Das Parlament: Frau Frerichs, Sie haben während der Expedition im Südpolarmeer Ihr Schlauchboot gezielt in die Schusslinie der Harpunen gelenkt, um die japanischen Fänger am Abschuss eines Wals zu hindern. Hatten Sie bei diesen Manövern keine Angst?
Regine Frerichs: Wenn man losfährt, hat man schon ein recht mulmiges Gefühl. Aber bis es richtig ernst wird, hat man selber schon so viel Adrenalin im Blut, dass die Angst gar nicht mehr da ist.
Das Parlament: Wie sind Sie vorgegangen?
Regine Frerichs: Ich bin zunächst neben dem Fänger hergefahren. Später, wenn die Fangschiffe einen Wal erspäht hatten, habe ich mich schräg vor dem Bug positioniert und die Feuerlöschpumpe angestellt. Die hatten wir eigens an den Schlauchbooten montiert, um einen feinen Wassernebel erzeugen, der den Harpunierern die Sicht nimmt. Erst im Endstadium der Jagd, wenn der Wal müde wurde und der Harpunierer zum Abschuss kommen konnte, bin ich direkt in die Schusslinie gefahren.
Das Parlament: Das klingt ziemlich gefährlich.
Regine Frerichs: Natürlich waren die Manöver recht schwierig. Sie erforderten ein sehr konzentriertes Fahren, schon weil wir nicht immer wussten, wo der Wal als nächstes auftaucht. Wir haben von unseren Schlauchbooten aus ja oft nur die reflektierende Wasseroberfläche sehen können, mussten also immer aufgrund der Reaktion des Schiffes oder des Harpunierers das Schlauchboot lenken. Das erforderte große Geschicklichkeit. Um uns noch mehr irrezuführen, haben die Harpunierer manchmal auch extra in eine andere Richtung gezielt.
Das Parlament: Die Fänger sind ja überhaupt nicht gerade zimperlich mit Ihnen umgegangen: Einmal hat eine Harpunengranate Sie knapp verfehlt, ein anderes Mal wurde das zweite Greenpeace-Schiff, die "Esperanza", von einem Fangschiff gerammt...
Regine Frerichs: Das stimmt. Am Anfang haben die Harpunierer überhaupt nur geschossen, wenn wir mindestens 50 Meter weg waren. Dieser Abstand aber wurde im Laufe der Tage immer weniger. Erst waren es 30 Meter, dann nur noch 20. Und einmal ist eben sieben Meter neben mir eine Granate hochgegangen. Da bekommt man schon einen ganz schönen Schreck. Zum Glück wurde das Tier nicht getroffen, das ist unter das Schlauchboot weggetaucht.
Das Parlament: Konnten Sie viele Wale retten?
Regine Frerichs : Ich selbst habe drei retten können. Ich habe gesehen, wie sie entkommen sind. Es gibt aber mit Sicherheit noch welche, die fliehen konnten, die ich aber von meinem Schlauchboot aus nicht sehen konnte. Zum Beispiel, weil sie unter das Eis getaucht sind.
Das Parlament: Und insgesamt? Würden Sie sagen, dass die Aktion erfolgreich war?
Regine Frerichs: Unbedingt. Das kann man auch an einer Zahl festmachen: Die Fangflotte hatte sich ja selbst eine Quote von 935 Walen gesetzt. Am Ende hat sie nur 853 geschossen.
Das Parlament: Und das ist auf die Expedition zurückzuführen?
Regine Frerichs: Davon bin ich überzeugt. Die Fangschiffe sind 3.000 Seemeilen nach Westen gefahren, um uns aus dem Weg zu gehen, und in diesen zwölf bis 14 Tagen haben sie keinen einzigen Wal geschossen. Das ist genau die Zeit, die Ihnen gefehlt hat, um ihre Quote zu erfüllen. Dazu kommen die Tiere, die durch unsere Aktionen direkt entkommen konnten oder deren Jagd wir erheblich verzögert haben.
Das Parlament: Insgesamt dauerte die Expedition fast drei Monate. Was hat Sie während dieser Zeit besonders beeindruckt?
Regine Frerichs: Die Intensität. Ich habe diese Zeit als extrem intensiv erlebt, vor allem den Wechsel der Emotionen. Da gab es zum einen wunderschöne, faszinierende Dinge. Eisfelder, die antarktische Tierwelt, die Sonnenuntergänge. Zum anderen gab es das enge Beisammensein an Bord, 25 Menschen auf der "Arctic Sunrise" und noch mal 32 auf der "Esperanza". Insgesamt 57 Menschen aus 25 Nationen. Das war anstrengend, aber natürlich auch total interessant.
