Der Staat ist für den Menschen, nicht die Menschen für den Staat" - sagte Albert Einstein. Doch wie viel Staat braucht der Mensch, um daraus Nutzen zu ziehen und keinen Schaden zu nehmen? Eine Frage, die unweigerlich zu einem Konflikt bei der Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit führt.
Dieser Gratwanderung sahen sich auch die Mitglieder des Bundestages von 1976 ausgesetzt, als es darum ging, sich erstmals mit den Gefahren des Terrorismus auseinander zu setzen. Die "Rote Armee Fraktion" (RAF) hatte Deutschland damals spürbar im Griff. Zwischen 1970 und 1972 hatte sie mehrere Banküberfälle begangen und etliche Bombenanschläge verübt, unter anderem auf eine US-Kaserne, den damaligen Bundesrichter Buddenberg, den Axel Springer Verlag und das Europa-Hauptquartier der US-Armee. Es gab vier Tote und über 30 Verletzte. Im April 1975 besetzte das "Kommando Holger Meins" die deutsche Botschaft in Stockholm, um die Freilassung der zwei Jahre zuvor festgenommenen RAF-Spitze zu erpressen. Das Ergebnis: vier Tote, davon zwei Terroristen.
Auf diese Terrorwelle der so genannten "ersten RAF-Generation" galt es vor 30 Jahren zu reagieren, und zwar mit verhältnismäßigen Mitteln. Sieben Gesetzesvorlagen wurden dazu von der sozial-liberalen Regierung vorgelegt und am 26. Juni 1976 mit der Stimmenmehrheit der Koalition beschlossen. Kernstück dieser ersten "Anti-Terror-Gesetze" war der neu geschaffene Straftatbestand "Gründung einer terroristischen Vereinigung", der in Paragraf 129a festgeschrieben wurde. Mit bis zu zehn Jahren Haft konnte man dafür bestraft werden. Alle Bürger wurden außerdem verpflichtet, Kenntnisse über geplante Straftaten an die Sicherheitsbehörden weiterzugeben. Der schriftliche Verkehr zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten wurde fortan überwacht und das Haftrecht verschärft. Außerdem sollte die Verfolgung terroristischer Gewaltkriminalität künftig in den Verantwortungsbereich des Generalbundesanwaltes fallen.
So sehr alle Parteien darin übereinstimmten, dass der Bekämpfung des Terrorismus oberste Priorität zukommt, so erheblich waren die Meinungsunterschiede darüber, in welchem Maße eine Beschränkung von Freiräumen in Kauf genommen werden sollte.
Als "Gesetz der Halbherzigkeit und Halbheiten" bezeichnete die Union die Vorlagen. Sie vertrat den Standpunkt, Sicherheit sei geradezu die Bedingung für Freiheit und forderte eine Ausweitung der Gesetze. Die Koalition hingegen warnte vor zu großer staatlicher Reglementierung. Die Grenzen rechtsstaatlicher Prinzipien dürften nicht überschritten werden. Im Rahmen dessen habe die Regierung ihre Möglichkeiten maximal ausgeschöpft.
"Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen und das Äußerste dagegen unternehmen." Mit diesen Worten hatte Innenminister Werner Maihofer (FDP) für das Gesetzesbündel geworben. Dass das "Schlimmste" noch kommen würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Denn ein Jahr später steigerte sich der Terror zu ungeahnter Brutalität. Neben Entführungen und Sprengstoffanschlägen wurde der geplante Mord zum Kampfmittel der "zweiten RAF-Generation". Höhepunkte der Gewalt waren die Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback, des Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, und des Arbeitgeberpräsidents sowie Verbandsvorsitzenden der Deutschen Industrie, Hanns-Martin Schleyer. Später ging diese Häufung an Gewaltakten unter dem Stichwort "Deutscher Herbst" in die Geschichte ein.
Mit der "dritten Generation" ebbte die Gewalt allmählich ab, nach mehrjähriger Feuerpause löste sich die RAF 1998 schließlich selbst auf. Im Zuge dessen forderten Rechtspolitiker die Aufhebung der Anti-Terror-Gesetze von 1976. Erfolgreich waren sie damit nicht.
Im Gegenteil: Die verheerenden Anschläge des 11. September in den USA hatten bei der Diskussion um die Terrorismusbekämpfung für neuen Schub gesorgt. Wieder gab es ein "Anti-Terror-Gesetz", wieder wurde Paragraf 129 erweitert, dieses Mal um "Absatz b". Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland können seither auch in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden. Besondere Maßnahmen für besondere Zeiten?
Im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft ist die Angst vor terroristischen Anschlägen wieder aufgeflammt. Die Frage, wie viel Sicherheit die Freiheit oder wie viel Freiheit die Sicherheit verträgt, ist erneut aktuell. Die Antwort liegt wohl irgendwo dazwischen. Ob wir ein Stück unserer Freiheit zu Recht für unsere Sicherheit opfern, wird die Zeit zeigen müssen. Nicht zuletzt die laufende WM.