Tatsächlich sind die Fischereiräte der EU, in denen um TACs ("total allowable catches", zu deutsch: Fangobergrenzen) und Quoten gefeilscht wird, berüchtigt bei den Diplomaten in Brüssel. Die zuständigen Minister der EU-Mitgliedstaaten treffen sich zum großen Basar meist kurz vor Weih-nachten. Im Schlepptau haben sie jede Menge Beamte, Experten und die Vertreter der nationalen Fische-reiverbände. Letztere verfolgen mit Argusaugen, welche Konzessionen gemacht und welche Gegenge- schäfte abgeschlossen werden. In wenigen Stunden müssen sich die Minister über die TACs von rund 130 Sorten Fisch verständigen sowie auf die dazugehörigen nationalen Quoten.
Mit dem "Quotenrat" im Dezember, der meistens bis in die frühen Morgenstunden dauert, wird ein langwieriges Verfahren abgeschlossen. Es beginnt schon vor der Sommerpause. Die Wissenschaftler des Internationalen Seerates (ICES) in Kopenhagen verabschieden dann ihre ersten Empfehlungen für die Fangobergrenzen im nächsten Jahr. Im ICES beobachten Wissenschaftler aus den europäischen Anrainerstaaten der Nord- und Ostsee und des Atlantiks die Entwick-lung der Fischbestände: wie viele Jungfische eines Jahrgangs nachwachsen, welche Mengen gefangen und angelandet werden. Die gleiche Aufgabe für das Mittelmeer wird von der Allgemeinen Kommission für die Fischerei im Mittelmeer (GFCM) wahrgenommen.
Seit der Reform der Europäischen Fischereipolitik spielen die Empfehlungen der Wissenschaftler für die Festlegung der TACs eine noch größere Rolle als früher. Sie sollen dafür sorgen, dass der Fischfang ein nachhaltiges Niveau nicht übersteigt. In der Kommission will man das Management der EU-Fischerei auf eine wissenschaftliche und längerfristige Grundlage stellen. Denn viele Bestände sind durch eine immer leistungsfähigere Fischerei so weit abgefischt, dass sie sich kaum noch regenerieren können. Besonders bedroht sind der Kabeljau und die Tiefseefische. Die Wissenschaftler empfehlen deswegen immer häufiger, ganze Seegebiete für den Fischfang zu schließen, um einzelnen Arten eine Atempause zu verschaffen.
Von den meisten Arten können die Wissenschaftler allerdings erst relativ spät im Jahr sagen, wie sie sich in der laufenden Saison entwickeln und welche Mengen im nächsten Jahr gefangen werden können, ohne die Bestände zu gefährden. Das Gros der mehr als 130 Empfehlungen, aufgegliedert nach drei Dutzend Seegebieten der Nord- und Ostsee und des Nordatlantiks wird vom ICES erst im Oktober verabschiedet.
Danach beginnt das Tauziehen zwischen den unterschiedlichen Interessen. In der Kommission neigt man dazu, die Empfehlungen der Wissenschaftler eins zu eins zu übernehmen. In der zuständigen Generaldirektion, klagt der Generalsekretär des Fischereiverbandes Europeche, Guy Vernaeve, hätten die Umweltschützer das Regiment übernommen: "Denen geht es vor allem darum, Fangschiffe abzuwracken und die Fischer zu behindern." Die Beamten der Kommission sind allerdings nur ein Rad im Getriebe der europäischen Fischereipolitik. Zusätzlich zu den Empfehlungen der Wissenschaftler holt die Kommission zunächst die Ansicht des Fischereiausschusses (Scientific, Technical and Economic Committee for Fisheries, STECF) ein, in dem die Experten der Mitgliedstaaten sitzen. Sie drängen in der Regel auf eine Anhebung der vorgeschlagenen TACs, denn sie vertreten auch die wirtschaftlichen Interessen der Mitgliedstaaten. Die Fischereiwirtschaft ist in vielen EU-Staaten ein wichtiger und überall ein sehr gut organisierter Sektor. In Brüssel sorgen Europeche für die großen und die COGECA für die kleineren, genossenschaftlichen Betriebe dafür, dass die Interessen der Fischer nicht unter die Räder kommen. Die zuständigen Minister, die am Ende über die Fangobergrenzen entscheiden, stehen vor allem unter dem Einfluss der nationalen Verbände wie dem Deutschen Fischereiverband.
