Marco Polo musste noch mühsam über Land und Steppe reisen, um die sagenhafte Stadt Cetim an der Südostküste Chinas zu erreichen. "Die gewaltige Menge an Waren, die hier im Hafen ankommt, darunter Edelsteine und Perlen, ist ein wahres Wunder", begeisterte sich Polo. Am meisten staunte der weit gereiste Kaufmann allerdings über die mächtigen Hochseeschiffe der chinesischen Händler, denn zu dieser Zeit verfügte kein europäisches Schiff über die geringste Hochseetüchtigkeit.
Der seit mehr als einem Jahrtausend übliche Handel Europas mit Asien und Afrika fand auf dem beschwerlichen und riskanten Landweg statt oder führte am Rande des beschaulichen Mittelmeeres entlang bis an die arabische Küste. Erst zwei Jahrhunderte nach Marco Polo werden die nordeuropäischen Hansestädte ihre Koggen auf das peitschende Meer hinaus schicken. Die ersten leistungsfähigen abendländischen Lastschiffe sind jedoch keineswegs so groß und prächtig wie die Seedschunken im Hafen von Cetim.
Rohstoffe und Handelsgewinne lockten die Mutigsten und die Gierigsten immer weiter hinaus aufs Meer. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts tauchen die bis zu 60 Meter langen Seedschunken erstmals an den Ufern Asiens und Afrikas auf. Wenn man so will, war damit die frühe Globalisierung eingeleitet. worden. Dass die Chinesen auf ihren Seereisen nicht die europäischen Ureinwohner auf der Iberischen Halbinsel entdeckten, dürfte reiner Zufall gewesen sein und später dem innerchinesischen Trend zur Isolation geschuldet sein. Jedenfalls war sich das Reich der Hochtechnologie nach dem Tod des Kaisers Zhu Di im Jahr 1424 jahrhundertelang selbst genug - und doch war die Internationalisierung des Handels nicht mehr aufzuhalten. Die fortan überlegene Segeltechnik der hochseetüchtigen, schnellen Dreimaster mit ihren Kanonen ließen zunächst die Portugiesen und Spanier, später die Holländer und Briten die Weltmeere und damit die Welt selber erobern. Segel und Kanonen waren die zwei entscheidenden Gründe für die 450 Jahre dauernde, absolute Herrschaft und damit auch Handelsherrschaft Europas auf den Meeren, die erst in den 1950er-Jahren von der neuen Seemacht USA abgelöst wurde.
Seit Marco Polos Zeiten wurde Handel immer stärker zur Schifffahrt und Schifffahrt zur "Globalisierung" - lange bevor dieses Unwort in unseren Tagen zur politischen Allzweckwaffe verkam. Unwort deshalb, weil keineswegs die ganze Erde am internationalen Handel Anteil hatte und hat. "Der Schatz der Schätze ist das Meer", hat Fernand Braudel einmal geschrieben, heute gilt dies mehr denn je, wo über 90 Prozent des internationalen Handels auf dem Seeweg transportiert werden. Entluden früher Dutzende Schauerleute und Kranführer ein Schiff Sack für Sack und später Euro-Palette für Euro-Palette, werden nun 20 Fuß große Standardboxen (6,06 x 2,44 x 2,44 Meter) fast vollautomatisch verfrachtet. In Hochtechnologie-Häfen wie Hamburg, Rotterdam oder Singapur dominiert eine hypermoderne Logistikindustrie das billiardenschwere Business. Das Nadelöhr für jeden internationalen Handel, die Schnittstelle Schiff-Land, ist nun in eine "intermodale Transportkette" integriert, der klassische Hafenumschlag ist mit dem Hinterlandtransport räumlich und zeitlich eng vernetzt.
Der Schotte Malcolm McLeans soll in den 30er-Jahren beim Anblick eines Zigarettenautomatens den Container "erfunden" haben. 1956 verwirklichte der Reeder seine Idee mit dem Tanker "Ideal X", der 58 noch ungenormte Blechkisten an Bord mitführte.
