Sie könne die Vergangenheit nicht aus ihrem Leben streichen, hat Charlotte Knobloch, die am 7. Juni gewählte Präsidentin des Zentralrates der Juden, kürzlich gesagt. Für sie und ihr neues Amt hat dies besondere Bedeutung. Denn mit der 73-jährigen Münchnerin wird voraussichtlich zum letzten Mal eine Zeitzeugin des Holocaust der Organisation vorstehen. Ihre lebenslange Erfahrung hob Bundestagspräsident Norbert Lammert in einem Glückwunschschreiben hervor: Er freue sich über ihre Wahl, so Lammert, denn "schließlich steht Ihr Name seit Jahrzehnten für ein beeindruckendes Werk der Verständigung und der Versöhnung zwischen Juden und nichtjüdischen Deutschen, zwischen Juden und Christen."
In einem Punkt ist Knobloch jedoch unversöhnlich: beim Thema Fremdenhass und Antisemitismus - den Kampf dagegen hat sie zu einem der zentralen Ziele ihrer Amtszeit erklärt. "Wir dürfen uns dieses Land nicht von den rechten Banden zerstören lassen", sagt Knobloch gegenüber der Zeitung "Das Parlament". Ihr Wunsch ist es, die "jüdische Gemeinschaft in diesem Land aus der Zurückgezogenheit" zu holen und stärker an den gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen. Deutlich vernehmbar wurde ihre Stimme zum Beginn der Fußball-WM. Da forderte sie Bundesregierung und die EU unmissverständlich auf, dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, der ganz offiziell den Holocaust verleugnet, die Einreise zu verweigern.
Innerhalb der jüdischen Gemeinden will sich Knobloch vor allem um die Einbindung der Zuwanderer aus dem Osten kümmern. "Ich will erreichen, dass wir die Zuwanderung als Chance begreifen", sagt sie. Damit setzt sie ganz bewusst den Weg fort, den ihr Vorgänger Paul Spiegel eingeschlagen hatte. Er war am 30. April im Alter von 59 Jahren gestorben.
Auch Spiegel hatte sich in seiner Amtszeit immer für eines stark gemacht: "Die Aussöhnung von Juden und Deutschland, von deutschen Juden mit ihrem Land stand im Mittelpunkt seines Wirkens", so Lammert bei einer Würdigung des Verstorbenen am 11. Mai im Deutschen Bundestag. Und er fügte hinzu: "Paul Spiegel hat nicht geschwiegen, wenn es Anlass zu Kritik oder zur Mahnung gab. Aber er hat sich nicht zu allem und jedem geäußert. Auch deshalb hatte sein Wort so großes Gewicht und fand sein Wirken so viel Respekt", sagte Lammert vor den Abgeordneten. Dabei erinnerte der Bundestagspräsident auch an den Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden aus dem Jahr 2003. Darin verpflichtete sich die Bundesregierung unter anderem, zum Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland beizutragen.
Als neue Präsidentin des Zentralrats sagt Knobloch, dass es Normalität im Verhältnis von Juden und Nichtjuden "in absehbarer Zeit" nicht geben kann. Aber sie ist für ihre Amtszeit optimistisch, denn "ich sehe zahlreiche Ansatzpunkte, die es ermöglichen, mit dem Wissen um die Vergangenheit gemeinsam die Zukunft zu gestalten."