Optimisten lernen Russisch, Pessimisten lernen Chinesisch" hieß es in den Zeiten des Kalten Krieges. Heute scheint dieser nicht ganz ernst gemeinte Spruch aktueller denn je - die Herausforderung, welche die chinesische Wirtschaft für die entwickelten Volkswirtschaften in Europa und Amerika darstellt, wird allerorten diskutiert. Die Zunahme von Textilimporten aus der Volksrepublik China (im Folgenden: China), die zu einer Quotenregelung für chinesische Textilien führten, hat ebenso dazu beigetragen, diese Herausforderung in das Bewusstsein der Europäer zu rücken, wie die Übernahme europäischer Firmen durch neue chinesische Mitbewerber und die Zunahme des chinesischen Massentourismus. 1
Dabei ist der Aufstieg Chinas zur wirtschaftlichen Großmacht nicht neu. Er begann mit den Reformen unter Deng Xiaoping abdem Jahr 1978. Nachdem China unter Mao Zedong und seinen Nachfolgern jahrzehntelang von Armut und Hungersnöten ineiner dysfunktionalen Zentralverwaltungswirtschaft geprägt war, haben die marktwirtschaftlichen Reformen zunächst in der Landwirtschaft und dann auch in der Industrie zu einem rasanten Wachstum geführt. Seitdem ist die chinesische Wirtschaft (das Bruttoinlandsprodukt, BIP) jährlich um durchschnittlich neun, die Industrie sogar um elf Prozent gewachsen. Ein Ende dieses Booms ist noch nicht abzusehen; im Jahr 2006 wird wieder eine zweistellige Wachstumsrate erwartet. Dank großer Handelsüberschüsse von bis zu200 Milliarden US-Dollar jährlich wird China in diesem Jahr wohl die Grenze von 1 000 Milliarden US-Dollar bei den Devisenreserven überschreiten - ein Weltrekord, der jedoch wegen des ungelösten Problems der weiteren Entwicklung des Wechselkurses für den Yuan nicht nur Freude bei den chinesischen Behörden auslöst. Ein Viertel der ausländischen Direktinvestitionen in Entwicklungsländer geht nach China, dem wichtigsten Zielland für ausländische Investitionen neben den OECD-Staaten.
Während die Erfolge, aber auch die ungelösten Probleme Chinas ein Ergebnis der Entwicklung der letzten 25 Jahre sind, ist die jüngste Zeit nach der Asienkrise von 1997 und 1998 durch eine bemerkenswerte Änderung gekennzeichnet: War China vorher, bedingt durch die Konzentration auf die Entwicklung im Innern, im Wesentlichen außenpolitisch passiv - und bedingt durch den Wunsch nach Mitgliedschaft in der Welthandelsgesellschaft WTO außenwirtschaftspolitisch äußerst zurückhaltend -, so änderte sich dies in den vergangenen Jahren deutlich. Dies betrifft vor allem den Einfluss des Landes aufseine unmittelbaren Nachbarn. China hat sich hier vom passiven, wenn auch wohlwollenden Empfänger von Investitionen und Entwicklungshilfe zum aktiven Teilnehmer an regionalen Entwicklungsprozessen gewandelt. Sowohl in Südostasien als auch in Nordostasien betreibt China nun zu seiner Interessenvertretung eine aktive Außenwirtschaftspolitik. Im Rennen um Freihandelszonen, zu dem auch Japan und andere Länder der Region wie Singapur oder Südkorea angetreten sind, nimmt China inzwischen eine zentrale Stellung ein. Zu seinen traditionellen Anliegen - etwa der Eindämmung des amerikanischen Einflusses in der Region - kamen neue Interessen; vor allem die Sicherung von Rohstoffquellen, insbesondere Energie, ist wichtiger geworden. Während die aktivere Rolle Chinas in der internationalen Politik sowie in der Region im Prinzip begrüßenswert ist, gibt es auch problematische Entwicklungen, wie den Neomerkantilismus und die Zusammenarbeit mit so genannten Schurkenstaaten im Energiesektor, aber auch die Re-Interpretation der Geschichte als Grundlage für territoriale Forderungen, die sich aus der Situation Chinas als Vielvölkerstaat ergeben.
