Die Volksrepublik ist neben den USA und Großbritannien das Land mit den größten ausländischen Direktinvestitionen. China verzeichnet seit Jahren ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von durchschnittlich mehr als neun Prozent jährlich und ist als "Werkbank der Welt" mit zahllosen Alltagsprodukten bei uns zu Hause angekommen. Im Zuge dieser Entwicklungen ist es China 2003 sogar gelungen, das BIP pro Kopf erstmals über die Marke von 1.000 US-Dollar zu heben. 2005 lag es bereits bei 1.307 US-Dollar. Und die Zahl der Chinesen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, konnte nach Angaben der Weltbank seit 1981 um mehr als 420 Millionen gesenkt werden.
Parallel zu diesen weltwirtschaftlichen Verschiebungen haben sich auch im außenpolitischen Bereich große Veränderungen ergeben: Für die Lösung zentraler Fragen in der internationalen Politik ist die Rolle Pekings von zunehmender Bedeutung. Selbstverständlich kommt hier vor allem die Position Chinas als Veto-Macht im UNO-Sicherheitsrat zum Tragen. Aber das ist es nicht allein, hat die Volksrepublik diesen Status doch bereits seit 1971. Es sind eher die Veränderungen in der chinesischen Außenpolitik seit Anfang der 90er-Jahre, die hier entscheidend sind. Hatte Peking sich lange Zeit unter Hinweis auf das Prinzip "der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates" aus der Lösung internationaler Konflikte herausgehalten, so ist China heute viel eher bereit, auch weltweit Verantwortung zu übernehmen. Deutlichste Beispiele hierfür sind die Führungsrolle, die Peking bei den Sechs-Parteien-Gesprächen zu Nordkorea übernommen hat, die Versuche zur Lösung des Iran-Konflikts, aber auch die Tatsache, dass das Land bei der Gründung und dem Ausbau der Schanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) einen sehr aktiven Part übernommen hat.
Der wirtschaftliche und internationale Aufstieg Chinas führt fast zwangsläufig zu Interessenkonflikten mit etablierten Mächten wie den USA oder Japan. So ist China für die Aufrechterhaltung seines Wirtschaftswachstums darauf angewiesen, die eigene Ressourcenversorgung langfristig sicherzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, forciert Peking seit einigen Jahren diplomatische Initiativen gegenüber dem Nahen Osten, aber auch gegenüber Afrika und Lateinamerika. Dass die Volksrepublik bei diesem Bestreben auch mit Regierungen kooperiert, die vom Westen massiv kritisiert werden, wird in den USA und den europäischen Hauptstädten mit Sorge beobachtet. Insbesondere westliche Entwicklungspolitiker sehen die Gefahr, dass mit einem solchen Auftreten Chinas die eigene Entwicklungspolitik ausgehebelt werden könnte, die oft an Bedingungen geknüpft ist - zum Beispiel die Wahrung der Menschenrechte oder gute Regierungsführung. Allerdings lässt sich bereits jetzt erkennen, dass die chinesische Führung ihre Beziehungen zum Westen nicht unnötig durch das Zusammengehen mit derartigen Regierungen belasten will. Dazu sind die Kontakte zu Europa und den Vereinigten Staaten viel zu wichtig. Denn gerade die Absatzmärkte in diesen Ländern sind für die Chinesen ein unverzichtbarer Faktor für die erfolgreiche Fortsetzung ihrer Wirtschaftsentwicklung und damit notwendige Grundlage für die Fortsetzung der innenpolitischen Reformanstrengungen. Trotz aller großartigen Erfolge steht China noch immer vor immensen gesellschaftspolitischen Herausforderungen.
