Mit dunklen, offenen Augen schaut er hoch, wartet einen Moment und sagt schließlich: "Die Haft ist eine große Hilfe für mich." Seit rund zwei Jahren sitzt der aus Afghanistan stammende 19-Jährige hinter Gittern. Verurteilt zu viereinhalb Jahren Gefängnis wegen zahlreicher Raubüberfälle und Körperverletzungen. Einer, den man einen schweren Jungen nennen würde. In der Hamburger Jugendvollzugsanstalt Hahnöfersand durchläuft Hakim die Sozialtherapeutische Station für Gewaltstraftäter: "Das ist eine Chance für mich, noch einmal neu anzufangen."
Entgegen landläufiger Vorurteile kann eine Haft auch Chancen für die Zukunft bieten. Nach einem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen bald alle jugendlichen Gewaltstraftäter diese Option auf einen Neuanfang bekommen. Denn die Bedingungen in den deutschen Gefängnissen für Jugendliche sind höchst unterschiedlich.
Durch die Föderalismusreform ist diese Zuständigkeit auf die Länder übergangen.
Dabei hat das Verfassungsgericht die Hürden hoch gehängt: Die neuen Regeln für den Jugendstrafvollzug müssten den besonderen Anforderungen von jungen Menschen gerecht werden, so die Karlsruher Richter. Jugendliche bräuchten mehr Ausbildungs- und Besuchsmöglichkeiten. Zudem sei die Unterbringung in kleineren Wohngruppen, differenziert nach Alter, Strafzeit und Straftaten erforderlich. Gewalt- und Sexualstraftäter bedürften einer besonderen therapeutischen Behandlung.
Dies ist heute noch längst nicht Standard in allen Jugendhaftanstalten. Nach einer Studie des Kriminologieprofessors Frieder Dünkel von der Universität Greifswald verfügen zurzeit nur sieben von insgesamt 27 deutschen Jugendgefängnissen über sozialtherapeutische Wohngruppen, in denen junge Gewalttäter über sechs bis zwölf Monate ein speziell auf sie abgestimmtes Behandlungsprogramm durchlaufen. Dazu gehören Gespräche mit Psychologen aber auch ein Antiaggressionstraining sowie spezielle Sportangebote, um Teamgeist und Fairness zu lernen.
"In der Sozialtherapie habe ich gelernt, meine Gefühle anders als durch Gewalt auszudrücken", erzählt Hakim über sich. Früher sei er viel verschlossener gewesen und habe über Probleme mit anderen nicht reden können. "Bei Konflikten habe ich immer sofort zugeschlagen", sagt der junge Afghane und die Sensibilität, die er ausstrahlt, weicht mit der Erinnerung für einen kurzen Moment der Brutalität seiner Worte. Aus Geldnot und ohne weiter zu überlegen sei es dann zu den Raubüberfällen gekommen. "Gedanken über meine Zukunft mache ich mir erst, seit ich im Gefängnis sitze", sagt Hakim über seine neue Lebensphase.
Ähnliche Erfahrungen mit sich selbst hat der 22 Jahre alte Torsten gemacht: "Ich war früher immer sehr reizbar und bin auch schnell laut geworden." Das Ergebnis waren zahlreiche Schlägereien sowie Anzeigen wegen Körperverletzung. Doch die Verfahren wurden meistens eingestellt, bis Torsten bei einer Auseinandersetzung mit dem Messer zustach und wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Heute kann er sich sein früheres Verhalten nur noch schwer erklären. "Ich war extrem chaotisch, wollte mich nicht auseinandersetzen und hing immer mit den falschen Leute rum", erzählt er nachdenklich über sich selbst.
Für Tina Lindner, die Leiterin des Hamburger Jugendgefängnisses, sind Hakim und Torsten typische Kandidaten für die Sozialtherapie. "Die meisten Gewalttäter mit einer Freiheitsstrafe von über zwei Jahren durchlaufen bei uns diese Station", sagt Lindner. Bei kürzeren Haftaufenthalten sei es jedoch häufig schwierig, da man den Jugendlichen am Anfang erst einmal kennen lernen müsse und am Ende der Haft häufig eine Verlegung in den offenen Vollzug erfolge, wo es keine Sozialtherapie mehr gebe. Viele Jugendliche hätten schon mit Kleinigkeiten Probleme und vergäßen zum Beispiel immer, ihre Sicherheitsschuhe anzuziehen oder weigerten sich, die Schnürsenkel zu binden, weil sie es offen lässiger fänden. Aber wer gut arbeite, könne nach der Berufsfindung einen handwerklichen Gesellenbrief machen.
"Fast 20 Gefangene sind derzeit bei uns in der Lehre", sagt Lindner. Auch der 22-jährige Torsten hat in Hahnöfersand eine Tischlerausbildung absolviert. "Hauptsächlich haben wir Übungsstücke gemacht, aber auch Möbel für die Anstalt gebaut", erzählt Tors-ten. Für den Berufsschulunterricht sei extra ein Lehrer in das Gefängnis gekommen. Zudem würde in die Ausbildung ein soziales Training integriert. "Da wird unter anderen geübt, wie man eine Bewerbung schreibt und was man am besten zum Vorstellungsgespräch anzieht", sagt Torsten.
Neben den Handwerksausbildungen ist es in Hahn-öfersand auch möglich, in einer Lernwerkstatt in sechs bis neun Monaten den Hauptschulabschluss nachzuholen. Neben der praktischen Arbeit gibt es Unterricht in Deutsch, Mathe und Englisch. Für lernschwächere Jugendliche existiert zudem die Arbeitstherapie, in der es hauptsächlich darum geht, die Gefangenen sinnvoll zu beschäftigen und soziale Defizite aufzuarbeiten.
In der Hamburger Justizbehörde ist man bereit, die jetzt in Hahnöfersand vorhandenen Standards auch gesetzlich festzuschreiben. "Wir wollen erzieherisch auf die Jugendlichen einwirken. Therapie und Arbeit sind dafür wirksame Instrumente", sagt Justizsenator Cars-ten Lüdemann (CDU). Nachdem die Zuständigkeit für den Strafvollzug auf die Länder übergangen sei, werde Hamburg jetzt in enger Abstimmung mit den anderen CDU-geführten Bundesländern ein Gesetz für die Jugendhaft erarbeiten. "Wir orientieren uns dabei an den bereits von Bayern und Baden-Württemberg vorgelegten Entwürfen", sagt Lüdemann.
Diese Vorschläge enthalten eine Arbeitspflicht der jugendlichen Gefangenen sowie sozialtherapeutische Behandlungsprogramme in speziellen Wohngruppen für Gewaltstraftäter. Darüber hinaus wollen Bayern und Baden-Württemberg aber auch den Anspruch auf vier Stunden Besuch im Monat gesetzlich festschreiben.
In Hahnöfersand steht den Jugendlichen nur die Hälfte dieser Zeit zur Verfügung. "Mehr ist aufgrund unserer personellen und räumlichen Kapazitäten zurzeit nicht umsetzbar", sagt Gefängnisleiterin Lindner. Sie bezweifelt aber auch, dass eine Verdoppelung der Besuchszeiten notwendig ist: "Viele unserer Gefangenen stammen aus schwierigen Familienverhältnissen, sodass schon die jetzigen Besuchszeiten nicht von allen Insassen ausgeschöpft werden." Zudem fördere ein enger Kontakt zur Familie nicht zwingend die Resozialisierung der Jugendlichen, weiß Tina Lindner aus Erfahrung: "Die Elternhäuser sind leider häufig eher die Ursache für die Probleme unserer Gefangenen, aber keine Lösung für sie."