Hinauf geht es durch eines der schönsten Treppenhäuser in Hamburg. Mahagoniholz als Wandverkleidung, expressionistische Rundbögen und ein alter Paternoster, der zum Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) führt. Branchenboss Werner Lundt verkörpert gelassenes Selbstbewusstsein, "Deutschland ist ganz klar die führende Schiffbaunation in Europa". Bilanzzahlen bestätigen den gut gelaunten Hauptgeschäftsführer: "Große, mittlere und kleine Werften und sogar die Binnenschiffswerften verzeichneten 2005 durchweg positive Ergebnisse", und so könnte es weitergehen, denn in den Auftragsbüchern stehen über 220 Schiffe im Wert von rund elf Milliarden Euro. Damit sind die Werften mindestens bis 2008 ausgebucht.
Der üppige Bauboom hat politische und wirtschaftliche Gründe. Seit vier Jahren zieht die Weltkonjunktur an, eine der stärksten Wachstumsphasen im modernen Kapitalismus. Für dieses Jahr prognostiziert der Internationale Währungsfonds erneut ein Plus von fünf Prozent. Noch schneller als die Weltwirtschaft wuchs der globale Handel, und Welthandel ist vor allem Schifffahrt - 90 Prozent des grenzüberschreitenden Warentransports erfolgt in schwimmenden Lagerhäusern. Angetrieben werden die Handelströme von der rasanten Entwicklung in China sowie von der zunehmenden weltweiten Arbeitsteilung innerhalb der Industrie - der eigentliche Sieger der Globalisierung ist daher das Containerschiff.
Der Weltcontainerhandel expandierte seit 1990 um annähernd zehn Prozent - Jahr für Jahr, womit die Dynamik sogar den internationalen Luftverkehr toppt. Frachtraten und im Gefolge die Schiffspreise stiegen ins astronomische. Noch im Jahr 2002 erzielte ein großes Containerschiff schon 12.000 US-Dollar pro Tag, heute beträgt die Charterrate über 40.000 Dollar.
Auf seiner Internetseite wirbt der bundesdeutsche Champion Thyssen-Krupp mit dem gewaltigen, 1939 vom Stapel gelaufenen Nazi-Schlachtschiff "Bismarck" und mit dem kaiserlichen Luxusliner "Vaterland". Diese Rückbesinnung auf vergangene Größe und Macht kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Werftindustrie in den 60er-Jahren ihre Weltgeltung zunächst einbüßte. Japan eroberte die Spitzenposition und verlor sie später an Südkorea. "Aber Koreas Werften sind in den 80er-Jahren nicht von selbst zur Nummer eins aufgestiegen", kritisiert Lundt, "von staatlicher Seite wurde erhebliche Unterstützung gegeben." Von 2010 an wollen die chinesischen Staatswerften vorneweg fahren, die inzwischen mit den EU-Werften gleichzogen haben.
Vom Bauboom in Asien profitieren allerdings selbst die hiesige Werftindustrie und ihre Zulieferer erheblich. So kommen Schiffsmotoren für in Korea oder China zusammengeschweißte Stahlrümpfe vom Bodensee, die Software aus München und weltweit jeder vierte Propeller, so der Fachausdruck für Schiffsschrauben, aus dem verträumten Urlaubsort Waren an der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern. Die Kreuzfahrtkönigin "Queen Mary II" wird ebenso von einem Propeller der Firma Metallguss angetrieben, wie die weltgrößten Containerschiffe mit 9.000 Boxen an Bord.