Erfolgsmeldungen über ungebremstes BIP-Wachstum, die Vollendung von Großprojekten wie dem Drei-Schluchten-Staudamm, der Tibet-Eisenbahn oder über den ersten bemannten Raumflug dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass China in vielen Bereichen noch typische Merkmale eines Entwicklungslandes aufweist. DDas Bewusstsein für die Umwelt ist zwar gewachsen, gleichzeitig werden jedoch die Probleme in diesem Bereich immer größer. Von den 20 Städten in der ganzen Welt mit der schlechtesten Luft liegen 16 in China. Seit einiger Zeit macht der Satz "China wird alt, bevor es reich ist" die Runde. Berechnungen, wonach die chinesische Gesellschaft in den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten in ähnlichem Maße überaltert wie die deutsche, stützen diesen Ausspruch. Die Tatsache, dass China bisher über kein flächendeckendes System der Altersversorgung verfügt, verstärkt bei den Verantwortlichen die Besorgnis über die demografische Entwicklung.
Die Bevölkerung äußert ihre Unzufriedenheit mehr denn je in Protesten. Sogar offizielle Angaben belegen, dass die Zahl der Demonstrationen zum Beispiel gegen Korruption, Umweltprobleme und Zwangsumsiedlungen sowie gegen die Schließung von Staatsbetrieben von 58.000 im Jahr 2003 auf 87.000 im Jahr 2005 gestiegen ist. Die Pekinger Führung ist sich dieser Herausforderung bewusst und versucht gegenzusteuern. Das hohe Wirtschaftswachstum eröffnet gegenwärtig noch Handlungsspielräume für die politische Führung. Diese würden eingeengt, sollte sich das günstige wirtschaftliche Umfeld negativ verändern. Die gesamte Welt muss daran ein Interesse haben, dass China seine Herausforderungen bewältigen kann. Das Land ist bereits heute in einem Maße in die Weltwirtschaft integriert, dass positive wie negative Entwicklungen im bevölkerungsreichsten Land der Erde sich auch bei uns unmittelbar bemerkbar machen würden. Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen Pekings, seine Beziehungen zu den direkten Nachbarn zu stärken, positiv zu bewerten, weil sie stabilisierend wirken können. Dies gilt zum Beispiel für die kürzliche Eröffnung des seit Anfang der 60er-Jahre geschlossenen Grenzübergangs zu Indien oder den Grenzverkehr zwischen China und Sibirien. Trotz dieser positiven Schritte und Entwicklungen dürfen die Gefahrenpotenziale jedoch nicht übersehen werden: Die Beziehungen zu Japan sind seit einigen Jahren von Spannungen gekennzeichnet, die Taiwan-Frage bleibt eines der ungelösten Probleme Asiens mit überregionaler Sprengkraft. Hier wird es wichtig sein, die Entwicklungen genau zu beobachten und gegebenenfalls von Seiten der internationalen Staatengemeinschaft auf eine friedliche Entwicklung hinzuwirken.
Betrachtet man aktuelle Entwicklungen in den chinesischen Außenbeziehungen, verblüfft es, wie traditionelle Elemente chinesischer Außenpolitik wieder stärker zum Tragen kommen. So entwickelt sich das Reich der Mitte immer mehr zum Gravitationszentrum in der Region, das an wirtschaftliche und kulturelle Angebote langfristig auch den Anspruch auf politische Dominanz knüpft. In der China-Orientierung Sibiriens oder der südostasiatischen Staaten manifestiert sich diese Entwicklung bereits. In Afrika versucht Peking ebenfalls, mit Schuldenerlassen und diplomatischem Entgegenkommen eine positive Grundstimmung zu schaffen, die sich auch politisch auszahlen soll. Damit tauchen hier Elemente des vormodernen "Tributsystems" in neuem Gewand wieder auf. Dabei wurde traditionell die Anerkennung eines chinesischen Führungsanspruchs durch großzügige Geschenke Pekings vergolten. Auch dadurch wird ein solches "China im Entwicklungsspagat" für nicht-westlich geprägte Staaten zunehmend interessant. Diese Entwicklung sollte aufmerksam verfolgt werden.
Der Autor ist Leiter der Asien-Abteilung der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin.