Sie bringt gerne Emotionalität in die Politik: Claudia Roth, Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.
Das Parlament Frau Roth, der Titel Ihres Buches "Das Politische ist privat" ist eine Umkehrung des legendären Slogans der Frauenbewegung der 70er-Jahre. Wie ist das zu verstehen?
Claudia Roth Ich wollte mit diesem Slogan spielen. "Das Private ist politisch" - das hieß ja vor 20, 30 Jahren, dass die Art, wie man lebt, auch ganz viel mit politischen Ansprüchen zu tun hat. Das wollte ich aufgreifen. Dahinter steht ein völlig anderes Politikkonzept: Kein technokratisches, sondern eines, das aus dem privatem Erleben, aus der eigenen Geschichte, Grundsätze ableitet. Ich glaube, das kann ein Wert sein in dieser Zeit. Wir könnten mehr Persönlichkeiten gebrauchen, Leute, an denen man sich reiben kann, die nicht so uniform sind.
Das Parlament Ihr Politikstil ist nicht ganz unumstritten. Sie gelten als schrill, streitbar, als zu emotional. Wie erklären Sie sich diese teilweise heftigen Reaktionen auf Ihre Person?
Claudia Roth Ich bin jemand, der polarisiert. Ich sage: Ich bin, wie ich bin und ich will genauso sein, wohl wissend, dass das manche schwierig finden. Aber warum sollte ich Politik machen, ohne meine Person und Emotionalität, ohne meine soziale Kompetenz mit einzubringen?
Das Parlament Stört es Sie, wenn man Sie als "grüne Weltverbesserin" bezeichnet?
Claudia Roth (überlegt). Nein, eigentlich ist es eher ein Kompliment. Es ist ja verrückt, dass die Bezeichnung "Weltverbesserer" oder "Gutmensch" so was wie ein Schimpfwort ist. Was kann man eigentlich gegen die haben, die versuchen, die Welt zu verbessern? Menschenrechtspolitik, der Einsatz für Minderheiten und Solidarität bedeuten für mich Zukunftsfähigkeit. Das ist Realpolitik!
Das Parlament Sie werfen der Großen Koalition in ihrem Buch Maßlosigkeit, den Abbau von Menschenrechten und unsoziale Reformen vor. Sie unterstellen ihr sogar, unter dem Deckmantel des Kompromisses die Gesellschaft umbauen zu wollen. Starker Tobak, finden Sie nicht?
Claudia Roth Ich will der Regierung nicht grundsätzlich vorwerfen, dass sie die Menschenrechte in Frage stellt. Aber es besteht eine Erosionsgefahr. Ich sage zum Beispiel, dass sie eine Politik auf dem Rü-cken der Schwächeren betreibt, etwa wenn sie die jugendlichen Langzeitarbeitslosen wieder in das "Hotel Mama" zurückschickt. Ich vermisse auch, dass sie klar etwas zum Folterverbot sagt und in der Frage des Atomausstiegs endlich eine klare Richtung vollzieht. Sie sollte auch deutlich machen, dass der Kampf gegen den Terrorismus nur dann zu gewinnen ist, wenn wir ihn mit rechtstaatlichen Mitteln führen.
Das Parlament Sie selbst sind im tiefschwarzen, katholischen Bayern im Kreise einer linksliberalen Familie aufgewachsen. Wie hat man in der kleinen Gemeinde Babenhausen bei Augsburg auf einen Paradiesvogel wie Sie reagiert?
Claudia Roth Naja, wir waren ohnehin immer ein bisschen die Fremden, weil wir ja nur zugezogen waren. Mein Glück war, dass ich aus einer sehr privilegierten Familie kam. Mein Vater war sehr anerkannt als Zahnarzt, auch meine Mutter war Akademikerin. Die ist mit ihrem eigenen Auto herumgefahren, als es noch kaum üblich war, dass Frauen einen Führerschein haben. Man hat uns respektiert, obwohl alle wussten, dass meine Eltern nicht CSU wählten und dann in die Kirche gingen, wenn sie wollten und nicht wenn sie mussten.
Das Parlament Wie hat Ihr Vater reagiert, als Sie entschieden, nicht seine Praxis zu übernehmen, sondern ans Theater zu gehen?
Claudia Roth Meine Eltern waren sehr liberal, auch wenn es für sie sicher nicht immer leicht war, sich hinter meine Entscheidungen zu stellen. In München, wo ich zunächst zwei Semester Theaterwissenschaften studiert habe, lebte ich in einer Männer-WG und wenn meine Eltern zu Besuch kamen, haben sie auf einer Matratze am Boden gepennt. Mein Vater hat sogar im gestreiften Frotteeschlafanzug in unseren "Kapital-Seminaren" gesessen und mitdiskutiert. Beide waren immer sehr neugierig und offen.