Die Hälfte der Zulieferbetriebe ist in Süddeutschland daheim, und auch sonst reichen die Verästelungen der deutschen Werftwirtschaft weit ins Land, bis hin zu den Klavierherstellern. Auf der legendären, weit im niedersächsischen Binnenland liegenden Meyer Werft in Papenburg werden zwei mondäne Kreuzfahrtschiffe pro Jahr eingerichtet - einschließlich komplettem Konzert- und Schauspieltheater und eben mehreren Klavieren. Zugleich hängen allein im Hamburger Hafen - auf den Lundt tagtäglich von seinem noblen Büro schaut -, der früh auf Container plus eine komplexe Logistik-Industrie gesetzt hatte und heute über 200.000 Menschen direkt und vor allem indirekt Arbeit gibt. So beschäftigt allein die hanseatische maritime Wirtschaft, deren notwendiger industrieller Kern die Werften sind, mehr Menschen als Daimler-Chrysler oder Siemens. Unterm Strich müssen sich Deutschlands Werften trotzdem mit einem Weltmarktanteil von "nur" sechs Prozent begnügen. Aber auch dieses Bild trügt auf den ersten Blick. So hat sich im vergangenen Jahr der Weltmarktanteil verdoppelt, und in Europa sind Blohm&Voss, HDW und die Marinewerft Lürssen längst wieder die Nummer eins, vor Italien und Polen.
Der Erfolg hat gute Gründe. Gesucht und oft gefunden wurden breite Nischen, wie Reparatur oder die Konstruktion von Mega-Yachten für Superreiche. Microsoft-Gründer Bill Gates verbringt seine Freizeit auf einer an der Elbe gebauten Yacht, die länger als ein Fußballfeld ist und genügend Platz für Hubschrauber, pfeilschnelle Speedboote und ein U-Boot bietet. Mega-Yachten gelten als eines der profitabelsten Fischgründe im Schiffbau, schließlich kommt es den Auftraggebern auf ein paar Millionen mehr oder weniger nicht an.
Obendrein erhöhten die Werften ihre Produktivität, auch auf Kosten von Arbeitsplätzen, aber vor allem setzt die Branche auf Innovation und Technik. "Ich empfehle den deutschen Werften die Flucht nach vorne, um den Vorsprung zu sichern. Wir müssen so schnell Neues entwickeln, dass man mit dem Kopieren nicht hinterher kommt", sagt der frühere Vorstand der HDW Lundt. Heute genießt etwa die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) den Ruf, ein globaler Innovationsführer zu sein, der innerhalb einer Woche einen kompletten Neubau am PC konstruieren kann. Keine Lappalie, meint Lundt, denn "in einem Schiff steckt mindestens so viel Technik wie in einem Airbus". Dafür arbeitet die Werft als Systemführerin, die etwa 3.000 nicht allein räumlich weit voneinander getrennte Unternehmen zusammen führt, die alle nahezu gleichzeitig an einem neuen Wasserriesen bauen - von der Müllverbrennungsanlage bis zur vollautomatischen Rudersteuerung.
Dass es um mehr geht, als um grenzenlose Liebe zum Meer oder zu Schiffen, hat die Politik erst kürzlich erkannt. Bundeskanzler Gerhard Schröder holte die alte, "schmutzige" Industrie aus der Schmuddelecke heraus, nachdem die rot-grüne Wirtschaftspolitik die strategische Bedeutung des "maritimen Komplexes" für den Standort Deutschland entdeckt hatte, nur vergleichbar mit Luftfahrt und Automobil. Im maritimen Komplex bündeln sich die Interessen von Politik und Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften, ein staatlich-privates Modernisierungs-Cluster als Antwort auf den Druck der Globalisierung.
Lob erhält der Ex-Kanzler von Managern, weil er zu "den Initiatoren" gehört, die bei der EU-Kommission eine starke maritime Industriepolitik durchsetzten, und auch die Gewerkschaften sind zufrieden. Im Juni 2000 hatte Bundeskanzler Schröder im Beisein der erfreuten Schiffs- und Hafen-Prominenz seine "Leitlinien zur Förderung der maritimen Wirtschaft" in Emden verkündet. Werften und maritime Wirtschaft seien "von zentralem Interesse für unser Land", heißt es darin, ein Schlüsselbereich eben.
