Eine Milliarde Menschen haben schon heute keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, bis zum Jahr 2050 wird sich diese Zahl nach Schätzungen der Vereinten Nationen vervielfachen. Die Entsalzung von Meerwasser könnte die Probleme lindern, doch sie benötigt Infrastruktur, Energie und Geld.
Die Erde, der blaue Planet. Zwar sind nur drei Prozent davon Süßwasser, das obendrein noch zum Großteil im Eis der Polkappen und Gletscher gebunden ist. Und doch stünde dem Leben auf der Erde mit rund zehn Millionen Kubikkilometern immer noch mehr als genug trinkbares Süßwasser zur Verfügung. Das eigentliche Problem mit dem feuchten Nass ist seine ungleichmäßige Verteilung. So beherbergt der asiatische Subkontinent zwar fast zwei Drittel der Menschheit, bekommt aber nur ein Drittel der weltweiten Niederschläge ab.
Mit extremem Wassermangel leben die Anrainer des persischen Golfs. Hier fällt in vielen Jahren überhaupt kein Regen. Die raren Grundwasserreservoirs stammen aus klimageschichtlich besseren Zeiten und können die Bevölkerung schon lange nicht mehr ausreichend mit Trinkwasser versorgen.
Deshalb setzen die Ölscheichs seit Jahrzehnten auf eine Technologie, welche die praktisch unbegrenzten Wasservorräte der Ozeane nutzbar macht: die Entsalzung von Meerwasser. Täglich über sechseinhalb Millionen Kubikmeter Wasser produzieren allein die riesigen Wasserfabriken Saudi-Arabiens. Das Prinzip ist altbekannt: Meerwasser wird bis zum Siedepunkt erhitzt und verdunstet, wobei es die in ihm gelösten Salzionen wie Natrium und Chlorid in der verbleibenden Sole zurück lässt. In einem zweiten Schritt wird der heiße Dampf wieder abgekühlt und kondensiert zu Süßwasser. "Nach diesem thermischen Prinzip funktionieren nach wie vor die meisten der über 12.000 Meerwasser-Entsalzungsanlagen weltweit", sagt Claus Mertes vom Industrieverein Deutsche Meerwasserentsalzung. Sie produzieren rund 38 Millionen Kubikmeter Trinkwasser am Tag, mehr als das Doppelte des Verbrauchs aller deutschen Privathaushalte, schätzt der gelernte Ingenieur.
Das luxuriöse Leben auf künstlichen Inseln und bewässerten Golfplätzen verdanken die Scheichs am Golf neben dem Meerwasser vor allem einer anderen schier unerschöpflichen Ressource ihrer Region: Energie in Form von Erdöl. Denn Wasser ist ein besonderer Saft, der ausgesprochen ungern von einem Aggregatzustand in den anderen übergeht. Mehr als 2.200 Kilojoule braucht es, um einen Liter Wasser von 100 Grad Celsius in ebenso heißen Dampf zu verwandeln.
Allerdings wird die eingesetzte Energie beim Kondensieren auch wieder frei und lässt sich zum Vorwärmen des eingeleiteten Meerwassers verwenden. Mit diesem Wärmerecycling und einer Vielzahl weiterer technischer Tricks lassen sich rund 90 Prozent der eingesetzten Energie einsparen.
Doch der Energieaufwand bleibt beachtlich. Länder, die nicht über riesige Ölreserven verfügen, aber dennoch Meerwasser entsalzen wollen, setzen neuerdings verstärkt auf die zweite großtechnisch etablierte Methode, die mit etwa 40 Joule pro Liter weit weniger Energie benötigt: die Umkehrosmose. Das Grundprinzip der RO ("Reverse Osmosis") ähnelt dem eines Kaffeefilters. Mit hohen Drücken von rund 70 Bar wird das Salzwasser durch die nur wenige Nanometer messenden Poren einer speziellen Membran gepresst. Sie halten alles zurück, was die Größe eines Wassermoleküls wesentlich überschreitet - also auch die im Wasser gelösten Salzionen.
Höhere Kosten für Technik und Membranfolien bremsen die Verbreitung der Umkehrosmose bisher aber noch. Doch das werde sich schon bald ändern, prophezeit Claus Mertes. "Schon in zehn bis fünfzehn Jahren werden achtzig Prozent des weltweit entsalzten Wassers aus der Umkehrosmose stammen, heute ist das Verhältnis noch umgekehrt."
Mit den Herstellungskosten falle auch der momentan bei durchschnittlich 70 Eurocent pro Kubikmeter liegende Preis für entsalztes Wasser. Mertes sieht deshalb für die Meerwasserentsalzung, die lange nur als Luxuslösung für reiche Araber galt, den Anfang eines goldenen Zeitalters heraufziehen.
Tatsächlich gehört entsalztes Meerwasser auch abseits des persischen Golfs immer mehr zum täglichen Brot. Selbst Deutschland nutz die Technologie: die Helgoländer gewinnen so ihr Trinkwasser, bei Osna-brück wird damit salzhaltiges Grundwasser aufbereitet. Global gesehen sind das jedoch Peanuts. So beschloss die spanische Regierung unter dem Eindruck der verheerenden Dürren des vergangenen Sommers den Bau von Meerwasserentsalzungsanlagen zu forcieren. Auch die USA entsalzen bereits über 15 Prozent ihres Trinkwassers, nicht zuletzt, um Druck von den natürlichen Ressourcen zu nehmen und Konflikte zu entschärfen. Das Trinkwasser im südlichen Teil des Sonnenstaats Kalifornien etwa stammt zu großen Teilen aus dem Colorado River. Im mexikanischen Mündungsgebiet des Flusses kommt deshalb kaum noch Wasser an - ein chronischer Reibungspunkt zwischen den USA und Mexiko, auch wenn man sich in bilateralen Abkommen um Ausgleich bemüht.
