentes Werk bietet wenig für reine Schiffsliebhaber, dafür aber dringend notwendigen Lesestoff für die politische und historische Diskussion.
Hartmut Rübner: Konzentration und Krise der deutschen Schiffahrt. Maritime Wirtschaft und Politik im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Haunschild Verlag, Bremen 2006; 524 S., 45 Euro