Das Zauberwort des ersten regierungsamtlichen Maritimen Koordinators, Staatsekretär Axel Gerlach, hieß "Vernetzung" - Vernetzung von Staat, Politik und Wirtschaft, Wirtschaft und Wissenschaft sowie der Wirtschaft untereinander. Bundesminister Wolfgang Clement trieb ein cleveres "Innovationsförderprogramm" voran, und beim Wissenstransfer kam die rot-grüne Bundesregierung mit dem "Center of Maritime Technologies", an dem sich Industrie und Wissenschaft beteiligen, entscheidend weiter. Die staatliche Förderstrecke reicht von der wirksamen Innovationshilfe für Werften bis hin zur steuerbefreienden Wirkung der Tonnagesteuer für Reeder, die dafür im Gegenzug Schiffe zurückflaggen und deutsche Seeleute einstellen mussten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bemüht sich um kräftigen Rückenwind für den maritimen Komplex.
Mittlerweile mangelt es sogar an Fachpersonal und Kapitänen, wie auch Werften über den Mangel an Ingenieuren stöhnen und zusammen mit den Gewerkschaften eine Ausbildungsoffensive gestartet haben. Die mengenorientierten, überlebten Werftenhilfen liefen - auch auf Druck aus Brüssel - für Neubauaufträge am 31. Mai 2005 aus. Zukünftig gefördert werden nun in überschaubarem Umfang grundlegende Forschungen und konkrete Innovationen. Hier könnte der Staat noch mehr tun, fordern einvernehmlich Werftenverband VSM und IG Metall. "Wir sehen ein Problem bei der Beschäftigung, trotz der vielen Arbeit gibt es zu wenige Neueinstellungen", kritisiert Heino Bade, Schiffbauexperte der IG Metall zugleich die Unternehmerseite. Um die hochtechnische Zukunft zu meistern, sollten die Werften nicht allein Ingenieure einstellen, sondern auch Schiffsbauer, Schweißer und Facharbeiter.
Viele Unternehmen aus diesem vernetzten Industrie-Staat-Komplex sehen sich heute - und das wohl zurecht - als globale Technologieführer, darunter auch ein sprießender Zweig, der in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist: die Marinerüstung. So stammen weltweit 70 Prozent der militärischen Schiffsantriebe von MTU in Friedrichshafen am Bodensee. Um den Spitzenplatz auch bei U-Booten und Fregatten abzusichern, setzten der zweite Maritime Koordinator, Georg Wilhelm Adamowitsch, und Klaus Borgschulte, Boss des neuen, erst 2005 zusammengeschweißten Werftgiganten Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS), gemeinsam auf die Bundeswehr.
Die Deutsche Marine fungiert weiterhin als "Parent Navy", als Eltern-Marine, die Kriegsschiffe als Reverenzprojekte für spätere Auslandsaufträge der Industrie aufzieht - zwei Drittel des Marinebaus werden exportiert. "Lobbyismus, Stamokap pur", schimpfte auf der jüngsten Maritimen Konferenz in Bremen der prominente Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Auf eine andere mögliche Leckage weist Arnulf Hader hin. Immer noch würden zu viele deutsche Werften normale Containerschiffe bauen, das sei ein Risiko, warnt der Experte vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik: "Die nächste Werftenkrise kommt bestimmt - man weiß nur nicht wann."
Verbandsboss Lundt bleibt auch beim Abschied gelassen: "Wir haben unsere Hausaufgaben erledigt, die Gewerkschaften zeigen positive Ansätze, aber die Politik ist durch die vorgezogene Bundestagswahl etwas ins Hintertreffen geraten." Abwärts geht es mit dem Paternoster - aber das muss nichts bedeuten.
Hermannus Pfeiffer arbeitet als freier Wirtschaftsjournalist in Hamburg.
Informationen im Internet: www.vsm.de