Ein großer deutscher Schriftsteller hat einmal gesagt, jedem Anfang wohne ein Zauber inne. Fritz Kuhns erster Parlamentstag beginnt jedoch alles andere als zauberhaft. Auf ihn wartet die "Meute". Noch vor der ersten Plenarsitzung nach der parlamentarischen Sommerpause lauern dem Fraktionschef der Grünen am Osteingang des Reichstages wie üblich die Journalisten und Kamerateams auf - morgens um kurz nach halb neun.
"Herr Kuhn, ganz kurz ein paar Sätze." Der grüne Parlamentarier lächelt freundlich in die Objektive. In wenigen Worten werden die politischen Schlaglichter abgehakt: Libanon, Überschuss der Bundesagentur für Arbeit, Haushaltsplan. Kuhn wirkt entspannt, im Gegensatz zur wartenden Presse.
Auch für Kuhns SPD-Kollegen Carsten Schröder, Youngster der Sozialdemokraten, beginnt das Parlamentsgeschäft wenige Meter weiter im Reichstagsfoyer vor der Kamera. Er muss dem Fernsehsender Phoenix Rede und Antwort stehen - mit Zauber hat das nichts zu tun. Nebenan im wochenlang verwaisten Abgeordnetenrestaurant sind mittlerweile die meisten Tische besetzt. Es gibt - wie immer - Kaffee, Brötchen, Müsli. Am Ost-Eingang springt Ronald Pofalla (CDU) aus seinem Auto, als wäre er spät dran, einige Minuten später klettert Arbeitsminister Franz Müntefering mit seinem nach einem Bänderriss geschienten Bein aus seinem Audi und ruft den wartenden Journalisten ein freundliches "Guten Morgen zusammen" zu. Es ist viertel vor neun - und von Zauber noch immer wenig zu spüren.
In sehr handfester Form zeigt er sich aber in der Poststelle des Bundestages, tief unter dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Der Zauber ist hier zehn Tonnen schwer. Diese Menge an Briefen, Paketen und Unterlagen werden während der Sitzungsperiode täglich entgegengenommen, sortiert, frankiert und weitergeleitet. 25.000 bis 30.000 Sendungen pro Tag wandern täglich durch die Hände von 30 Mitarbeitern. "Das ist so viel wie in einer mittleren deutschen Kleinstadt. In der Sommerpause ist es halb so viel", erläutert Hartmut Zimmer, Leiter der Poststelle des Bundestags.
Eine Etage höher, auf der anderen Spreeseite bedeutet Neuanfang die Aktivierung aller Pfannen, Töpfe Friteusen und Kantinenköche. Mit Beginn der Sitzungszeit werden in der Kantine im Jakob-Kaiser-Haus täglich knapp 1.500 Essen gekocht. In der Sommerpause brauchen die Köche nur 900 Gäste zu beköstigen. Allein im Abgeordnetenrestaurant im Paul-Löbe-Haus sind es täglich 100 Essen mehr. Der parlamentarische Neustart macht in der Kantine 600 Portionen mehr aus.
Kaum anders ist die Situation bei der Fahrbereitschaft: Dort gehen jetzt wieder doppelt so viele Fahraufträge ein wie in der Sommerpause. Lediglich die technischen Abteilungen arbeiten antizyklisch: "Wir haben in der Sommerpause eher mehr zu tun. Dann können wir nämlich größere Reparaturen und Wartungsarbeiten durchführen", sagt Joachim Metz von der Gebäudetechnik. "Aber das ist für uns nichts Besonderes." Für den Bundestag gilt also dennoch eine Besonderheit: Jedem Neuanfang wohnt - statt Zauber - wohl eher Routine inne.