Diese Neuformulierung der Rolle Chinas wirft für seine Nachbarn die Frage auf, wie auch in Zukunft die wirtschaftliche Dynamik Chinas als positiver Faktor für die regionale Wirtschaftsentwicklung genutzt werden kann, ohne dass sich daraus eine politische Dominanz ergibt. Im Folgenden soll diese Frage zunächst für den südostasiatischen, dann für den nordostasiatischen Raum untersucht werden. Abschließend wird die Möglichkeit diskutiert, durch umfassende Wirtschaftsintegration in der Region der Problematik der wuchernden bilateralen, asymmetrischen Freihandelszonen sowie des Neo-Merkantilismus wirksam zu begegnen.
Die chinesischen Beziehungen zu Südostasien sind durch historische, politische, kulturelle sowie ökonomische Komplexität gekennzeichnet. Traditionell war China kulturell als Ursprungsland des Konfuzianismus, politisch als Zentrum des asiatischen Kosmos sowie ökonomisch in Teilen Südostasiens dominierend. Chinesische Händlernetzwerke spielten teilweise seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle für den Handel in der Region, und in den vergangenen Jahrzehnten waren diese ein wichtiger Faktor für die Integration im Rahmen der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN). Derzeit leben etwa 30 bis 40 Millionen ethnische Chinesen in den ASEAN-Staaten. Auch wenn ihr Anteil an der Bevölkerung oft nur gering ist, kontrollieren sie einen Großteil des Außenhandels der ASEAN-Staaten. Während der Asienkrise hat dies vor allem in Indonesien, zum Teil auch in Malaysia und Thailand, zu ethnischen Konflikten geführt. In den Zeiten des Kalten Krieges war die Rolle Chinas in Südostasien durch die Rivalität mit den USA und die Unterstützung diverser kommunistischer Rebellengruppen gekennzeichnet. Die Gründung der ASEAN im Jahr 1967 richtete sich explizit gegen solche Aktivitäten, so dass die Beziehungen zu China auch nach den Änderungen in Chinas Wirtschaftssystem zunächst kühl blieben. Territoriale Konflikte (um die Spratly-Inseln und vor allem damit verbundene Öl- und Gasvorkommen) erschwerten die Beziehungen zu Vietnam, den Philippinen und Japan sowie Taiwan zusätzlich.
Während der Asienkrise von 1997 und 1998 bewahrheiteten sich Befürchtungen, China werde dem Beispiel der südostasiatischen Länder folgen und seine Währung abwerten, nicht. Dies hätte sicherlich zu einer neuen Runde kompetitiver Abwertungen geführt. Zwar blieb China gegenüber regionalen Initiativen wie der Miyazawa-Initiative zur Gründung eines Asian Monetary Fund skeptisch, aber ein erster Schritt zur Akzeptanz einer regionalen Verantwortung war getan, bedingt durch den Willen der chinesischen Bürokratie, das Verhältnis zu den südostasiatischen Nachbarn zu verbessern - und die Chancen für einen WTO-Beitritt Chinas zu erhöhen. 2
Nach der Asienkrise wurden die chinesichen Wirtschaftsbeziehungen zu den südostasiatischen Staaten deutlich enger. Dies war einerseits ein Ergebnis der gelungenen Transformation Chinas. Die wirtschaftlich erfolgreiche Küstenregion brachte steigende Löhne und damit auch eine Verlagerung arbeitsintensiver Produktion mit sich. Diese erfolgte zumeist nicht innerhalb Chinas, da der wenig entwickelte Westen des Landes keine guten Voraussetzungen für stabile Produktionsbeziehungen - etwa in Form ausreichender Infrastruktur - bot, sondern in die angrenzenden Länder Südostasiens. Auch als Rohstofflieferanten für Chinas boomende Wirtschaft gewannen die Länder Südostasiens an Wichtigkeit.
Auch politisch wandelte sich das Verhältnis Chinas zu den Nachbarn: Die territorialen Konflikte mit diesen (Spratly-Inseln) bleiben zwar bestehen, aber wie die Nachbarn bemühte sich China, diese nicht eskalieren zu lassen. Das Land akzeptierte die ASEAN-Erklärung von 1992 für eine friedliche Lösung des Konflikts in der südchinesischen See; im Jahr 2002 wurde diese durch eine gemeinsame China-ASEAN-Erklärung zum Verhalten der betroffenen Staaten im Konflikt ergänzt. Seit 2005 gibt es gemeinsame Forschungsprojekte Chinas mit Vietnam und den Philippinen zu den Erdölvorkommen in der Region, die in gemeinsamer Ausbeutung oder in der friedlichen Aufteilung der Vorkommen münden könnten. Verschiedene Formen der Diplomatie, wie vor allem das ASEAN Regional Forum als sicherheitspolitisches Forum, aber auch nichtoffizielle Kontakte, etwa im Rahmen der zweimal jährlich stattfindenden International Conference of Asian Political Parties, ermöglichten dies. Die Beziehungen Chinas zu Südostasien waren und sind von der Ungleichheit der Partner in Bezug auf Größe sowie militärisches und wirtschaftliches Gewicht gekennzeichnet, weshalb vertrauensbildende Maßnahmen ein wichtiger Teil von Chinas Beziehungen zu den Nachbarn sind. Eine regelrechte Charmeoffensive seit Ende der neunziger Jahre führte zu verstärkten kulturellen und politischen Kontakten mit der ASEAN.
Die stärkere wirtschaftliche Verflechtung mit Südostasien führte auch zu einer aktiveren Außenwirtschaftspolitik Chinas in der Region. Die größere Einbindung Chinas in die regionale Arbeitsteilung hatte einerseits eine größere Interdependenz der beteiligten Volkswirtschaften zur Folge, was Chinas Interesse an der wirtschaftlichen Stabilität seiner Nachbarn erhöhte. Andererseits störten dadurch bestehende Handelsschranken und bürokratische Hemmnisse mehr, so dass Chinas Interesse an regionalem Freihandel konstant wuchs. War die Mitgliedschaft in der Asia Pacific Economic Cooperation (APEC) eher ein Teil der Strategie der Einbindung in den weltweiten Handel mit dem nun erreichten Ziel der WTO-Mitgliedschaft, so ist die regionale Kooperation eine deutliche Abkehr von dieser Strategie. Der APEC-Zusammenarbeit wird deutlich weniger Gewicht beigemessen als der Zusammenarbeit in den neuen Kooperationsformen, vor allem "ASEAN plus drei" (China, Japan, Korea), die zum ersten Mal im November 2001 in Brunei ein Gipfeltreffen abhielten und sich seitdem jährlich treffen. Im Dezember 2005 wurde auf dem Gipfeltreffen in Kuala Lumpur die Gründung einer ostasiatischen Gemeinschaft im Prinzip beschlossen, ohne dass jedoch der institutionelle Rahmen für diese Zusammenarbeit genauer festgelegt worden wäre. Im Jahr 2003 schloss China mit den ASEAN-Staaten einen Freundschafts- und Kooperationsvertrag, und im November 2004 wurde im Grundsatz die Errichtung einer China-ASEAN-Freihandelszone (ACFTA) bis 2010 festgeschrieben. Dies war insofern ein chinesischer Erfolg, als auch Japan und Südkorea stark an einem solchen Freihandelsabkommen interessiert waren. Die ASEAN-Staaten haben zunächst die Bedenken gegen die chinesische Dominanz in einem solchen Bündnis zurückgestellt, allerdings auch den Weg für Freihandelsabkommen mit den anderen nordostasiatischen Ländern und mit den USA freigehalten.
Neben der Integration Chinas in regionale und internationale Wirtschaftsräume spielt in Südostasien traditionell auch die subregionale Integration eine große Rolle. Sie eröffnet die Möglichkeit, unter Umgehung politischer Konflikte zu pragmatischen Lösungen für grenzüberschreitende Wirtschaftskooperation zu gelangen. Zunächst war dies vor allem im Verhältnis zu Taiwan - in den Augen Chinas eine abtrünnige Provinz - und zu Hong Kong mit seinem kapitalistischen Wirtschaftssystem wichtig: die beiden Hauptquellen für Direktinvestitionen in den chinesischen Sonderwirtschaftszonen in den achtziger und neunziger Jahren.
Aber auch im Verhältnis zu Südostasien kam wegen der schon erwähnten chinesischen Minderheiten und der starken chinesischen Repräsentanz gerade in den Grenzgebieten, etwa in Burma, der subregionalen Integration eine besondere Rolle zu. Im Jahr 1992 wurde mit Unterstützung der Asian Development Bank der Mekong-Wirtschaftsraum zwischen China, Myanmar, Laos, Thailand, Kambodscha und Vietnam begründet. Im Rahmen der Greater Mekong Subregion konnten zwar nicht alle regionalen Konflikte ausgeräumt werden - beispielsweise weigerte sich China, durch Beitritt zur Mekong River Commission den Nachbarn am unteren Mekong Mitbestimmungsrechte über seine Dammbauprojekte am Oberlauf des Flusses zu geben -, aber es stellt doch ein neues Forum für die friedliche Zusammenarbeit im Grenzraum dar. Dies ist gerade angesichts der Dominanz chinesischer Händler entlang der Grenze Chinas zu seinen südostasiatischen Nachbarn eine wichtige zusätzliche Form des Interessenausgleichs, der teilweise auch durch bilaterale Wirtschaftshilfen oder Militärhilfe wie im Falle Kambodschas funktioniert.
Die Voraussetzungen für die ökonomische Integration Südostasiens waren, verglichen mit denen in Westeuropa seit den fünfziger Jahren, wesentlich schlechter: Während sich die westeuropäischen Integrationspartner durch relativ große wirtschaftliche Homogenität auszeichneten, war dies in Südostasien nicht der Fall. In Westeuropa war in den fünfziger Jahren nur eine Region, nämlich das italienische Mezzogiorno (Süditalien), nicht industrialisiert; demgegenüber besteht Südostasien seit den Anfängen der ASEAN-Integration aus Ländern mit völlig unterschiedlichem Entwicklungsstand - von den Handelszentren Singapur und Hong Kong bis hin zu den großen, kaum menschlich erschlossenen Gebieten Indonesiens und später, bei der Erweiterung um die ehemaligen indochinesischen Staaten, um Gebiete, die zu den ärmsten Ländern weltweit gehörten.
Auch die politischen Systeme waren durch große Heterogenität gekennzeichnet. Das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, typisch für die ASEAN-Integration, war eine Folge dieser Unterschiede. Es ermöglichte später auch die Integration Vietnams und die Akzeptierung Chinas mitihren Einparteiensystemen. Eine weitere Folge war die besondere Bedeutung der informellen, subregionalen Integration. Verbindend waren in Südostasien die gemeinsame Perzeption einer Bedrohung durch den Kommunismus sowie - später - die gemeinsamen Erfahrungen der wirtschaftlichen Entwicklung, die Bedeutung japanischer Direktinvestitionen in den achtziger Jahren und die schon erwähnten chinesischen Minderheiten. Natürlich ist eine solche Konstellation nicht statisch, sondern veränderbar. Dementsprechend war auch die Schaffung einer südostasiatischen Identität ("think ASEAN") eines der Ziele bei der Gründung der ASEAN, das bis heute verfolgt wird. Die Einbeziehung Chinas in eine gemeinsame südostasiatische Identität, die eine Voraussetzung für den Erfolg auch wirtschaftlicher Integration darstellt, ist dementsprechend schwer, aber nicht unmöglich.
Während sich schon die Zusammenarbeit der Staaten Südostasiens nicht einfach gestaltete, fehlten für die wirtschaftliche Integration Nordostasiens überhaupt alle Voraussetzungen: Japan war und ist aus historischen Gründen als Teil eines politischen Integrationskonzeptes nur schwer vorstellbar. Der Plan zur Errichtung einer "Greater East Asia Co-Prosperity Sphere" unter Führung Japans im Zweiten Weltkrieg belastet zusammen mit der wirtschaftlichen Stärke Japans bis heute die politischen Beziehungen zu den Staaten der Region. Diese historischen Altlasten wurden durch die Besuche des ehemaligen Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi im Yakusuni-Schrein, die Zulassung von Geschichtsbüchern, welche die Rolle Japans vor dem Zweiten Weltkrieg relativ positiv bewerten, und den Streit mit Korea um die Dokdo (Takeshima)-Insel noch verschärft, so dass die Beziehungen Japans zu den beiden wichtigsten Nachbarn in Nordostasien, China und Südkorea, heute auf einem Tiefpunkt angelangt sind. Ob die Wahl von Shinzo Abe zum neuen Ministerpräsidenten etwas ändern wird, ist noch offen. Zwar hat Abe sich für verbesserte Beziehungen zu den Nachbarn ausgesprochen; seine Politik der Normalisierung Japans, die unter anderem eine Änderung der pazifistischen Verfassung bringen soll, könnte aber der Ausgangspunkt neuer Kontroversen sein. Auch wenn die wirtschaftliche Stärke Japans noch immer ein wichtiger Faktor für die ökonomische Integration der Region ist, so hat doch die fünfzehnjährige Phase der Stagnation Japan als ökonomisches Modell in Frage gestellt.
China ist wegen des noch nicht vollzogenen politischen Transformationsprozesses gleichermaßen als Teil eines politischen Integrationsprojektes mit den Demokratien Japan und Südkorea kaum denkbar. Historisch war das Land Mittelpunkt des ostasiatischen Staatensystems, und diese Rolle wirkt ebenfalls limitierend. Seitdem es mit dem so genannten Nordostasienprojekt die Geschichte der umgebenden Region, insbesondere Nordkoreas, als Teil der eigenen Geschichte (re-)interpretiert, haben sich vor allem in Korea die Befürchtungen vor einer erneuten Dominanz Chinas verstärkt. Nach einer "honeymoon"-Phase in den neunziger Jahren werden jetzt auch die starke Abhängigkeit von China als Produktionsbasis und der chinesische Hunger nach Rohstoffen und Energie in Korea skeptischer betrachtet. Russland als letzter der drei großen nordostasiatischen Staaten ist demgegenüber an einer über die wirtschaftliche Integration hinausgehenden Kooperation nur sporadisch interessiert; sein Hauptinteresse liegt in Europa. Die russisch-chinesischen Beziehungen sind zwar politisch im Moment sehr eng, allerdings führt der chinesische Bevölkerungsdruck im Fernen Osten Russlands zu Spannungen. Auch die fortdauernde Teilung Koreas ist ein Hindernis für die Integration Nordostasiens. 3 Nordkorea ist zwar ein weithin isolierter Staat, behält aber seine strategische Bedeutung für China als Bollwerk gegen die amerikanische Militärpräsenz in Korea und auch als strategisches Faustpfand im Konflikt mit den USA um die Zukunft Taiwans. Südkorea selber fühlt sich als "Garnele zwischen Walen", und misstraut beiden Nachbarn bzw. ihren Motiven für eine engere Kooperation. Die Idee, als Katalysatorder wirtschaftlichen Integration eine Art "Zünglein an der Waage" (balancer) in Nordostasien zu werden, wie Präsident Roh Moo-Hyun angeregt hat, wurde von beiden klar abgelehnt. Auch die starke Involvierung der USA durch die enge Allianz mit Japan und die - wenn auch geschwächte - Allianz mit Südkorea erschweren eine engere politische Kooperation: Von den beiden Staaten wird sie zwar zu Recht als unerlässlich für die eigene Sicherheit angesehen, in China aber mit Misstrauen betrachtet.
