Der Grasfrosch ist es, das Flusspferd neuerdings auch, der Pandabär schon seit Jahren: Sie alle sind vom Aussterben bedroht. Doch immerhin haben diese Tiere eine Lobby - sie stehen auf der jährlich aktualisierten "Roten Liste der bedrohten Tiere". Doch wer sorgt sich um den "Pomadenhengst", die "Hupfdohle" und die "Gummikuh"? Denn auch sie sind vom Aussterben bedroht - zumindest in verbaler Hinsicht. Sie haben keine Lobby. Sie werden im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegen. Aus dem täglichen Sprachgebrauch verschwinden immer mehr Ausdrücke, die früher einmal jeder kannte und benutzte. Tauchen sie nicht mehr in den Medien auf, sortiert sie der "Duden" einfach aus. Den "Pomadenhengst" ereilte dieses Schicksal.
Schätzungsweise zwei neue Wörter entstehen Bodo Mrozek zufolge jeden Tag, doch wie viele Begriffe schon in Vergessenheit geraten sind, das kümmert niemanden. Der Journalist und Autor hat sich deshalb diesem sterbenden Wortschatz angenommen. Er hat Wörter gesammelt, die in Gefahr sind vergessen zu werden. In seinem "Lexikon der bedrohten Wörter" findet jetzt auch der "Pomadenhengst", als den man früher einen Mann verspottete, der seine "Männlichkeit mit einer zurechtgeschmierten Sturmfrisur betont", ein Reservat. Und mit ihm mehr als 400 andere aussterbende Exemplare der deutschen Sprache, von A wie "Abgunst" bis Z wie "Zwille".
Die meisten dieser Worte sind zu schön, um als Sprachmüll aussortiert zu werden: Der "Hagestolz" beispielsweise. Der bezeichnet nämlich einen Mann, der selbstgewählt unverheiratet bleibt - heute würden man ihn "Single" nennen. Auch die "Kaltmamsell" ist dabei, sie meinte einst eine Frau, die Häppchen und kalte Platten anrichtet - heute arbeitet sie im "Catering". In Mrozeks Lexikon findet sich aber auch eine Erklärung für den "Stegreif" - der bezeichnete früher eigentlich ein Steigbügel. Diese ursprüngliche Bedeutung ist heute jedoch völlig unbekannt, weswegen die Redewendung "etwas im Stegreif tun" meisten falsch geschrieben wird. Denn mit dem Verb "stehen" habe der Stegreif gar nichts zu tun, lehrt uns Mrozek. Andere Worte jedoch sind eigentlich gar nicht so schön, bekamen aber trotzdem ein Asyl in seinem Buch: "tschüssikowski" oder "palletti" etwa. Solche Ausdrücke klangen wohl einmal lässig, heute wirken sie nur noch peinlich. Selbst Wortfreund Mrozek hofft, sie mögen künftig in Frieden ruhen.
Mrozek unterteilt die vom Vergessen bedrohten Wörter in verschiedene Kategorien: Die nahezu ausgestorbenen Wörter, die mit Ausnahme alter oder sehr belesener Menschen kaum noch jemand kennt, wie etwa das Wort "Bassermann", das früher für gefährliche, zwielichtige Gestalten gebraucht wurde. Andere Begriffe werden zwar heute noch genutzt, die ursprüngliche Bedeutung jedoch ist mittlerweile unbekannt, wie etwa beim Ausdruck "Fisimatenten". Schließlich jedoch finden sich in Mrozeks Buch auch heute gebräuchliche Wörter, die aber schon in der nächsten Generation völlig unbekannt sein werden, weil die Dinge, die sie bezeichnen ausgestorben sind. "Wenn ich heute einen 16-Jährigen frage würde, was er denn unter einer Wählscheibe versteht", erzählte Mrozek bei einer Lesung, "dann meint der wohl, das sei etwas, das man wahrscheinlich bei einer Bundestagswahl verwendet".
Als aktuell bedroht stuft Mrozek auch Begriffe wie "Festanstellung", "Bewerbungsgespräch" und "Vollbeschäftigung" ein. Letzteres sei der "paradiesische Zustand einer Gesellschaft, die morgens kollektiv zur Arbeit fährt und abends müde, aber glücklich heimkehrt". "Geschichtsbüchern entnehmen wir, dass es sie einst gegeben hat", schreibt der Autor und fügt scharfzüngig hinzu: "Dass all dies nicht mehr funktioniert, weiß seit Jahrzehnten eigentlich mit Ausnahme der Regierungspolitiker jeder."
Mrozek versteht sich als Wörtersammler. Sein Lexikon ist daher auch weniger ein wissenschaftliches Nachschlagewerk, als eine Zusammenstellung von Wortgeschichten, manchmal auch mit autobiografischen Anklängen, wie etwa bei dem Begriff "Anhalter". Einen Anspruch auf Vollständigkeit will der Autor nicht erheben, ebenso wenig möchte er als Kulturpessimist erscheinen, der miesepetrig den Verfall der Sprache beklagt. Das Lexikon soll den vom Aussterben bedrohten Wörtern helfen. Denn Worte müssen nicht unweigerlich sterben: "Tote kann man zum Leben erwecken - indem man sie einfach benutzt", schreibt Mrozek im Vorwort seines Buches. Man brauche allenfalls etwas Mut dazu.
Viele Leser lassen sich offenbar von dieser Idee anstecken: "Immer wieder bekomme ich Vorschläge zugeschickt, wie man die geretteten Wörter wieder auswildern könne", erzählt Mrozek. Erst kürzlich habe ihm eine Frau geschrieben, man solle doch die Wörter einfach auf Banknoten drucken und in Umlauf bringen. Oder aber die Begriffe tausendfach auf Zettel schreiben, diese zerknüllen und über den WM-Stadien abwerfen.
Wie ansteckend das Wörtersammeln ist, zeigt auch die "Aktion Artenschutz", die Mrozek im Internet gestartet hat: Hunderte von Wortschützern scheint er auf den Plan gerufen zu haben. Unter der Adresse "www.bedrohte-woerter.de" kann jeder gefährdete Begriffe auf die Rote Liste setzen. Täglich gehen hier mehrere Dutzend Vorschläge für bedrohte Wörter aus dem ganzen deutschen Sprachraum ein: Etwa 8.000 sind so mittlerweile zusammen gekommen. Genug Stoff für einen zweiten Band des "Lexikons der bedrohten Wörter". Dieser soll im Dezember erscheinen.
Bodo Mrozek: Lexikon der bedrohten Wörter. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2005; 218 S., 8,90 Euro.