Wenn die "Boarding"-Soldaten der Fregatte "Emden" am Horn von Afrika ein fremdes Schiff betreten, um es bis in die hinterste Ecke zu kontrollieren, dann liegt ein Auftrag vom US-Befehlshaber der Marinekräfte vor und der Kapitän des verdächtigen Schiffes hat der Maßnahme bereits zugestimmt. Alles Weitere ist für die Soldaten Routine. Als erstes beschlagnahmen sie eventuell vorhandene Waffen. Dann arbeiten sie ihre Checklisten ab: Stimmen Papiere und Ladung überein, befinden sich verbotene Güter an Bord, sind die angegebenen Maße des Schiffes korrekt, lassen sich die Mitglieder der Besatzung identifizieren? Der ganze Vorgang kann unter Umständen Stunden dauern.
Andreas de Roover, Oberleutnant zur See der Reserve, hat die Besatzungen der geboardeten Schiffe bislang kooperativ erlebt. Denn sie wollen weder Ärger noch lange Pausen haben. Obendrein flößt das nahe Kriegsschiff "Emden" den Verdächtigen Respekt ein. Einige Ungewissheiten bedrücken de Roover vor dem Einsatz: Kursieren auf dem fremden Schiff womöglich Krankheiten, gibt es Verletzte, welche Ausrüstung ist auf dem Schiff?
Die Deutsche Marine beteiligt sich seit 2001 an der Operation "Enduring Freedom" am Horn von Afrika. Sie soll der internationalen Terrorbekämpfung und der Sicherung des Seewegs für die zivile Schifffahrt dienen. Ebenso unterstützt die Deutsche Marine die NATO-Operation "Active Endeavour" im östlichen Mittelmeer. Auslandseinsätze sind für die Marine nicht neu. Sie operierte unter anderen 1987 im Mittelmeer zur Unterstützung der Verbündeten während des 1. Golfkrieges, 1992 im Überwachungseinsatz in der Adria während der Balkan-Kriege oder leistete 2004/2005 humanitäre Hilfe in Südostasien nach der Tsunami-Katastrophe.
Dennoch haben der Fall des Eisernen Vorhangs sowie die Terroranschläge vom 11. September die Aufgaben der Marine entscheidend verändert. War der Auftrag während des Kalten Krieges klar umrissen - in der Nordsee und im Nordatlantik Nachschub und alliierte Verstärkungen für Mitteleuropa zu sichern sowie die Ostseezugänge zu schützen - ist die Bedrohungslage heute asymmetrisch. Marine-Inspekteur Lutz Feldt zieht daraus in seiner "Jährlichen Weisung" die Konsequenzen: "Die Befähigung zu multinationalen und streitkräftegemeinsamen Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung und zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus weiter zu verbessern, bleibt das entscheidende Ziel."
Die Sicherheit auf den Meeren ist für die deutsche Wirtschaft eine unerlässliche Voraussetzung. Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden wurden im Jahr 2005 allein knapp 285 Millionen Tonnen "Befördermengen" auf dem Seeweg transportiert.
Nutznießer eines geschützten Seeweges war unter anderen die "Deutschland", bekannt als das "Traumschiff". Für die Passage durch das Rote Meer in den Golf von Oman wandte sich die Reederei an das Bundesinnenministerium, um unter Radarschutz der Marine-Schiffe vor dem Horn von Afrika genommen zu werden. Eine Vorsichtsmaßnahme, nachdem sich im Seegebiet vor Somalia ein Piratenüberfall auf die "Seabourn Spirit" ereignet hatte. Die Fregatte "Lü-beck" gewährte der "Deutschland" schließlich Geleitschutz.
Die neuen Aufgaben der Deutschen Marine verlangen entsprechende Strukturen. Darauf stellt sich die Marine, die in diesem Jahr ihren 50 Geburtstag feiert, im Rahmen des Transformationsprozesses der deutschen Streitkräfte ein - mit ihrem Personal, ihren Standorten und ihrer Ausrüstung. Von etwa 250.000 Bundeswehrsoldaten gehören etwa 25.000 der Marine an, 19.000 dienen direkt bei den Seestreitkräften, weitere 6.000 Marinesoldaten verteilen sich auf die Streitkräftebasis und den Zentralen Sanitätsdienst und andere Teile der Bundeswehr.
