Der Nahe und Mittlere Osten bilden ein Schwerpunktthema des jüngsten "Jahrbuchs Internationaler Politik". Gefördert von Auswärtigem Amt, herausgegeben vom renommierten Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, kann diese Reihe auf eine mehr als 50-jährige Tradition zurückblicken. Jeweils mehrere Dutzend ausgewiesener Fachleute schreiben darin über das weltpolitische Geschehen. Zentrales Ereignis im Jahre 2003 war der Irak-Krieg. Nicht nur die materiellen sondern auch die immateriellen Kosten dieses Krieges - unter anderem der weltweite Verlust an Ansehen und Unterstützung - sind nach Eberhard Sandschneider für die USA enorm. Und er offenbarte, so Karl Kaiser, nicht nur in den transatlantischen Beziehungen, sondern auch - nicht ohne amerikanisches Zutun - innerhalb Europas bittere Zwietracht. Trotzdem ist einhellige Meinung der Autoren, dass in Europa niemand an einem Scheitern der USA in der Krisenregion interessiert sein könne. Auch vormals opponierende Staaten wie Deutschland haben denn auch von Kriegsbeginn an der USA vielfältige Hilfe zukommen lassen. Ob sie viel bewirken, ist jedoch zweifelhaft. Zu viele Fehler seien bei der Neuordnung des Landes im Grundsätzlichen wie im Detail gemacht worden, argumentiert Henner Fürtig. Die Beiträge des Jahrbuchs vermeiden sorgsam, auf die Gründe für den amerikanischen Einmarsch in den Irak einzugehen. Die 2003 vorgebrachte Behauptungen, der Irak verfüge noch immer über Massenvernichtungswaffen und unterstütze den internationalen Terrorismus, lassen sich mittlerweile nicht mehr aufrechterhalten. Und die Forderungen nach mehr Demokratie werden aufgrund der engen Zusammenarbeit mit den regionalen Militär- und Feudalregimen von Algerien über Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien bis Pakistan nur als Lippenbekenntnisse wahrgenommen. Stabilität im Nahen und Mittleren Osten liegt auch im europäischen Interesse. Der Einfluss auf die dominanten Akteure, die USA und Israel, ist jedoch sehr begrenzt. Was nicht ausschließt, dass im Bedarfsfall wirtschaftliche, politische und militärische Hilfen gewünscht werden. Allein für das Überleben der Bevölkerung und den wiederholten Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur in den palästinensischen Gebieten zahlte die Europäische Union Milliardenbeträge. Zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes, dem Kernproblem der Region, trägt dies nach Ansicht von Markus Kaim jedoch wenig bei. Auch der Blick auf die Europäische Union ist nicht allzu optimistisch. Mit der Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa sei die EU an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gegangen. Sie stehe, so Martin Koopmann, damit vor einer Generationenaufgabe. Die Skepsis des Autors gegenüber einer zweiten Osterweiterung ist groß. Er vermisst in diesem Zusammenhang alternative, differenziertere Politiken der EU. An jeder instabilen Region grenze eine weitere instabile Region. Am Ende finde man sich irgendwo im Südkaukasus wieder. Nicht nur Georgien gleiche einem "failing state" mit Korruption wie in Afrika konstatiert Uwe Halbach. Unübersehbar ist diese Erweiterungsproblematik im Falle der Türkei. Nicht zuletzt Berlin setzte 2004 Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in Brüssel durch. Der damalige deutsche Außenminister warb für ein großräumiges Europa. Das liege, so Hanns W. Maull, im amerikanisch-israelischen Interesse, denn damit sei die Hoffnung verbunden, die Türkei politisch und wirtschaftlich durch die EU abstützen zu lassen. Ende 2001 stand die Türkei vor einem wirtschaftlichen Kollaps. Weniger die Perspektive auf einen EU-Beitritt als vielmehr hohe Milliardenkredite und strikte Auflagen des Internationalen Währungsfonds verhalfen dem Land zu einer gewissen Stabilisierung. Solche Hilfen sind aber auch ohne EU-Beitritt möglich. Eine Auseinandersetzung mit dieser umstrittenen Frage wird in den einschlägigen Beiträgen jedoch vermieden.
Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Hg.) Jahrbuch Internationale Politik 2003/2004. Oldenbourg Verlag, München, 2006; 424 S., 49,80 Euro.