Ich hoffe", schreibt der Abgeordnete im Internet, "dass möglichst viele meiner Kollegen meinem Beispiel folgen." Der Abgeordnete heißt Jakob Maria Mierscheid, die Vorbildfunktion reklamiert er für das Engagement, mit den Bürgern seines Wahlkreises in Kontakt zu treten. Leider ist Mierscheid nur ein fiktiver Abgeordneter, seine Partizipation bei dem Projekt sie-schreiben-dir.de nur eine Schimäre.
Dafür ist sie-schreiben-dir.de umso realer. Seit Mitte Mai können sich alle Bürger auf der Webseite anmelden, um Bedarf an Informationen von ihren Wahlkreisabgeordneten zu signalisieren. Um beim Namen des Projekts zu bleiben: Sie, die Abgeordneten, bekommen anschließend die Möglichkeit, mit dir, dem potenziellen Wähler, in Kontakt zu treten. "Wir wollen den Spieß umdrehen", erläutert Christoph Dowe, Geschäftsführer der Informationsplattform politik-digital.de. "Die Bürgerinnen und Bürger stellen den Politikern keine Fragen, die Initiative soll von der anderen Seite ausgehen: Was wollen die Abgeordneten den Leuten in ihrem Wahlkreis mitteilen?"
Die Plattform politik-digital.de, Gewinner des Grimme-Online-Awards 2001, wird von pol-di.net betrieben, einem Berliner Verein, der in der Vergangenheit mehrfach mit originellen Ideen zum Thema Internet und Politik aufgefallen ist. So etwa mit dem Vorgänger-Projekt zur Bundestagswahl www.ich-geh-nicht-
hin.de, das ebenfalls zusammen mit der Non-Profit-Organisation mySociety.org erarbeitet wurde. Nicht erst seit dem letzten Bundestagswahlkampf ist klar, dass interaktive Kommunikation eine immer wichtigere Rolle für demokratische Prozesse und politische Meinungsbildung spielen kann.
Sie-schreiben-dir.de soll ganz konkret dabei helfen. Das Prinzip: Alle Nutzer geben ihre Postleitzahl an und tragen sich so in eine Art stille Warteliste bei den Bundestagsabgeordneten ihres Wahlkreises ein. Keine Fragen, keine Statements wie etwa bei kandidatenwatch.de, einer Webseite, die ebenfalls auf den direkten Kontakt zwischen Wählern und ihren Volksvertretern setzt. Stattdessen: Nur eine Art Strichliste. Wenn 25, 50, 75 oder 100 Bürger aus einem Wahlkreis zusammengekommen sind, bekommt der entsprechende Abgeordnete eine E-Mail mit dem Hinweis auf die wachsende Gruppe - dann kann er mit seinen Wählern in Kontakt treten.
Die Idee dazu entstand Ende 2005, Vorbild ist die bristische Webseite HearFromYourMP.com, die seit November vergangenen Jahres ihre Dienste anbietet. "Leider verbinden die meisten Politiker E-Mails ausschließlich mit Arbeit, also negativ", so Dowes Einschätzung. Dass auch Politiker in Zeiten schwindender Basis neue Kommunikationsformate ausprobieren sollten, findet er nur selbstverständlich. "Ein Großteil aber betrachtet zweikanalige Kommunikation eher als Problem denn als Chance. Das Positivste, das ich bislang gehört habe, war, dass Weblogs oder andere Dialogplattformen ein gutes Marketinginstrument seien."
In der Tat scheinen Parlamentarier eher zögerlich auf derartige Internet-Seiten zu reagieren. Das gilt nicht nur für den noch jungen deutschen Auftritt, bei dem sich außer Jakob Maria Mierscheid noch keiner der Politiker gemeldet hat - auch bei der rund sechs Monate älteren britischen Version ist das Engagement der "Members of Parliament" (MP) mehr als verhalten: Auch Abgeordnete mit über 100 Einträgen sahen bislang keine Notwendigkeit, den Bürgerinnen und Bürgern ihres Wahlkreises etwa über ihre aktuellen Initiativen in Sachen Gesundheitspolitik zu berichten. Erfolg sieht anders aus.
Ob Bundespolitiker ähnlich skeptisch wie ihre britischen Kollegen auf das Angebot reagieren, wird sich zeigen. In den ersten sechs Wochen seit dem Start der Plattform haben sich gut 850 Nutzer eingetragen, die Liste mit wartenden Wählern führt der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele an. Die Marke von 25 hat er längst erklommen, den eingetragenen Usern hat er allerdings noch keine Nachricht zukommen lassen. "Kann es darum gehen", stöhnt der Grünen-Politiker, "neben den abertausenden Kommunikationen in Blogs, Chatrooms und Newsgroups noch weitere 150 Mailwechsel zu erzeugen?"
Generell, so Ströbele, halte er E-Demokratie für eine gute Möglichkeit, direkte Kommunikation voranzubringen. In digitalen Zeiten geht er aber gerne auch einmal unkonventionell konventionelle Wege: "Ich selbst habe zur Halbzeit der letzten Legislaturperiode einen Bürgerbrief an die Haushalte in meinem Wahlkreis verschickt - per Post."
Auch wenn Dowe und sein Team davon leben, die digitalen Formen von politischer Partizipation voranzutreiben, ist ihnen klar: Internet ist nicht alles. Mit der neuen Website wolle man nur einen Ausgangspunkt für Kommunikation bieten. "Das schönste wäre", erklärt er mit Nachdruck, "wenn aus der Online-Kommunikation auf sie-schreiben-dir.de ein Offline-Kontakt im Wahlkreis entstehen würde."