Das ist der Stoff, aus dem die Träume der Ermittler sind. Ein Verbrecher hinterlässt Spuren am Tatort, die Polizei nimmt Proben für die DNA-Analyse, die Datenbank beim Bundeskriminalamt (BKA) wird angezapft. Und schwupps, binnen weniger Stunden ist der Täter überführt. Der Fall des Rudolph Moshammer, genannt "Mosi", ging in die Geschichte der Kriminalstatistik ein - als Triumph für die schärfste Waffe der Polizei. Der inzwischen rechtskräftig verurteilte Mörder des Modezaren hatte Hautspuren an der Tatwaffe, einem Telefonkabel, hinterlassen. Noch bevor die Münchner Kripo so richtig loslegen konnte, spuckte die Datenbank das Foto von Herisch A. aus. Der Asylbewerber war wegen des Verdachts, ein Sexualdelikt begangen zu haben, in der Genkartei gespeichert worden.
Der Erfolg mochte die Ermittler vor Ort zufrieden stellen, die Sicherheitspolitiker von Union und SPD aber nicht. Er beflügelte die beiden Parteien, im Verein mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamten und der Gewerkschaft der Polizei, eine alte Forderung zu wiederholen und die Datenschützer in Bund und Ländern zu alarmieren: Ausdehnung der Tests, obwohl damals schon die DNA-Analyse bei 41 Delikten möglich war, wenn ein Richter sie genehmigt hatte. Ende 2005 wurden die Regeln für die forensische DNA-Analyse nach langwierigen Debatten geändert; inzwischen kann auch nachträglich ein genetischer Fingerabdruck genommen werden, wenn die Gefahr von neuen Straftaten besteht. Von dieser Möglichkeit wollten einige Innenpolitiker Gebrauch machen, als sie vor der Fuß-ballweltmeisterschaft Speicheltests von Hooligans forderten. Diese Vorschläge riefen aber nicht nur die Datenschützer auf den Plan, sondern auch den Bund Deutscher Krimimalbeamter. Dessen Vorsitzender Klaus Jansen befürchtete, dass die Erfassung von bundesweit mehr als 1.000 Hooligans die Ermittlungen bei schwersten Straftaten massiv verlängern würden. Die Idee wurde zu den Akten gelegt, noch bevor die rechtliche Grundlage für massenhafte Hooligan-Speicheltests geprüft werden konnte.
Dennoch bleibt die DNA-Analyse ein Streitobjekt zwischen Datenschützern, Ermittlern und Strafrechtlern. Der Bundesgerichtshof hatte schon in einem Grundsatzurteil vom September 1990 den genetischen Fingerabdruck als Beweismittel zugelassen, das Bundesverfassungsgericht später in zwei Entscheidungen die DNA-Vergleichsuntersuchungen zur Aufklärung von Gewaltverbrechen gebilligt - so etwa die Blutentnahme von 550 Porschefahrern aus München, die für die Tatzeit eines Mordes kein stichhaltiges Alibi hatten. In zwei weiteren Entscheidungen legten die Verfassungshüter strenge Maßstäbe an bei der Anwendung des DNA-Identifikationsgesetzes von 1997, dessen strikte Auflagen aber tatsächlich in der Praxis seither oft unterlaufen werden. Die Hürden sanken derart herab, dass inzwischen der genetische Fingerabdruck fast so häufig genommen wird wie der herkömmliche Fingerabdruck. Das Gesetz regelt überdies nicht die Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe der hochsensiblen Daten, sondern überlässt das den allgemeinen Vorschriften des BKA-Gesetzes und des Datenschutzes. So gibt es keine Aufbewahrungsfristen für die Proben, vielmehr entscheidet das BKA nach eigenem Ermessen. Auskunft gibt es für Betroffene nur auf Anfrage; eine Mitteilung an Beschuldigte ist nicht vorgesehen, obwohl gerade eine solche Maßnahme eine durchaus abschreckende Wirkung für potenzielle Wiederholungstäter haben könnte. Wegen dieser Regelung keimt immer wieder der Verdacht auf, dass Daten von Menschen nicht - wie im Gesetz vorgesehen - sofort gelöscht werden, wenn durch die Genanalyse ihre Unschuld erwiesen ist.
Es geschieht selten, dass Forderungen der Innenpolitiker wie die nach Speicheltests gegen Hooligans von Praktikern als übertrieben, wenn nicht gar kontraproduktiv gescholten werden. Dass aber Datenmasse allein keine hohe Aufklärungsquote garantiert, zeigt der Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien. Die Sammlung des BKA enthält knapp 390.000 Datensätze. Das ist etwa zehnmal weniger als das Speichervolumen der britischen Datei. Dennoch liegt die Aufklärungsrate schwerer Straftaten wie bei Mord- und Totschlagsdelikten in Deutschland bei mehr als 90 Prozent - erheblich höher als im Vereinigten Königreich. Dort kann seit 1995 jede Polizeiwache per Computer die Daten von der Gen-Zentralbank abrufen. Sogar Ladendiebe und Schwarzfahrer können dazu gezwungen werden, eine DNA-Probe abzugeben. Einen richterlichen Vorbehalt gibt es nicht.