Damit stehen der politischen Kooperation und Integration in Nordostasien viele Hindernisse im Wege. 4 Dies hat Auswirkungen auf die wirtschaftliche Integration. Wenn man die (häufig mit Bezug auf die Integration Westeuropas) entwickelten Integrationsmodelle betrachtet, verlangen alle ein Mindestmaß an institutioneller Kooperation oder Integration. Beides wird durch die politische Heterogenität erschwert, da institutionelle Integration (etwa im Bereich des Wettbewerbsrechts) auch ein Mindestmaß an vergleichbaren politischen Institutionen (etwa Rechtssicherheit) voraussetzt.
Ungeachtet der genannten Probleme gibt es doch insbesondere seit der Asienkrise vermehrt Initiativen zu einer engeren wirtschaftlichen Kooperation. Die Gipfeltreffen am Rande der "ASEAN plus drei (China, Japan, Korea)"-Gipfel gehörten dazu, sie wurden allerdings wegen der Kontroversen um Koizumis Besuche des Yakusuni-Schreins vorerst eingefroren. Auf Ministerebene fanden in verschiedenen Politikbereichen, vom IT-Bereich bis hin zur Umwelt, ebenfalls Gespräche statt. Ein erstes großes Projekt zur subregionalen Integration - die Entwicklung des Tumen-Deltas zwischen China, Nordkorea und Russland - scheiterte allerdings. Demgegenüber bewegte die zunehmende Angst vor Isolierung vor allem Japan und Südkorea dazu, mit einer Reihe von Staaten in Verhandlungen zur Bildung von Freihandelszonen einzutreten. Auch über die Schaffung einer japanisch-koreanischen Freihandelszone wird inzwischen verhandelt, allerdings stoßen die Gesprächspartner dabei immer wieder an politische Grenzen. 5 Die Ausweitung dieser Freihandelszone auf China wurde zwar diskutiert, scheint aber derzeit politisch unmöglich zu sein. Dem Ausgleich der wirtschaftlichen und politischen Interessen Chinas und Japans kommt so eine zentrale Stellung für die erfolgreiche Integration Nordostasiens, aber auch Südostasiens zu. China muss dabei vier Probleme lösen, um seine neue Rolle ausfüllen zu können: Die Befürchtungen vor einer chinesischen wirtschaftlichen Dominanz auszuräumen, die an die historische Rolle Chinas als Lehensherr umgebender Vasallenstaaten anknüpft, und die Neuinterpretation der Geschichte der Reiche im früheren Grenzgebiet Nordostasiens, die besonders Korea mit großem Misstrauen erfüllt, gehören zu den politischen Herausforderungen. Chinas Rolle als Preistreiber für Rohstoffe und insbesondere Energie sowie seine Versuche, durch Exklusivverträge mit rohstoffreichen Staaten seine Rohstoffbasis zu sichern (oft in Zusammenarbeit mit sogenannten Schurkenstaaten), zählen zu den wirtschaftlichen Herausforderungen von Chinas Aufstieg ("Neo-Merkantilismus"). 6 Schließlich führt das Rennen um Freihandelsverträge in der Region, um sich vor außenpolitischer Isolation zu schützen, durch eine Vielzahl von Ausnahmeregelungen und Präferenzzonen zu neuen Handelsschranken ("spaghetti bowl effect"). 7
Chinas Integration in die Weltwirtschaft sowie in die regionale Wirtschaft ist eine große Erfolgsgeschichte für das Land. Dabei war China, auch bedingt durch militärische Schwächen trotz der Größe seiner Armee und durch innenpolitische Konflikte, stets bemüht, den friedliebenden Charakter seiner wirtschaftlichen Expansion zu betonen. Diese Konzentration auf Wirtschaftswachstum und -integration statt politischer Machtausübung sollte durchaus auch in der Zukunft als ein Motiv chinesischer Außenwirtschaftspolitik ernst genommen werden. Dennoch haben sich in den letzten Jahren vermehrt die oben diskutierten Konflikte ergeben, die Chinas Rolle als rein wirtschaftliche Macht weniger glaubhaft erscheinen lassen. Insbesondere der trilaterale Wettbewerb mit Japan und den USA - um Rohstoffquellen und Energievorkommen, um Freihandelsabkommen und auch um politischen Einfluss in der Region - ist dabei eine Quelle potenzieller Konflikte.
