Es geschieht nicht alle Tage, dass die europäischen SPD-Abgeordneten Post von ihren Parteifreunden in Berlin bekommen. Vor der Abstimmung über das Siebten Forschungsrahmenprogramm aber erinnerte Peter Röstel (SPD) seine EU-Genossen daran, was die große Koalition in Berlin gerade zur EU-Forschungsförderung beschlossen hatte: Sie forderte die Bundesregierung auf, "darauf hinzuwirken, dass die Europäische Union keine Forschungsprojekte fördert, bei denen Embryonen zu Forschungszwecken hergestellt oder vernichtet werden." In Deutschland darf nur an Stammzelllinien geforscht werden, die vor dem 1. Januar 2002 entstanden sind. Nur in drei europäischen Ländern - Belgien, Schweden und Großbritannien - ist eine derartige Forschung ohne jede Einschränkung erlaubt. Röstel empfahl seinen Kollegen, die deutsche Gesetzeslage zu respektieren. "Ethisch schwierige Fragen sollten den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Man würde der EU-Kommission ja auch nicht empfehlen, die Abtreibung auf europäischer Ebene regeln zu wollen", sagte Röstel dem "Parlament".
Sein Appell war vergebens. Am 15. Juni stimmte eine knappe Mehrheit der Abgeordneten in Straßburg, dafür, "Forschung unter Verwendung menschlicher Stammzellen, sowohl adulter wie embryonaler" entsprechend den rechtlichen Rahmenbedingungen des Antrag stellenden Mitgliedslandes zu fördern.
Der verantwortliche Berichterstatter, der konservative polnische Abgeordnete Jerzy Buzek, hatte sich zuvor hinter den Kulissen darum bemüht, einen Kompromiss auszuhandeln, dem die große Mehrheit des Parlaments hätte zustimmen können. Doch die Meinungen bei diesem heiklen ethischen Thema gehen sogar innerhalb der Fraktionen auseinander. Während zum Beispiel die deutsche Grüne Hiltrud Breyer in der Verwendung von Eizellen zu Forschungszwecken eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit der Frau sieht, stellen andere grüne Abgeordnete die Heilungschancen für Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson in den Vordergrund. Eine kleine Gruppe christlicher konservativer Abgeordneter lehnt aus Respekt vor dem ungeborenen Leben jegliche Forschung mit embryonalen Stammzellen ab. Die Mehrheit des Frauenausschusses hätte eine Stichtagsregelung wie im deutschen Gesetz für akzeptabel gehalten. Ihnen geht es vor allem darum, keinen wirtschaftlichen Anreiz dafür zu schaffen, dass Frauen als Eizellenspender missbraucht werden. Für diese Position hatte es im vergangenen Jahr im EU-Parlament noch eine Mehrheit gegeben. Die Abgeordneten des Frauenausschusses hatten deshalb vorgeschlagen, dass die verwendeten Stammzelllinien vor dem 31. Dezember 2003 entstanden sein müssen. Dieser Kompromiss war aber vergangene Woche im EP nicht mehrheitsfähig.
Die EU-Kommission hatte in ihrem ursprünglichen Text lediglich verlangt, die Forschungsprojekte müssten "ethische Grundprinzipien" berücksichtigen. Sie versucht die Debatte durch die Zusicherung zu entschärfen, die Entstehungsbedingungen der Stammzelllinien würden bei jedem Projekt genau geprüft. Auf eine Anfrage der grünen EU-Abgeordneten Hiltrud Breyer konnte die Kommission allerdings keine Auskunft darüber geben, wie in den neun fraglichen Projekten aus dem 6. Forschungsrahmenprogramm (2000 bis 2006) die Zelllinien gewonnen worden waren.
In der Debatte im Europaparlament wiesen mehrere Redner darauf hin, dass Stammzell-Forschung nur ein Tausendstel des für die nächsten sieben Jahre eingeplanten Budgets von 50 Milliarden Euro ausmacht. Die positive Nachricht, dass künftig ein unabhängiger Forscherrat die Projekte für die Grundlagenforschung vergeben wird und dass mittlere Betriebe stärker an der Innovation beteiligt werden sollen, rückte darüber in den Hintergrund. Auch die von Grünen und Umweltgruppen kritisierte Tatsache, dass in der nächsten Finanzperiode Atomforschung acht Mal so viel Förderung wie erneuerbare Energien erhält, ging völlig unter. Das gesamte Paket muss nun vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Deutschland, Malta, Polen, Österreich und die Slowakei haben bereits angekündigt, kein Geld europäischer Steuerzahler für die Forschung mit embryonalen Stammzellen freigeben zu wollen. Auch die Position des Deutschen Bundestages in dieser Frage ist eindeutig: "Es sollten solche Forschungsprojekte von der EU nicht gefördert werden, an denen sich einzelne Mitgliedstaaten aus Rechtsgründen nicht beteiligen können", heißt es in dem Beschlussantrag von Union und SPD.