Das Parlament: Und die Wale? Viele der Tiere sind vor Ihren Augen verendet...
Regine Frerichs: Ja, wir konnten den Abschuss der Tiere nicht immer verhindern. Dieses grausame, brutale Abschlachten der Tiere mit ansehen zu müssen, war eine extreme Erfahrung.
Das Parlament: Was haben Sie in solchen Momenten gefühlt?
Regine Frerichs: Hilflosigkeit. Ohnmacht. Wenn man das in Filmen sieht, ist es schon bedrü-ckend. Aber ein Film oder ein Foto ist immer noch ein sehr barmherziger Filter. Wenn man selbst dabei ist, steht man da wie emotional ausgezogen.
Das Parlament: Werden Sie nicht unheimlich wütend?
Regine Frerichs: Ich werde nicht wütend. Denn die japanischen Walfänger tun ihren Job - obwohl von mir aus natürlich ein Unverständnis da ist, wie man die Tiere so töten kann. Aber unsere Adresse sind die Auftraggeber und die Verbraucher. Wenn ich mich durch einen japanischen Walfänger wütend machen lasse, bin ich fehl am Platz. Dann kann ich meinen Job nicht vernünftig machen.
Das Parlament: Seit 1986 gibt es ein internationales Moratorium, das den kommerziellen Walfang verbietet. Wie kann es sein, dass Japan dann über 800 Wale allein in dieser Saison töten konnte?
Regine Frerichs: Die Japaner nennen das "wissenschaftlichen Walfang". Der ist jedem Land, das Mitglied in der Internationalen Walfangkommission ist, erlaubt. Wir aber sagen, die Japaner betreiben kommerziellen Walfang unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaft. Sie fangen ja mittlerweile mehr Wale, als sie im letzten Jahr des kommerziellen Walfangs erlegt haben! Und am Ende landet das Walfleisch auf dem Markt, wo das Kilo dann 300 Dollar kostet - eine teure Delikatesse.
Das Parlament: Was erforschen die Japaner denn?
Regine Frerichs: Nun, sie untersuchen die Bestände, vermessen die Tiere, sehen, was sie fressen. Wobei ich nicht weiß, warum man nach so vielen Jahren noch herausfinden muss, was ein Wal frisst. Es wäre ja eine biologische Sensation, wenn die auf einmal keinen Krill mehr fressen würden! Dafür muss ich doch keine Walkühe und ihre Kälber abschlachten. Zumal es inzwischen viel bessere Forschungsmethoden gibt, für die man keinen einzigen Wal töten muss. Man kann ihnen zum Beispiel Gewebeproben entnehmen oder die Bestände aus der Luft beobachten.
Das Parlament: Das Gebiet, in dem die Japaner jagen, ist außerdem ein Walschutzgebiet.
Regine Frerichs: Ja. Und eigentlich dürften sie dort nicht mal zu wissenschaftlichen Zwecken Wale töten. Stattdessen haben sie allein in dieser Saison zehn Finnwale gejagt - zehn Stück einer völlig bedrohten Spezies! Das ist so was von absurd. Jeder seriöse Wissenschaftler müsste sich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Nur: Wo kein Kläger, da kein Richter. Obwohl Länder wie Australien und Neuseeland, die weite Teile dieses Gebiets unter Verwaltung haben, Japan aufrufen, sich aus dem Territorium zurückzuziehen, jagt es munter weiter.
Das Parlament: Gibt es in Japan überhaupt einen Markt für das ganze Walfleisch?
Regine Frerichs: Nein, die bleiben ja sogar auf ihrem Walfleisch sitzen. Die Kühlkammern sind voll. Nur vier Prozent der Japaner geben an, dass sie ab und zu Walfleisch essen, den Rest interessiert es überhaupt nicht. Nun sucht das Land nach neuen Märkten, um das Fleisch billiger loszuwerden, als Hundefutter zum Beispiel oder in Schulkantinen. Damit sich das kommerziell lohnt, müssen aber noch viel mehr Wale getötet werden.
Das Parlament: Ende dieses Jahres beginnt die nächste Walfangsaison. Werden Sie wieder dabei sein?
Regine Frerichs: Das ist möglich, steht aber noch nicht ganz fest. Ich würde mir aber eigentlich viel lieber wünschen, dass meine Arbeit überflüssig wird. Nur werde ich das wohl nicht mehr erleben.
Das Interview führte Johanna Metz. Johanna Metz ist Volontärin der Wochenzeitung "Das Parlament".
Informationen im Internet: www.greenpeace.de