Bei der Reform der Fischereipolitik hat man gleichzeitig auch die Mitsprache der nationalen Verbände verbessert. Damit sollen ihre Einwände in einem frühen Stadium des Verfahrens - und nicht erst im Minis-terrat - berücksichtigt werden. Für die einzelnen Seegebiete (Ostsee, Mittelmeer, nordwestliche Gewässer) gibt es inzwischen Regionalräte, die an der Planung beteiligt werden.
Der restriktive Ansatz der Kommission stößt in der Branche auf wenig Verständnis. Natürlich seien auch die Fischer an einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Bestände interessiert, sagt Peter Breckling, der Präsident des Deutschen Fischereiverbandes. In Brüssel neige man jedoch zu eindimensionalen Analysen. Der Rückgang der Kabeljau-Bestände beispielsweise geht nach Brecklings Ansicht nicht alleine auf die Fischerei zurück. Auch der Anstieg der Wassertemperatur und die Zunahme seines natürlichen Feindes, des Knurrhahns, trage dazu bei, dass der wichtigste Speisefisch Europas im Nordatlantik immer seltener werde.
Die Kommission schlägt immer häufiger so genannte Wiederauffüllungspläne für den Kabeljau vor: Sie bestehen aus der Schließung ganzer Seegebiete für den Fischfang, einer Absenkung der TACs in anderen Gebieten und der Begrenzung des "Fischereiaufwandes". Beim "Fischereiaufwand" handelt es sich um ein hochkompliziertes Konzept, das jeden Fischerkutter einer engen Kontrolle durch die Kommission unterwirft. Sein Motor darf eine bestimmte Leistung nicht übersteigen, die Maschen seiner Netze müssen groß genug sein, damit Jungfische nicht darin hängen bleiben, und das Schiff selbst darf nur an genau festgelegten Tagen aus dem Hafen auslaufen.
Anfang Dezember sind die Konsultationen mit den Experten, den Verbänden und Regionalräten abgeschlossen. Gleichzeitig verhandeln Beamte aus Brüssel mit der Regierung in Oslo, um die Fangmengen der Norweger festzulegen. Die Kommission legt dann ihren Vorschlag für die TACs vor, aus denen sich die nationalen Quoten automatisch ergeben. So dürfen die Fischer der EU in diesem Jahr beispielsweise 42.000 Tonnen Rotbarsch fangen. Die größte Quote davon entfällt auf Deutschland mit 19.200 Tonnen, die Iren dürfen nur zwei Tonnen Rotbarsch aus dem Atlantik holen.
Hat die Kommission ihren Vorschlag vorgelegt, beginnen die Verhandlungen. In weniger als vier Wochen müssen die interessierten Verbände der Branche aber auch die Umweltverbände sagen, was sie vom Vorschlag der Kommission halten, und im Ministerrat muss eine Entscheidung herbeigeführt werden. Um den enormen Zeitdruck zu mindern, hat die Kommission jetzt vorgeschlagen, die Beratungen zu entzerren. Für die Arten, für die der ICES seine Empfehlung schon im Sommer abgibt, will sie die TACs in Zukunft schon früher vorlegen. Sie könnten dann bereits im Oktober beraten werden, sagt Meereskommissar Joe Borg. Außerdem überlegt er, bestimmte Fangobergrenzen für längere Zeiträume festzulegen als ein Jahr. Bei Europeche unterstützt man den Vorschlag der Kommission. "Nicht jede Art ist so gefährdet, dass wir jedes Jahr eine wissenschaftliche Analyse brauchen", sagt Guy Vernaeve. In diesen Fällen sollten die TACs längerfristig festgelegt werden. Die Verbände der Branche sehen darin auch ein Möglichkeit, die verfügbaren Wissenschaftler besser einzusetzen.
