Vorneweg das Manko: Die Beiträge dieses Sammelbands, der zahlreiche prominente Verfasser vereint, stehen isoliert nebeneinander, es fehlt das Verknüpfende, das Einordnende zwischen den ökologischen Bekenntnissen und Forderungen wie auch den divergierenden Einschätzungen, Strategien, Vorschlägen und politischen Positionen. Das freundliche Vorwort von Bundespräsident Horst Köhler kann dies naturgemäß nicht leisten. Es ist gewiss eine ambitionierte Idee, das 20. Jubiläum des 1986 geschaffenen Bundesumweltministeriums (BMU) zum Anlass für eine historische und aktuelle Tour d'Horizont durch Werdegang, Fährnisse, Höhepunkte, Katastrophen und Herausforderungen der nationalen wie globalen Öko-Politik zu nehmen. Aber das Buch gewönne, würde ein eigenes Kapitel das Thema auffächern, Spuren durch das Dickicht legen und den Stellenwert von Konflikten etwa über die Atomkraft oder über das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaft und Ökologie beleuchten. Die vielen Autoren von Walter Wallmann bis Sigmar Gabriel, von Klaus Töpfer bis Dieter Zetsche, von Utz Claassen bis Hermann Scheer, von Michael Sommer bis Angelika Zahrnt, von Hartmut Mehdorn bis Erhard Eppler passen schließlich nicht so ohne Weiteres von selbst zusammen.
Für jene, die sich durch die 500 Seiten auf eigene Faust durcharbeiten, entpuppt sich dieses Werk indes als informatives Sachbuch. Bei der Lektüre formt sich ein facettenreiches Bild der Geschichte der Umweltpolitik, von Willy Brandts Vision eines blauen Himmels über der Ruhr aus dem Jahr 1961 bis zum heutigen Emissionshandel ist es wahrlich ein weiter Weg. In den einzelnen Beiträgen lassen sich zahlreiche Stich- und Reizworte zu einem roten Faden zusammenspinnen: Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, Sandoz-Chemieunfall samt Fischtod im Rhein, Waldsterben, Abfall-Lawine, Dosenpfand, Öko-Steuer, das Erneuerbare-Energie-Gesetz, Gentechnik, Kioto-Protokoll, Erdgipfel von Rio, die Herausbildung des Nachhaltigkeits-Begriffs, um nur einiges zu nennen.
Natürlich dürften die Texte der bisher fünf Umweltminister auf besonderes Interesse stoßen. Fast schon vergessen: Hans-Dietrich Genscher und Gerhart Baum erinnern daran, dass sie in den 70er-Jahren als Innenminister in ihrem Ressort den konzeptionellen und strukturellen Grundstock für das 1986 aus der Taufe gehobene Bundesumweltministerium legten. Dessen erster Leiter Wallmann hatte genug zu tun mit dem Krisenmanagement nach Tschernobyl und der Sandoz-Katastrophe. Nachfolger Klaus Töpfer, später Direktor des UN-Umweltprogramms, analysiert fundiert die Globalisierung der Öko-Politik rund um den Rio-Gipfel 1992 und um das Konzept der Nachhaltigkeit. Die Vertiefung dieses Prozesses und besonders den Klimaschutz stellt die heutige Kanzlerin Angela Merkel als Schwerpunkte ihrer damaligen Regentschaft heraus.
Jürgen Trittin setzte Duftmarken bei den Konflikten um Altauto-Entsorgung, Atomausstieg, Dosenpfand und EEG. Sigmar Gabriel, noch nicht lange im Amt, schaut nach vorn: Aus Umweltpolitik solle Innovationspolitik werden, über die Bewältigung des Abschieds vom Öl, die Förderung des Energiesparens und den Ausbau regenerativer Energien solle Deutschland zum Weltmarktführer in Sachen Ökologie werden und davon wirtschaftlich profitieren.
Doch der Teufel steckt nun mal im Detail. Dort, wo es richtig spannend wird, werden in dem Buch konträre Positionen nicht erörtert, sondern bleiben einfach nebeneinander stehen. Angesichts des wachsenden globalen Energiehungers etwa in China oder Indien und der Erfordernisse des Klimaschutzes plädiert EnBW-Chef Claassen zwar für Effizienzsteigerung und den vermehrten Einsatz regenerativer Energien, doch er macht sich auch für die Atomkraft stark. Eine solche Politik ist wiederum ein rotes Tuch für SPD und Grüne, ebenso für Organisationen wie Greenpeace oder den BUND, deren Vertreter sich in dem Band zu Wort melden. Merkel formuliert in ihrem Beitrag ehrgeizige Ziele für den künftigen Klimaschutz, klammert den Streit um den Nuklearstrom aber aus. Nicht vertieft wird das brisante Thema der umstrittenen Kernfusion, die Fritz Vahrenholt als "herausragendes Beispiel nachhaltiger Energieerzeugung" und als "Quantensprung der Energieversorgung" feiert.
Durchgängig finden sich in dem Buch Appelle, die Wirtschaft auf die Notwendigkeit des Umweltschutzes auszurichten, ja die Ökologie stärker als Wachstumsimpuls, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und als Exportmotor zu nutzen. DaimlerChrysler-Manager Zetsche weist auf die Erfolge bei der Schadstoffminderung und bei der Senkung des Benzinsverbrauchs in der Autoproduktion hin. BDI-Präsident Jürgen Thumann lobt Deutschland gar als "Weltmeister im industriellen Umweltschutz". Andererseits kritisieren Trittin und "Solarpapst" Scheer, dass man in der Praxis stets mit massiven Widerständen der Wirtschaft zu kämpfen habe. So offenbart die genaue Lektüre, was Umweltpolitik bei allem generellen Lob der Ökologie und trotz unbestreitbarer Fortschritte auch künftig bleiben wird: ein Kampffeld der Interessen.
Die Umweltmacher. 20 Jahre BMU - Geschichte und Zukunft der Umweltpolitik. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006; 496 S. 14,95 Euro