Die älteste überlieferte Vereinbarung über Wasserrechte wurde nach langjährigen Kriegen zwischen den sumerischen Stadtstaaten Lagasch und Umma über die Nutzung des Tigris getroffen. Auch 4.500 Jahre später bleibt das Thema im Nahen Osten hochaktuell: Von den 37 akuten Konflikten um Wassernutzung, welche die Vereinten Nationen in den letzten 50 Jahren weltweit verbuchten, trugen sich allein 30 zwischen Israel und einem seiner Nachbarstaaten zu. Auch wenn der vielfach heraufbeschworene "Krieg ums Wasser" noch lange nicht Realität ist: In den vielen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahrzehnte spielte Wasser immer wieder eine tragende Rolle, und sei es auch nur als leicht vermittelbares Propagandaargument.
"Die Meerwasserentsalzung könnte durchaus dabei helfen, die Spannungen im heiligen Land zu entschärfen", meint die Berliner Wasserexpertin Simone Klawitter, die im Nahen Osten Behörden und Hilfsorganisationen berät. Denn der Streit ums Wasser belastet das israelisch-palästinensische Verhältnis zusätzlich. Während der durchschnittliche Israeli jedoch täglich über 300 Liter Trinkwasser verbraucht, müssen sich die Palästinenser mit wenig mehr als dem von der Weltgesundheitsorganisation verlangten Minimum von täglich 50 Litern begnügen.
Ende 2005 wurde nun an der Mittelmeerküste bei Aschkelon die erste von mehreren geplanten Großanlagen in Volllast genommen, die mit täglich 330.000 Kubikmetern Süßwasser rund fünf Prozent des israelischen Bedarfs an Trink- und Brauchwasser abdeckt. Ein Teil davon soll demnächst sogar in den nahegelegenen Gazastreifen geliefert werden und die dortige Wasserknappheit lindern. Auch in die palästinensische Westbank könnte in naher Zukunft eine weitere, bisher erst angedachte Anlage im israelischen Hadera täglich rund 150.000 Kubikmeter pumpen. Die Baukos-ten von etwa 110 Millionen Dollar soll der staatliche Entwicklungsdienst der USA übernehmen. Die sind aber erst der Anfang: Der plötzliche Wassersegen würde Folgekosten von weiteren 200 Millionen für den Ausbau des Leitungssystems und noch einmal 150 Millionen für neue Kläranlagen nach sich ziehen.
Größere Abwassermengen sind noch dazu nicht das einzige Umweltproblem, das die Entsalzung von Meerwasser aufwirft. Denn stets bleibt eine hochkonzentrierte Salzsole übrig, die, unverdünnt ins Meer zurückgeleitet, das marine Leben in der Nähe des Auslasses bedroht. Ökologisch heikel sind auch die Chemikalien, die dem Meerwasser zugesetzt werden, um Salzverkrustungen an den Wärmetauschern und RO-Membranen zu verhindern. Der größte Dämpfer in der Ökobilanz bleibt jedoch der hohe Energieverbrauch, der sich zu vertretbaren Preisen bisher nur aus fossilen Energieträgern beziehen lässt und so weiter zur globalen Erwärmung beiträgt. Kritiker fragen deshalb, ob man in ariden Gebieten wie Israel, Kalifornien oder Saudi-Arabien wirklich unbedingt Golf spielen, Bananen anbauen oder im persönlichen Pool planschen muss.
"In unterentwickelten Regionen wie den Dürregebieten Afrikas fehlt es ohnehin meist an den nötigen Rahmenbedingungen, um eine einmal aufgestellte Entsalzungsanlage zu betreiben und zu warten", meint Martin Kipping, Referent für Wasserfragen beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. "Weitaus preiswerter und nachhaltiger lässt sich die Trinkwasserversorgung in solchen Ländern verbessern, indem man Rohrleitungsverluste reduziert und die vorhandenen Süßwasser- ressourcen rationeller bewirtschaftet."
Selbst im entwickelten Spanien versickert knapp ein Fünftel des Trinkwassers ungenutzt im Boden, in vielen Entwicklungsländern liegt dieser Anteil bei weit über 50 Prozent. In vielen Regionen liege das Problem ohnehin nicht in einer unzureichenden Wassermenge, sondern in der ungerechten Verteilung des vorhandenen Wassers zwischen Landwirtschaft, wohlhabender Oberschicht und der armen Bevölkerungsmehrheit, so Kipping. "In unserer Entwicklungszusammenarbeit spielt die Entsalzung deshalb bisher auch keine Rolle."
Irgendwo im Spannungsfeld zwischen einer Ermöglichungstechnologie für weitere Wasserverschwendung und einem modernen Wasserzauber für die Dürregebiete der Welt wird die Boomtechnologie mit den zweistelligen Zuwachsraten in den kommenden Jahren ihren Platz finden. Zur Lösung der globalen Trinkwasserkrise braucht es aber mehr als entsalztes Meerwasser: einen vernünftigen Umgang mit der begrenzten Ressource Wasser.
Der Autor ist Biologe und arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in Leipzig.
Informationen im Internet: www.dme-ev.de; www.bmz.de