Die Lobbyisten der Fischer versuchen in den Verhandlungen über die Fangobergrenzen ihre Interessen vor allem über die Mitgliedstaaten durchzusetzen. Mit dem Hinweis, dass die Fangmengen der Kommission nicht ausreichen, um die Existenz der Branche zu sichern, dringen sie in der Regel auf eine Anhebung der TACs durch den Ministerrat. Umgekehrt wird die Kommission vor allem von den Umweltverbänden unterstützt, die im Meer nicht zuerst die Existenzgrundlage der Fischerwirtschaft sehen sondern ein Biotop, das möglichst unverändert erhalten bleiben soll.
In der öffentlichen Diskussion geben die Umweltschützer den Ton an. Dass Fischfang und -verarbeitung lebenswichtig für ganze Regionen sind und mehr als 360.000 Arbeitsplätze bereitstellen, spielt im öffentlichen Schlagabtausch um TACs und Quoten nur eine untergeordnete Rolle. Im Ministerrat haben die Lobbyisten der Fischer jedoch den größeren Einfluss.
Am Ende des Quotenbasars liegen die erlaubten Fangmengen in der Regel ein paar Prozent über dem, was die Kommission vorgeschlagen hat. Insgesamt konnte die Kommission in den letzten Jahren aber immer wieder durchsetzen, dass die TACs gekürzt wurden. Im vollen Umfang folgte der Ministerrat der Kommission im letzten Dezember allerdings nur beim Kabeljau. In diesem Jahr dürfen die Fischer 15 Prozent weniger Kabeljau an Land bringen als 2005.
Besonders vehement legen sich traditionell die französischen, spanischen, italienischen und irischen Minister für die Fischer ins Zeug. In diesen vier Ländern lebt über die Hälfte der europäischen Fischer. In Spanien und Frankreich hängen vor allem Randregionen wirtschaftlich vom Fischfang ab. In der Bretagne oder in Galizien lebt direkt oder indirekt fast jeder vom Fisch. Die französischen, spanischen und italienischen Minister legen sich deswegen lieber mit ihren Kollegen im Ministerrat an als mit ihrer eigenen Fischereilobby.
Das gilt auch, wenn es darum geht, die im Ministerrat verabredeten Vereinbarungen einzuhalten. Denn die Festlegung der TACs und Quoten ist das eine, ihre Einhaltung eine andere Sache. So wurden im letzten Jahr 1,8 Prozent der Quoten nicht eingehalten. Teilweise tolerierten die Mitgliedstaaten, dass ihre Fischer, zwei Drittel mehr fingen als die Quote vorsah. An der Spitze der Quotensünder standen die Iren und die Spanier. Noch schlechter sieht es bei anderen Verpflichtungen aus, die sich aus der Reform der Fischereipolitik vor drei Jahren ergeben. Nur die Belgier und die Schweden haben ihre Fischereiflotte entsprechend verkleinert. Franzosen, Iren und Portugiesen weigern sich, auch nur die Zahlen nach Brüssel zu melden. Die Regierung in Paris ist besonders hartnäckig, wenn es darum geht, ihren Fischern Einbußen zu ersparen. Seit den 80er-Jahren weigert sie sich, die von der EU vorgeschriebenen Kontrollen für die Größe der angelandeten Seehechte einzuführen. Die französischen Behörden vermeiden damit, dass sie Sanktionen gegen solche Fischer verhängen müssen, die EU-Vorschriften verletzen. Zwei Mal zog die Kommission deswegen vor den Europäischen Gerichtshof, der im letzten Jahr ein Zwangsgeld von 57 Millionen Euro pro Halbjahr festlegte. Und Paris zahlt. Die Regierung überweist lieber diesen Betrag alle sechs Monate nach Brüssel, als ihre Fischer dadurch gegen sich aufzubringen, dass die europäischen Fischereiregeln auch in Frankreich umgesetzt werden.
Tom Rolff arbeitet als Europa-Korrespondent in Brüssel.
Informationen im Internet: www.eu-kommission.de