Noch während der Staatswerdung entwickelte sich ein intensiver diplomatischer Dialog, der aufgrund der konvergierenden Interessen beider Nationen im Laufe der Geschichte mehrfach in ein formales Bündnis mündete. Wie bekannt war der Ausgang dieser Allianzen und Absprachen aber nur in seltenen Fällen als glücklich zu bezeichnen. Krieg und Verrat, Täuschung und Enttäuschung, Wiederannäherung und neues Misstrauen waren die immer wiederkehrenden Konstanten im deutsch-italienischen Verhältnis, das bis heute von wechselseitigen Fehlwahrnehmungen, falschen Erwartungen und zählebigen Klischees geprägt bleibt wie den gegenseitigen Vorurteilen von "italienischer Unzuverlässigkeit und Feigheit" und "deutscher Anmaßung und Überheblichkeit". Die Entstehung und Wirksamkeit dieser Denk- und Verhaltensmuster ist das Thema, dem Gian Enrico Rusconi in seinem Buch "Italia-Germania-Europa" nachgeht, das drei Jahre nach seinem Erscheinen nun auch in deutscher Übersetzung mit einer aktualisierten Schlussbetrachtung vorliegt.
Der Turiner Historiker und Politologe spannt in seiner brillanten Darstellung den Bogen von der Gründung der Nationalstaaten über den Dreibund zur unseligen Allianz der Diktatoren. Weiter beschreibt er Wiederaufbau und Kalten Krieg bis zum Fall der Mauer und die ersten dramatischen Ereignissen des 21. Jahrhunderts. Schon die erste Episode - das von Bismarck 1866 gegen Österreich geschmiedete Militärbündnis zwischen Preußen und dem gerade aus der Taufe gehobenen Italien - zeigt dabei im Kern bereits alle, im Weiteren immer wiederkehrenden Elemente: als Ausgangspunkt ein gemeinsames Interesse an der Niederhaltung der Flankenmächte Österreich und Frankreich. Besiegelt wurde dies in einem missverständlichen Pakt, der für Italien aufgrund unzureichender Vorbereitungen in einer militärischen Katastrophe endete, worauf die deutsche Seite sich berechtigt sah, den Bündnispartner bei allen weiteren Entscheidungen zu übergehen. Der an einer langfristigen Allianz interessierte Bismarck vermied eine allzu deutliche Brüskierung der Italiener, die ihr Kriegsziel dank preußischer Fürsprache doch noch verwirklichten. Auf italienischer Seite aber blieb das Gefühl der Demütigung durch ihre militärische Schwäche.
Während die ersten Nachfolger Bismarcks diese besondere Gefühlslage noch berücksichtigten, war die deutsche Diplomatie in späteren Jahren weniger einfühlsam; erst recht nach der Aufkündigung des Dreibunds und dem Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente. Giovanni Giolitti hatte sich gegen diese Politik gestemmt, die er selber als "Verrat" brandmarkte, doch wurden die Neutralisten 1915 von einer Minderheit um Ministerpräsident Antonio Salandra und Außenminister Sidney Sonnino überspielt, die das Land in einen Krieg verwickelten, für den es einmal mehr nur unzureichend gerüstet war.
Die gleichen Mechanismen wiederholten sich dann 1939/40, als Deutschland und Italien mit beinahe diametral entgegengesetzten Zielvorstellungen den Stahlpakt abschlossen, wobei die deutsche Führung ihre wahren Absichten bewusst verschleierte und dann rücksichtslos Fakten schuf, die die mangelnde Vorbereitung der Italiener bloßstellten. Mussolini führte, um dem Vorwurf des "Verrats" zu entgehen und zur Wahrung des eigenen "Feldherrnprestiges", sein Land im Juni 1940 in den Krieg, der in die nächste Katastrophe mündete.
Besonders in diesem ersten Teil der Darstellung schreibt Rusconi oft klassische Diplomatiegeschichte. Sie zeigt auf, wie die Haltung auf beiden Seiten, insbesondere 19 14/15 und 1939 bis 1943 manchmal von Woche zu Woche zwischen höchster Kooperationsbereitschaft und abgrundtiefer Empörung schwankt. Eine Schwäche des Buches ist allerdings die Tatsache, dass die Darstellung die Jahre von 1915 bis 1939 überspringt, wodurch die Genesis der besonderen Beziehung der beiden Diktatoren verloren geht.