Im jungen Container-Terminal Altenwerder (CTA) in Hamburg, der weltweit als der Schnellste gilt, werden in 48 Stunden aus einem gigantischen Ozeanriesen wie der "OOCL Shenzhen" von automatisierten Superkränen 7.422 Standardcontainer gelöscht. Gelbe, fahrerlose Transportfahrzeuge und eine computergesteuerte Informationstechnologie sorgen dafür, dass Metallboxen und Kühl-Container den richtigen Standort in dem Labyrinth aus zwei Dutzend Lagerblöcken finden, um kurz darauf von einem Lkw Huckepack genommen zu werden. Container aus aller Welt werden in hafeneigenen Logistiklagern kommissioniert, etikettiert, aus-, ein- und verpackt, konfiguriert, konfektioniert, auf Qualität kontrolliert, fakturiert, geordert, montiert und dokumentiert - egal, ob der Inhalt aus Kaffee oder Computern besteht. In kleineren Feederschiffen mit 1.000 oder 2.000 Containern werden die Produkte Asiens, Amerikas und Afrikas nach Großbritannien, Norwegen oder Russland weiterverschifft. Über Nacht rasen Linienzüge ins Ruhrgebiet, in die Schweiz und nach Lübeck. Die kleinere Hansestadt ist längst zum erfolgreichen Spielbein für den hamburgischen Ostseeverkehr geworden. In Prag betreibt Hamburgs Hafen eine eigene Drehscheibe für seinen multinationalen Containerverkehr, die über Nacht per Schiene gefüttert wird, um postwendend in Ungarn oder der Ukraine Container frei Haus zu liefern.
Billiger Dieseltreibstoff, immer größere Schiffsgiganten und eben der Container haben die Transportkosten für einen Computer aus China heute auf einen Dollar verfallen lassen, was den massenhaften Welthandel erst rentabel macht, der allein 2005 um sieben Prozent zunahm. Aber nicht ausschließlich der wachsende Warenaustausch, vor allem mit China, lässt die Handelsschifffahrt boomen, sondern auch die anschwellende Arbeitsteilung der Konzerne über Länder und Kontinente hinweg. Hunderttausende Arbeitsplätze wurden nicht allein an den Kais in Hamburg, Rostock oder Duisburg vernichtet, hunderttausende entstanden anderseits in der Logistik-Branche neu, und so ist der fast menschenleere Container-Terminal in Altenwerder umgeben von Speditionen und Dienstleistungsunternehmen.
Vor allem die Containerschifffahrt profitiert von der neuen "Globalisierung", in den vergangenen zwei Jahren nahm sie um rund 25 Prozent zu. Noch erfolgreicher ist die deutsche Flotte mit 2.729 Schiffen. Ihr Umfang hat sich seit 2001 verdoppelt und überschritt im März erstmals - und erst als drittes Land überhaupt - das Transportvolumen von 50 Millionen BRZ (Bruttoraumzahl). Eine "historische Marke", so Reederchef Hans-Heinrich Nöll. Weltweit die Nummer eins ist man sogar im internationalen Logistikbereich - jedes dritte Containerschiff gehört inzwischen einem deutschen Eigner, erst mit weitem Abstand folgen Großbritannien oder die USA.
Neben der Stärke seiner Mitgliedsfirmen macht der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder, Nöll, dafür die üppigen Finanzierungsmöglichkeiten durch Banken und Fonds verantwortlich. Investmentgesellschaften haben vor einem Jahrzehnt die steuerlich geförderten Schiffsfinanzierungen für sich als Marktlücke entdeckt und sammeln dafür bei privaten Anlegern jährlich rund drei Milliarden Euro ein.
Den dritten Erfolgsfaktor, so Nöll, liefern die politischen Rahmenbedingungen und der maritime Schulterschluss zwischen Wirtschaft, Regierung und Politik, Wissenschaft und Gewerkschaften. Die staatlichen Subventionen vornehmlich in Form der niedrigen Tonnagesteuer, die Schiffseigner bei Gewinn oder Verlust gleichermaßen entrichten müssen, dürften sich unterm Strich für Fiskus und Sozialkassen auszahlen, denn bei deren Wegfall drohen die Reeder mit Standortflucht. "Es wäre mehr als naiv zu glauben", sagt Nöll, "die Reedereien würden bei Streichung der Tonnagesteuer in Deutschland bleiben, statt ihre Aktivitäten in kürzester Zeit in eines der elf europäischen Nachbarstaaten mit Tonnagesteuer oder auf einen anderen Kontinent mit vergleichbaren Bedingungen zu verlegen". Soweit dürfte es wohl nicht kommen, denn schließlich hat die Bundesregierung den von Rot-Grün aufgebauten maritimen Komplex im Koalitionsvertrag fortgeschrieben. Andernfalls müsste ein neuer Marco Polo zwar nicht mehr über Land und Steppe reisen, aber wohl auf einem chinesischen Schiffsgiganten.
Hermannus Pfeiffer Der Autor arbeitet als freier Wirtschaftsjournalist in Hamburg.