Ein Ossi sitzt ganz oben" hat der Karikaturist Reiner Schwalme seine Zeichnung genannt, die den damals neugewählten Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse zeigt - zwischen den Flügeln des Bundesadlers thronend, mit Rauschebart und wehenden Haaren. Vor der Zeichnung, die gerahmt an der Wand hängt, steht ein Mann und schmunzelt. Es ist genau der, dessen Haarpracht in der Vergangenheit so oft zum Ziel der spitzen Karikaturisten-Federn wurde: Wolfgang Thierse (SPD), heute Bundestagsvizepräsident.
Acht Jahre nach ihrem Erscheinen in der "Sächsischen Zeitung" ist Schwalmes Karikatur nun an dem Ort angekommen, den sie thematisiert: im Bundestag. Als Teil der Ausstellung "1+1= Eins - Vier Karikaturis- ten zeichnen die Vereinigung Deutschlands" ist sie noch bis zum 6. Oktober im Foyer des Paul-Löbe-Hauses zu sehen. "Es ist mir eine Ehre, diese Ausstellung eröffnen zu dürfen", sagt Thierse später, "denn wie jeder normale Politiker liebe ich Karikaturen - auch, wenn sie mich selbst betreffen."
Die über einhundert Zeichnungen von Walter Hanel, Burkhard Mohr, Nel (Joan Cozacu) und Reiner Schwalme erzählen die Geschichte des deutschen Einigungsprozesses: Ossis und Wessis, die sich erst herzen, dann argwöhnisch beäugen, Helmut Kohls "blühende Landschaften", die Auseinandersetzung mit der Stasi, der Protest gegen die Castortransporte, das Aufflammen des Rechtsextremismus. Jede Zeichnung für sich ist ein kluger, bissiger, ironischer und bisweilen auch entlarvender Kommentar zu Politik und Zeitgeschehen in den Jahren 1992 bis 2000. Als Ausstellung vereint, eröffnen die Karikaturen dem Betrachter zudem einen besonderen Rückblick auf dieses Kapitel der deutschen Geschichte: Sie erinnern an vergessene Details, berichten von politischen Debatten sowohl aus westdeutscher als auch aus ostdeutscher Perspektive.
Ganz bewusst hat die Bundeszentrale für politische Bildung, als sie die Ausstellung im Jahr 2000 konzipierte, mit Nel (Joan Coacu) und Schwalme zwei ostdeutsche, mit Hanel und Mohr zwei westdeutsche Karikaturisten gebeten, ihre Sichtweisen zur deutschen Einheit für eine Wanderausstellung zusammenzutragen. Fünf Jahre tourten die Karikaturen quer durch die Republik, bevor sie nun im Bundestag ihre letzte Station erreicht haben. Hier sollen sie auch bleiben: Als Dauerleihgabe werden sie die bestehende Sammlung des Bundestages bereichern, die schon jetzt die größte ihrer Art in Europa ist.