Bekanntlich stand Mussolini nach 1933 anfangs im antideutschen Lager, und während der Dollfuß-Krise im Juli 1934 war er Hitler als einziger in Europa entschlossen in die Parade gefahren. Einmal im deutschen Fahrwasser aber führte die Diskrepanz zwischen den eigenen Mitteln und Ambitionen in kurzer Zeit zu weitgehender Fremdbestimmung. Am Ende stand die Absetzung des Duce am 25. Juli 1943, die als ein Versuch zur Wiedergewinnung der eigenen Souveränität gewertet werden muss. Sechs Wochen später erfolgte der durch die deutsche Reaktion beschleunigte Frontwechsel, der zur beinahe vollständigen Besetzung Italiens durch die Wehrmacht führte. Nach diesem, erneut als "Verrat" empfundenen Zerwürfnis ließen die Deutschen alle Hemmungen fallen, wie die von deutschen Truppen verübten Massaker und die unmenschliche Behandlung der italienischen Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen bezeugen.
Nach dem Krieg galten diese Erfahrungen zunächst als Hindernis bei dem Bemühen um einen Schlussstrich unter die Vergangenheit. Weil die deutschen Lager nicht selten unmittelbar zur Familiengeschichte gehören, hat man als deutscher Tourist auch heute noch in Italien die größten Chancen, auf die NS-Verbrechen angesprochen zu werden. Adenauer und De Gasperi hatten zunächst andere Sorgen. Beide verfolgten den gleichen Weg der Westbindung, um dem eigenen Land die Souveränität zurückzugeben. Nach Gründung der EWG zeigte sich bald wieder die alte Interessenkonvergenz, wenn es darum ging, ein Gegengewicht zu Frankreich zu bilden. So entstand das Dreieck Paris-Bonn-Rom als Alternative zur Achse Bonn-Paris, wobei Deutsche wie Franzosen im Zweifel aber immer ihre Achse privilegierten. Die gegen die Überschätzung der eigenen Rolle weniger gefeiten Politiker in Rom fühlten sich dadurch übergangen, und seit der Wiedervereinigung ist dieses Gefühl nur stärker geworden. Insbesondere nach der Weigerung Genschers, seinen Kollegen Gianni De Michelis an den Zwei-plus-Vier- Verhandlungen zu beteiligen, bei der übereilten Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch Deutschland und bei der Definition des Stabilitätspakts.
Aus italienischer Sicht droht damit der Rückfall in die deutsche Bereitschaft, einen Partner zu überspielen, den man seit dem eigenen Machtzuwachs für entbehrlich hält. Unter Romano Prodi hatten die Italiener mit der Einhaltung der Maastricht-Kriterien zumindest einmal die richtige Antwort parat. Von seinem Nachfolger Berlusconi aber wurde seit 2001 aus deutscher Sicht wieder die alte Trilogie italienischer Untugenden aufgeführt: Untreue, Prestigesucht und Selbstüberschätzung. Auch hier waren die alten Denkmuster am Werk, insbesondere das Trauma des "Verrats" und der Antimythos des "kriegsunfähigen Italieners", die Berlusconi durch unbedingtes Ausharren an der Seite des amerikanischen Partners zu bannen suchte, freilich um den altbekannten Preis wachsender Fremdbestimmung in einem nicht gewollten Konflikt.
Es ist schade, dass der Autor diese Aspekte der jüngsten italienischen Diplomatie kaum beleuchtet. Statt einer Bewertung der Außenpolitik Berlusconis und einer Neubestimmung der italienischen Interessen, steht deshalb bei Rusconi nur ein abschließendes Plädoyer für eine gemeinsame europäische Außenpolitik. Diese ist zwar zweifellos dringend geboten, kann aber sicher nicht funktionieren, wenn die politischen Eliten nicht in der Lage sind, die eigenen nationalen Interessen zu formulieren und in eine langfristige Strategie einmünden zu lassen.
Gian Enrico Rusconi: Deutschland-Italien - Italien-Deutschland. Geschichte einer schwierigen Beziehung von Bismarck bis zu Berlusconi. Ferdinand Schöningh, Paderborn/München/Wien/Zürich, 2006; 410 S., 39,90 Euro