Wie also sind die Meereszonen, Küstenmeere, Meerengen und Archipele abgegrenzt? Wo endet die eigene Wirtschaftszone, wo ein Festlandsockel, wo beginnt die Hohe See? Wie dürfen diese Gebiete durch Schifffahrt, Überflug, Kabelverlegung oder Fischerei genutzt werden, wie sind der Schutz der Umwelt oder die Weitergabe von Technologie geregelt? Wie schließlich werden internationale Streitigkeiten zu Wasser beigelegt? Und auch das: Wie sieht es mit der Ahndung von Verbrechen dort aus, von der Piraterie bis zum Terror? Bei dem jüngsten Zwischenfall in der Ägäis wurden die Probleme umstrittener Hoheitsrechte drastisch in Erinnerung gerufen.
Dabei gibt es scheinbar wasserklare Übereinkommen der Vereinten Nationen. Immerhin betrifft das Seerecht, das auf hunderten bi- und multilateraler Verträgen fußt, mehr als 72 Prozent der Erdoberfläche. Fast zwei Drittel der Erdbevölkerung lebt an Küsten und damit am oder gar vom Wasser. Die Bedeutung der See für Klima und Kommunikation, Nahrung, Energie- und Rohstoffversorgung, für Forschung und Militär, aber auch als Abfalllager ist kaum zu überschätzen. Es geht um Rechtsfragen am und auf dem Meer, im Luftraum darüber sowie unter dem Meeresboden.
Dies alles wirft unendlich viele wirtschaftliche, verkehrs- und umwelttechnische, aber auch kulturelle und wissenschaftliche Fragen auf. Kurzum: Die Ansammlung von Völkergewohnheits- und kodifiziertem Recht - etwa dem der Europäischen Union - ist reichlich unübersichtlich. Seerechts-Verhandlungen der vergangenen Jahrzehnte waren zudem geprägt vom Bestreben der Entwicklungsländer nach einer gerechteren Verteilung der marinen Ressourcen sowie der Küstenstaaten überhaupt, die nach Erweiterung ihrer souveränen Rechte seewärts streben. Solche zum Teil planwirtschaftlichen Vorstellungen gingen den westlichen Industriestaaten zu weit.
Dennoch ist das Ergebnis - Folge des stärkeren Zugreifens der Staaten auf die Ressourcen - eine Territorialisierung des Meeres. So bilden die so genannten inneren Gewässer, Archipele und das Küstenmeer den maritimen Teil eines Staatsgebiets, über das - einschließlich des Luftraumes - der Küstenstaat volle Souveränität hat. Doch im Seerecht ist man von einem "integrierten Meeresmanagement" noch weit entfernt, obwohl früher oder später wohl alles auf eine "gemeinschaftliche und nachhaltige Bewirtschaftung der Ressource Meer" (S. Talmon) hinausläuft.
Dem 1994 in Kraft getretenen Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der UNO, im selben Jahr ergänzt um das Übereinkommen zur Durchführung (DFÜ) der Regelungen zum Meeresbergbau, sind bisher 138 (dem DFÜ 103) Staaten, einschließlich Deutschlands, beigetreten. Ein weiteres Abkommen zur Erhaltung und Bewirtschaftung weit wandernder Fischarten trat 2001 in Kraft. Die SRÜ-Verhandlungen dauerten mehr als 25 Jahre. Ihr revolutionäres Ergebnis ist der Grundsatz, dass der Meeresboden zum "gemeinsamen Erbe der Menschheit" erklärt wird, eine seit 1967 erhobene Forderung. Das Übereinkommen mit seinen 436 Artikeln ist der umfangreichste multilaterale Vertrag im Rahmen der Vereinten Nationen, "das imposanteste Vertragswerk in der gesamten Geschichte des Völkerrechts" (O. Kimminich). Ähnliche Abkommen gibt es zur Nutzung des Weltraumes.
Das SRÜ trifft Regelungen über fast alle Bereiche des Seevölkerrechts, von der Abgrenzung der Zonen über die Ausbeutung bis zu 200 Seemeilen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), hinter der die Hohe See beginnt, wo Schiffe nur der Hoheitsgewalt des Staates unterstehen, dessen Flagge sie führen - was teilweise die katastrophalen Unglücke der Billigfrachter erklärt - bis hin zur Streitbeilegung, den Rechten von Binnenstaaten auf einen Zugang zum Meer, der Transitfreiheit oder den Schutz von Unterwasser-Kulturgütern. Geltendes Völkerrecht wurde hier kodifiziert. Aber es wurden auch neue Normen geschaffen, etwa für den Meeresumweltschutz. Und drei neue Institutionen: der Internationale Seegerichtshof (ISGH), die Internationale Meeresbodenbehörde in Kingston/Jamaika und die Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels.