Das Parlament In München begegneten sind Sie Mitte der 70er-Jahre auch Ihrem späteren Parteikollegen Fritz Kuhn. Er hat zu Ihnen gesagt: "Aus Dir wird nix. Mach Dir keine Hoffnungen auf eine bürgerliche Karriere."
Claudia Roth (lacht) Fritz und ich haben uns sehr früh kennengelernt, früher als alle anderen Grünen. Wir haben sehr ähnlich gedacht, wollten beide die Welt besser machen. Nur die Frage, wie kommen wir zum Ziel, haben wir unterschiedlich beantwortet. Fritz hat gesagt, dafür brauche man ein Studium und hat Sprachwissenschaften studiert. Ich habe mein Studium abgebrochen und bin ans Theater gegangen. Das Theater war ja in dieser Zeit auch sehr politisch. Erst 1990 haben wir uns auf einem Parteitag wieder getroffen. Wir haben uns angeguckt und mussten beide lachen. Irgendwie hatten uns unsere Wege doch wieder zusammengeführt.
Das Parlament Auf die Grünen trafen Sie erstmals zu Beginn der 80er-Jahre über Auftritte mit der Anarcho-Band "Ton Steine Scherben", deren Managerin sie damals waren. Wie haben Sie die Partei in den Anfangsjahren erlebt?
Claudia Roth Wir sind damals auf grüne Landtagswahlkämpfe eingeladen worden, waren viel mit den Grünen unterwegs. In Gelnhausen haben wir der Spitzenkandidatin unser Mikrofon und unser Licht angeboten. Aber sie hat gesagt, nee, nee, das ist Stromverschwendung, nicht ökologisch, und hat sich neben das Mikro ins Dunkel gestellt. Sie hat eine wirklich unglaublich lange Rede gehalten und niemand hat sie gesehen oder etwas verstanden. Danach verteilte sie Hunderte von Wollfäden im Publikum, damit alle das Band der Liebe knüpfen konnten. Wir haben derweil hinter der Bühne gestanden und uns gefragt, ob wir eigentlich jemals drankommen und überhaupt einen Verstärker anschließen dürfen.
Das Parlament Inzwischen haben sich die Grünen ja ziemlich verändert. Sie müssen sich vorwerfen lassen, sie seien elitär, bürgerlich, eine Klientelpartei...
Claudia Roth Natürlich ist aus dieser Antiparteien-Partei eine Partei in diesem politischen Sys- tem geworden. Aber sie unterscheidet sich noch immer, sowohl was die Inhalte als auch was die Form angeht, durchaus von anderen. Sicher engagieren sich viele Leute aus bürgerlichen Zusammenhängen bei uns, ich selbst komme ja auch aus einer bürgerlichen Familie. Aber die Apotheker in unserer Partei kümmern sich nicht um das Apothekerprivileg, sondern die machen Flüchtlingsarbeit. Das ist der große Unterschied.
Das Parlament Was haben Sie eigentlich angezogen, als Sie sich 1985 als Pressesprecherin bei den Grünen bewarben?
Claudia Roth Da gab es bei uns in der Band eine ziemliche Debatte. Ich lebte ja damals in der "Ton Steine Scherben-Kommune" in Fresenhagen und alle haben sich gefragt, ob ich nun Sandalen und kratzige Pullis anziehen muss oder ob ich das anziehe, was ich in der Zeit immer an hatte, nämlich Lederklamotten und viel Strass und Nieten. Ich habe gesagt, ich trete so auf, wie ich bin und habe ein schwarzes Lederkostüm angezogen und Stiefel mit Nietenkettchen. Ich dachte, das wird nie was, aber nach ein paar Wochen hieß es, wann kommst Du, wann fängst Du an? Die haben wohl gedacht, wer es mit den "Scherben" aushält, wird es auch mit den Grünen aushalten.
Das Parlament "Das Politische ist privat" ist Ihr erstes Buch - keine reine Biografie, aber doch eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den Motiven Ihrer Politik. Wer sollte Ihrer Meinung nach das Buch lesen?
Claudia Roth Das ist eine gute Frage. Ich glaube, ich habe es nicht geschrieben, damit es bestimmte Gruppen lesen. Ich hoffe, dass es jungen Leuten Spaß macht und sie vielleicht verstehen, was ich vermitteln will. Und ich würde mir wünschen, dass es Leute lesen, die mich immer in eine bestimmte Ecke stellen. Vielleicht werden dann ja einige sagen: Irgendwie ist es ganz gut, dass die Roth so bunt ist.
Das Gespräch führte Johanna Metz
Claudia Roth: Das Politische ist privat. Erinnerungen an die Zukunft. Aufbau-Verlag, Berlin 2006; 275 S., 22 Abb., 19,90 Euro.