Der Reporter Dagobert Lindlau verfügt über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, ohne dass er sich allzu ernst nimmt. Das verrät schon der Umschlag seiner Autobiografie "Reporter - Eine Art Beruf". Darauf posiert der ehemalige ARD-Chefreporter mit dem prägnanten Knautschgesicht in langem Mantel, mit Schiebermütze und einer Reiseschreibmaschine unterm Arm. Wenn es eine Klischeevorstellung vom Reporterdasein gibt, dann trifft sie dieses Bild ziemlich genau. Und doch, so muss der Leser am Ende der unterhaltsamen Lektüre konstatieren, scheinen Klischee und Wirklichkeit im Fall von Lindlau ziemlich stimmig zu sein.
Lindlau erzählt seine Erinnerungen episodisch, nicht chronologisch. An einer penibel aneinandergereihten Kette von Erlebnissen hat er wenig Interesse. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass der ehemalige "Weltspiegel"-Moderator seine Botschaften deutlich klarer formulieren kann, als dies eine konventionelle Autobiografie leisten könnte. Programmatisch darum die ersten Sätze des Buches: "Es geht um Ereignisse, die nicht berichtet wurden, obwohl es sie gab, und um andere, die es nicht gab, obwohl über sie berichtet wurde. Um Leute, die nicht sind, wofür man sie hält, und um andere, die tun, als wären sie nicht, was sie sind. Es geht um das, womit es Reporter zu tun haben."
Vordergründig sind Lindlaus Erinnerungen erst mal wie kleine Abenteuererzählungen. Der Autor ist ein "man's reporter" - fliegt in Überschallflugzeugen, hantiert mit Schießwerkzeugen aller Art, spielt Bande mit dem FBI, sitzt in Italien im Knast ein, philosophiert mit Max Horkheimer, spielt Karten mit Zockern. Lindlau inszeniert sich, gefällt sich in seiner Rolle als einsamer Aufklärer, als Mann zwischen den Stühlen, als skeptischer Demokrat. Doch neben der Selbstdarstellung, die ein solches Buch automatisch erfordert, bietet er seinen Lesern ein Panoptikum der Nachrichtenindustrie und seiner Protagonisten, die sich gerne als vierte Macht im Staat sehen.
Eine Reihe von Arbeitshypothesen zieht sich quer durch die geschilderten Erlebnisse: Medien sind manipulierbar. Die Desinformation nimmt täglich zu, und die Medien haben daran ihren Anteil. Die vornehmste Tugend des Journalisten ist der Zweifel. Reporter sind die unabhängigen Geister, die oftmals mit den vom Klüngel beherrschten öffentlich-rechtlichen Anstalten zu kämpfen haben, selbst, wenn sie einfach nur senden wollen, wie sich etwas tatsächlich zugetragen hat. Lindlau sieht den Prototypen eines Reporters im Querdenker und Regelbrecher, der sich um political correctness nicht schert.
Zu den prägnanten Kapiteln des Buches gehören Lindlaus Schilderungen der Ereignisse von Bad Kleinen im Jahr 1993 und der Politik des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu. In beiden Fällen, der Berichterstattung über die angebliche Hinrichtung des Terroristen Wolfgang Grams durch die Antiterror-Gruppe GSG-9 und über eine vermeintliche Bulldozerpolitik und Massenmorde in Rumänien, hätten deutsche Medien an "Desinformationskampagnen" mitgewirkt, die Millionen von Lesern und Zuschauern täuschten.
"Reporter. Eine Art Beruf" ist gelegentlich ein wenig zu sprunghaft, manchmal einen Hauch zu penetrant an der Vermittlung von Lebensweisheiten ("Mit dem Fernsehen wurde es wie mit gewissen Liebesbeziehungen: Entweder man nimmt sie nicht ernst, oder man leidet unter ihnen"), bürstet aber angenehm gegen den Strich und gewährt nebenbei einen aufschlussreichen Einblick in das System ARD. Und ein Bloody Mary-Rezept gibt's in den Fußnoten auch.
Dagobert Lindlau: Reporter. Eine Art Beruf. Piper Verlag, München 2006; 365 S., 22,90 Euro.