Wie Heer und Luftwaffe musste die Marine in den vergangenen Jahren etliche Standorte schließen. Künftig wird sie an folgenden größeren Standorten vertreten sein: in Wilhelmshaven, Eckernförde, Kiel und Warnemünde. Hinzu kommen die Fliegerhorste Nordholz und Kiel-Holtenau, die Marineschulen in Bremerhaven, Flensburg, Plön, Neustadt in Holstein und Parow bei Stralsund sowie die Kommandobehörden in Glücksburg und Rostock. Die Marine verfügt derzeit über 15 Fregatten, 14 U-Boote, zehn Schnellboote, 22 Minenabwehrfahrzeuge, zwei Einsatzgruppenversorger, sechs Tender und zahlreiche zivil besetzte Hilfsfahrzeuge wie Tanker, Schlepper und Eisbrecher, 43 Hubschrauber wie Sea Lynx und Sea King sowie elf Seefernaufklärungsfahrzeuge. Auf der Beschaffungsliste stehen zudem acht Fernaufklärer P-3 C Orion, fünf Korvetten K 130, zwei U-Boote U 212 A, ein Einsatzgruppenversorger, vier Fregatten Klasse F 125 und 30 Hubschrauber MH 90.
Mit weltweiten Einsätzen hat die Marine zwar Erfahrungen, doch die rechtlichen Grundlagen hinken der veränderten Auftragslage hinterher. So liegt bis bis auf den heutigen Tag kein Seesicherheitsgesetz vor, das den Soldaten entsprechende Handlungsspielräume im Einsatz einräumt - etwa beim "Boarding" verdächtiger Schiffe. Dies ist bislang nur mit ausdrück-licher Zustimmung des betroffenen Kapitäns möglich. Verweigert dieser die Zustimmung, dann müssen die Schiffe der Verbündeten, die über eine entsprechende Rechtslage verfügen, ran - beispielsweise die Amerikaner.
Ulrike Merten (SPD), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages sieht das druchaus kritisch: "Die Marine bleibt dadurch hinter ihren Möglichkeiten zurück und ihr Einsatz ist nicht so wirkungsvoll wie er sein könnte. Das ist unbefriedigend." Winfreid Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, macht jedoch gleich eine Einschränkung: "Den Rahmen für ein Seesicherheitsgesetz setzt das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz. Mit seiner Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klargestellt, dass der Schutz der Menschenwürde Vorrang hat. Sie muss im Kern unangetastet bleiben. Diese rote Linie gilt sowohl für ein Luftsicherheits- als auch für ein Seesicherheitsgesetz."
Auch in der Marine ist - zumindest hinter vorgehaltener Hand - Kritik zu vernehmen: "Im Fall eines Auslandseinsatzes fehlt es derzeit an einer Rechtsgrundlage für die Beteiligung deutscher Seestreitkräfte bei der Bekämpfung der Piraterie. Es besteht eine Lücke zwischen dem Völkerrecht, das dies ausdrücklich zulässt und dem nationalen Recht, wonach diese Aufgaben derzeit durch die Marine nicht wahrgenommen werden können." Die Marine, so ist zu hören, benötige Zuständigkeiten im Verhältnis zu den übrigen Behörden in so genannten "Sonderlagen", um den Schutz an deutschen Küsten und angrenzender Gewässer sicherzustellen. Außerdem sollte sie über ähnliche Kompetenzen bei der Bekämpfung von Piraterie und Schmuggel mit terroristischem Hintergrund verfügen, wie sie die wichtigsten Partnermarinen besitzen.
Fregattenkapitän Thomas Jensen, Kommandant auf der Fregatte "Emden", blickt im Laufe seines Einsatzes im Rahmen von Enduring Freedom auf Erfahrungen nach mehr als 100 "Approaches" (Informationsbesuche auf einem fremden Schiff ohne speziellen Auftrag) sowie je drei "Flag Verifications" und "Boardings" zurück. Seine Einschätzung: "Ich habe dabei bisher keine Situation erlebt, in der die vorhandene Rechtslage für die zu treffenden Kontrollmaßnahmen nicht ausgereicht hätte." Theoretisch sei der rechtliche Spielraum beim "Boarding" zwar eng, in der Praxis ihres Einsatzes reichte er jedoch aus, da sich die Besatzungen der überprüften Schiffe kooperativ verhielten.
Problematisch wird es allerdings, wenn ein verdächtiges Schiff in fremde Hoheitsgewässer abdreht. "Der Aspekt des Befahrens fremder Hoheitsgewässer muss und kann jedoch nur diplomatisch durch Verhandlungen geregelt werden, da er Rechte eines anderen Staates berührt", sagt Jensen. Ein Seesicherheitsgesetz hingegen beträfe Befugnisse von Polizei und Militär innerhalb deutscher Hoheitsgrenzen: "Hier könnte es Situa- tionen geben, bei denen die Marine Aufgaben übernimmt, die bisher reine Polizeiaufgaben waren, für die die Marine jedoch sehr gut einsetzbar wäre", gibt Jensen zu bedenken.
Sicherheitspolitikerin Ulrike Merten hofft, "dass das Seesicherheitsgesetz eher dieses als nächstes Jahr kommt". Nach den Erfahrungen mit dem Luftsicherheitsgesetz und der danach folgenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müsse dieses Gesetz sorgfältig vorbereitet werden, damit es alle parlamentarischen Hürden überwinden könne.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
Informationen im Internet: www.marine.de