Calypso-Star Harry Belafonte besang sein "island in the sun", Madonna trällerte über die "isla bonita", Roland Kaiser schnulzte "Santa Maria" ins Mikrofon, Rudi Schurike sah, wie "bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt", die Ärzte wollten unbedingt "zurück nach Westerland" auf Sylt und Peter Cornelius bekannte, er sei schlichtweg "reif für die Insel". Ganz ähnliche Listen ließen sich für die Literatur oder die Kunst erstellen. Inseln sind die ideale Projektionsfläche für Träumereien aller Art - sei es nun ein Bekenntnis zu seiner Heimat Trinidad wie bei Belafonte, seien es erotische Fantasien wie bei Kaiser und Madonna oder einfach nur der verzweifelte Ruf nach einem Urlaub unter Palmen wie bei Cornelius. In der Tat gehören Inseln zu den beliebtesten Reisezielen, ganz gleich ob Mallorca im Mittelmeer, Madeira im Atlantik, Rügen in der Ostsee, die Dominikanische Republik in der Karibik, Hawaii im Pazifik oder die Malediven im Indischen Ozean. Vielleicht weil sie - vom Meer umschlungen - die besten Voraussetzungen bieten, um alle Festland-Sorgen hinter sich zu lassen.
"Die Insel der Glückseligkeit" ist sprichwörtlich - auch in der Politik, wenn von idealen Zuständen die Rede ist, diese aber nicht zu realisieren sind. Aber Papier ist geduldig, dachte sich ganz philosophisch der Grieche Platon und schuf um 360 vor Christus einen Insel-Mythos, der bis heute die Fantasie beflügelt: Atlantis. Die Geschichte der sagenumwobenen Insel, die irgendwo jenseits der Säulen des Herakles, der heutigen Meerenge von Gibraltar, im Atlantik gelegen haben soll, will der Grieche von ägyptischen Priestern überliefert bekommen haben. In Wirklichkeit entwarf er wohl eher das Bild eines Idealstaates im Gegensatz zu den realen Verhältnissen im Stadtstaat Athen. Und weil es Idealstaaten nicht wirklich gibt, ließ Platon sein Atlantis auch in den Fluten versinken. Was aber bis heute selbst seriöse Wissenschaftler nicht davon abhält, nach dem Mythos zu suchen; zumindest nach einem wahren Kern der Geschichte.
Annähernd 2.000 Jahre später schuf Sir Thomas Morus 1516 in England seine Vorstellung von einem idealen Staat. Er nannte ihn "Utopia" und siedelte ihn - wer hätte es gedacht - ebenfalls auf einer Insel an. Morus beruft sich in seinem Werk, in dem er eine auf Bildung und demokratische Grundzüge basierende Gesellschaft beschreibt, auf die Geschichte eines Seemanns, der lange Zeit auf Utopia gelebt haben will. Doch hier spann der Engländer eher sein eigenes Seemannsgarn.
In den folgenden Jahrhunderten trauten sich seine Landsleute und die übrigen europäischen Seefahrernationen immer weiter auf die Ozeane. Utopia und Atlantis fanden sie nicht, aber eine Menge Inseln, die ihnen als wahrhafte Paradiese erschienen - in der Karibik oder der Südsee. Für die dort lebenden Insulaner kam diese Begegnung meist jedoch eher der Vertreibung aus dem Paradies gleich.
Der Mensch wäre eben nicht er selbst, wenn es ihm nicht gelänge, auch die schönsten Träume ins Gegenteil zu verkehren. Abgeschieden, einsam und schwer erreichbar wurde so manches Eiland für viele Menschen zum Alptraum. Seit der Antike dienen Inseln als ideale Orte der Verbannung. Seltener fallen sie jedoch so kreativ aus wie im Falle des Johannes, "des Sehers von Patmos": Von den Römern auf die griechische Insel verbannt, schrieb dieser dort in den Jahren 95 bis 97 nach Christus seine Vision über das Weltgericht, die Apokalypse.
Napoleon hatte gleich zweimal das zweifelhafte Vergnügen, eine Insel sein unfreiwilliges Heim nennen zu dürfen. Als ihn die Fürsten und Könige nach seiner Niederlage auf den Schlachtfeldern Europas in die Verbannung nach Elba schickten, hatten sie offensichtlich auf die falsche Insel gesetzt. Denn der abgesetzte Franzosenkaiser konnte dem Flair der Mittelmeerinsel in unmittelbarer Nähe zu seiner alten Heimat Korsika nicht viel abgewinnen. Zu allem entschlossen setzte er mit seiner verbliebenen Ehrengarde wieder aufs Festland über, setzte sich erneut auf den Thron und stürzte sich in das nächste militärische Abenteuer. Nachdem die Briten und Preußen bei Waterloo 1815 seinen Höhenflügen ein endgültiges Ende bereitet hatten, buchten sie ihm ein One-Way-Ticket für ein kleines Eiland im Südatlantik: Sankt Helena wurde für Napoleon zum unfreiwilligen Alterssitz.
Wo verbannt wird, sind Gefängnisse meist nicht weit. Selbst Napoleon wurde von den Briten auf Sankt Helena auf das Strengste bewacht. Als wären tausende von Seemeilen nach Europa nicht Sicherheit genug vor einem weiteren Ausflug des agilen Feldherrn. Festungsmauern und Stacheldraht verhalfen vielen Insel zu trauriger Berühmtheit und beherbergten - mal zu Recht, mal zu Unrecht - so manchen prominenten Häftling. So durfte Al Capone auf der Gefängnisinsel Alcatraz in der Bucht von San Francisco über seine Missetaten sinnieren, Frankreich schickte den Offizier Alfred Dreyfus wegen angeblichen Hochverrats dahin, wo der Pfeffer wächst, auf die Teufelsinsel vor Französisch-Guayana, und Alexandre Dumas hinterließ uns die Geschichte des "Grafen von Monte Christo", der den Mauern des Château d'If vor Marseille entkam. Die südafrikanische Regierung inhaftierte den ANC-Führer Nelson Mandela auf der Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt. Völlig ahnunglos, ihren zukünftigen Präsidenten vor sich zu haben, schoben ihm seine Wärter "Wasser und Brot" in die Zelle.
Bis heute Regierungen die zweifelhaften Vorteile von Inseln, um Unliebsame wegzuschließen. Der ehemalige PKK-Chef sitzt einsam und vergessen auf der türkischen Gefängnisinsel Imrah im Marmarameer ein, und die USA halten in ihrem Marine-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba hunderte von Taliban-Kämpfern und vermeintlichen Terroristen gefangen - exterritorial und damit fernab von amerikanischem und Völkerrecht. "La isla bonita" ist von hier nicht zu erreichen.