Auf Grundlage des SRÜ hat Deutschland mit Wirkung vom 1. Januar 1995 "sein" Küstenmeer auf bis zu zwölf Seemeilen ausgeweitet und eine AWZ in der Nord- und Ostsee proklamiert. Damit wurden die seit der Vereinigung bestehenden deutschen Küstenmeergrenzen vereinheitlicht. Die "alte" Bundesrepublik hatte bescheidene drei Seemeilen mit einer 15 Seemeilen-Sonderregelung um die "Helgoländer Box" beansprucht, die fischtüchtige DDR zwölf. Nun wurden die Voraussetzungen für einen wirksameren Umweltschutz und eine Verbesserung der Sicherheit des Seeverkehrs geschaffen. Eine Ausschließliche Wirtschaftszone wie die in der Nord- und Ostsee erstreckt sich jedoch nicht auf den Luftraum, sondern auf den Meeresboden.
Dabei sind alle wirtschaftlichen Nutzungsrechte - außer Schifffahrt, Überflug, Kabel- und Rohrleitungsverlegung - sowie Hoheitsrechte bezüglich der Errichtung von Anlagen, künstlichen Inseln, Meeresforschung sowie der Umweltschutz ausschließlich beim jeweiligen Küstenstaat angesiedelt.
Mit dem ISGH (International Tribunal for the Law of the Sea/ ITLOS) wurde erstmals eine bedeutende Rechtsinstitution der UNO auf deutschem Boden ansässig. 1996 fand in New York die Wahl der neun Jahre amtierenden Richter statt. Die Übergabe des neuen Gerichtsgebäudes an den ISGH erfolgte am 3. Juli 2000 in Anwesenheit von Kofi Annan in Hamburg. Der UN-Generalsekretär bezeichnete dabei das internationale Seerecht als "lingua franca der Unterzeichner". "Außerdem ist der Internationale Seegerichtshof ein zentraler Baustein der weltweiten Friedens- und Sicherheitsordnung." Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin freute sich ebenfalls: "Für Deutschland als eine der größten Exportnationen der Welt mit immensen maritimen Interessen, als das Land mit den meisten und modernsten Containerschiffen, ist die Kodifizierung des internationalen Seerechts eine hochwichtige Weichenstellung für das 21. Jahrhundert!"
Dem Gerichtshof gehören 21 Richter an. Der Gebäudekomplex kostete 123 Millionen Mark und wurde vom Bund und der Hansestadt finanziert. Präsident ist seit Oktober 2005 (bis 2008) der deutsche Richter Rüdiger Wolfrum, der Dolliver Nelson (Grenada) ablöste. Deutschland übernimmt mit dem ISGH eine weitere internationale Verantwortung beim Ausbau des Systems friedlicher Streitbeilegung im Rahmen der UNO.
Der ISGH hat seit Aufnahme seiner Tätigkeit 13 Rechtsstreitigkeiten erledigt. Dabei ging es überwiegend um die Freigabe von Schiffen, die wegen des Vorwurfs der illegalen Fischerei festgehalten worden waren. Er besitzt in einigen Fällen ausschließliche Zuständigkeiten, etwa bei bestimmten Streitigkeiten im Meeresbodenbergbau. Parteien können Staaten sein, internationale Organisationen, aber auch natürliche und juristische Personen. Bei Dringlichkeitsverfahren zur sofortigen Freigabe eines zurückgehaltenen Schiffes besteht, falls die beteiligten Staaten sich nicht binnen zehn Tagen einigen, eine ausschließliche Gerichtsbarkeit. Die Streitigkeiten drehen sich zudem um Fischfangquoten. Australien und Neuseeland ging es zuletzt um die Erhaltung des südlichen Blauflossen-Thunfisches, als man gegen Japan Klage einreichte. Der Gerichtshof entschied, dass Japan sich an die vereinbarten Quoten zu halten habe. In den vergangenen Jahren haben sich die Vereinten Nationen neben dem Meeresumweltschutz vermehrt mit Fragen der Fischerei - etwa in Folge der brutalen Treibnetz-Gigantomanie auf Hoher See - gewidmet.
Erst am 13. April dieses Jahres erläuterte Präsident Wolfrum in der "28. Doherty Vorlesung" eine neue Dimension: den "Kampf gegen Terrorismus zur See: Optionen und Schranken unter internationalem Recht". Danach befinden sich die bestehenden Rechtsinstrumente zur Unterdrückung des Terrorismus zur See "in einem Zustand des Übergangs", vor allem da die Staatengemeinschaft es mit "einer neuen Art organisierten Verbrechens" zu tun hat sowie mit "neuen Rechtsbrechern", die, ausgestattet mit modernen Kommunikationsmitteln, in internationalen Netzwerken operieren. Dies macht es ihnen leicht, die Basis ihrer Ausgangsoperationen zu wechseln und Unterschlupf zu finden. Die bisherigen Übereinkommen berücksichtigten jedoch die neuen Gefahren, so Wolf- rum: "Diese Rechtsentwicklung zeigt klar an, dass das internationale Recht als solches und die Maßnahmen zur Verbesserung flexibel genug sind, auf neue Herausforderungen zu reagieren."
Konrad Watrin arbeitet als freier Journalist in Aumühle bei Hamburg.
Informationen im Internet: www.auswaertiges-amt.de; www.itllos.org