Der genetische Fingerabdruck gilt bei Polizei und auch Teilen der Justiz als Wundermittel der Ermittler. In mehr als 15.000 Fällen wurde es in Deutschland erfolgreich eingesetzt. Die Tatsache, dass mit dem Sachbeweis nicht nur Schuldige überführt, sondern auch zu Unrecht Verdächtigte entlastet werden können, wird von Kritikern gern übersehen. Die Begeisterung der Richter über den Sachbeweis nach dem Motto "DNA - alles klar" löst bei Strafverteidigern zwangsläufig wenig Begeisterung aus, weil sie einmal eine Verlotterung der Beweisaufnahme fürchten, und zum anderen, weil Spuren am Tatort nicht immer vom Täter stammen müssen. In den USA hat die Möglichkeit der DNA-Analyse sogar dazu beigetragen, dass die Kritik an der Todesstrafe lauter geworden ist, da in einer Reihe von Fällen nur auf diese Weise die Unschuld von Todeskandidaten nachgewiesen werden konnte. Einige Rechtsanwälte und Wissenschaftler hatten das alte Beweismaterial kostenlos überprüfen lassen - anhand der neuen Methoden.
Die deutschen Befürworter einer Ausweitung der DNA-Analyse wollen den genetischen Fingerabdruck jetzt zu einem "Regelinstrument der Strafverfolgung" machen, da beide erkennungsdienstlichen Methoden sich in ihrer "Eingriffstiefe" kaum unterschieden. Die Datenschützer aber halten die rechtliche Gleichsetzung des genetischen mit dem klassischen Fingerabdruck für höchst problematisch, da sie das Recht auf informelle Selbstbestimmung bedrohe - also das vom Bundesverfassungsgericht definierte Recht des Einzelnen, über die Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen.
Die Auswertung der anonymisierten Daten beschränkt sich hier und heute noch auf die nicht codierten Bereiche der DNA, also nicht auf die Erbsubstanz. Deshalb können die Molekularbiologen nur die Identität einer Person und - wie beim klassischen Fingerabdruck - mögliche Verwandtschaftsverhältnisse feststellen. In der Probe sind zudem aber auch alle Erbinformationen eines Individuums enthalten. Die Gefahr des Missbrauchs liegt also nicht wie bei der Blutprobe zur Bestimmung des Alkoholpegels im Eingriff, sondern im Datenmaterial selbst. Denn aus dem, was dem Menschen entnommen oder am Tatort an Spuren gefunden worden ist, lassen sich weitere, höchst intime Informationen über ihn gewinnen: über Erbanlagen, Krankheiten, Allergien, eventuell sogar über Charaktereigenschaften.
In den Niederlanden trat schon 2003 das weltweit erste Gesetz in Kraft, dass Kriminalisten erlaubt, sich anhand von DNA-Spuren am Tatort ein möglichst genaues Bild von den mutmaßlichen Tätern zu machen. Sie dürfen nicht nur den genetischen Fingerabdruck aus Haaren, Blut oder Sperma gewinnen und ihn mit der DNA-Analysedatei abgleichen, sondern auch alle Informationen aus den Genen nutzen und daraus auf Körpermerkmale schließen: auf blaue Augen etwa, rote Haare oder Merkmale, die in bestimmte ethnischen Volksgruppen gehäuft auftreten - soweit das technisch schon möglich ist.
Etwa in zehn Jahren, davon geht zum Beispiel der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke aus, könnte mit Informationen aus DNA-Chips ein ganzes Profil des potenziellen Täters erstellt werden. Die Fahndung nach einem Verbrecher könnte dann so lauten: Gesucht wird ein Mann weißer Hautfarbe mit dunklen, eher schwarzen Haaren und braunen Augen, klein, von kräftiger Statur und mit hoher Intelligenz, wahrscheinlich depressiv und alkoholabhängig. In Großbritannien sind Biologen schon seit einigen Jahren dabei, ohne gesetzliche Grundlage Fahndungsbilder aufgrund genetischer Daten zu entwickeln: Die Zusammenarbeit des Humangenetischen Instituts in London mit Scotland Yard halten deutsche Kriminalbeamte für vorbildlich - für deutsche Datenschützer und Strafverteidiger bleibt es ein Albtraum. Den schärfsten Kommentar hat dazu der in diesem Jahr verstorbene Kölner Strafrechtler und Strafverteidiger Professor Günter Kohlmann geliefert: "Gott beschütze uns vor dem britischen Empire."
Die Autorin ist Redakteurin beim "Kölner Stadtanzeiger".