Umfassende wirtschaftliche Integration in Ostasien, beispielsweise im Rahmen von ASEAN plus drei (China, Japan, Korea), weist einen Weg zur Entschärfung dieser Konflikte: Erstens führt eine Mischung großer und kleiner Staaten in einem größeren Integrationsgebiet zu einer Entschärfung des Problems der möglichen Dominanz eines Integrationspartners, Japans oder Chinas. Die Möglichkeit eines chinesischen oder japanischen Sonderwegs, der zu Konflikten mit den Nachbarn führt, würde dadurch erheblich verringert. Dabei hat sich in Europa gezeigt, dass eine maßvolle Überrepräsentation der kleineren Staaten als vertrauensbildende Maßnahme erfolgreich sein kann. Zweitens würde ein größeres Integrationsgebiet auch wirtschaftlich für alle beteiligten Staaten von Vorteil sein, da damit Verzerrungen in der Produktionsstruktur aufgrund von Handelspräferenzen eine kleinere Rolle spielen. Die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums kann dann auch positive Effekte für die politische Kooperation haben. 8 Allerdings scheinen derzeit die politischen Hindernisse für eine umfassende Integration noch zu hoch zu sein. Eine Alternative könnte sein, zunächst nur auf einem einzigen Feld von gemeinsamem Interesse die Integration zu beginnen, zum Beispiel auf dem der Energiepolitik. 9 Allerdings müsste dieses Feld dann von den ungelösten politischen Konflikten isoliert werden, weil es sonst, wie jetzt etwa die nordostasiatischen Gipfeltreffen, zum Spielball politischer (und häufig innenpolitisch motivierter) Schachzüge würde.
Die Stellung Chinas im ostasiatischen Wirtschaftsraum der Zukunft bleibt eine offene Frage. Dabei spielen auch die Entwicklung Südasiens, insbesondere Indiens, und die Frage der geographischen oder kulturellen Begrenzung eines zukünftigen Integrationsraumes (z.B. die Einbeziehung Australiens und Neuseelands) eine wichtige Rolle. Diese Fragen lassen sich durch flexible institutionelle Gestaltung, etwa in Form einer umfassenden Freihandelszone und möglicher engerer Kooperation in anderen Gebieten - etwa bei der Währungspolitik - lösen. Die wichtigste Voraussetzung dafür bleibt aber der politische Wille, wirtschaftliche Zukunftsinteressen nicht durch historische Fragen und Prestigegehabe unnötig zu untergraben. Dies ist derzeit bei allen beteiligten Staaten nur bedingt gegeben.
1 Zur
Herausforderung, die China speziell für Europa darstellt vgl.
Markus Taube, Die VR China als aufstrebende Macht in der
Weltwirtschaft: Herausforderungen an Europa, in: Politische
Studien, 57 (2006) 408, S. 26 - 35. Zu den möglichen Antworten
auf diese Herausforderung vgl. Bernhard Seliger, (2006): Die
chinesische und indische Herausforderung - Variationen zum alten
Thema "Ordnungspolitik versus Protektionismus",
www.ordnungspolitisches-portal. com/00_Index_Aktuelles.html.
2 Vgl. Leong H. Liew, The Role of
China's Bureaucracy in its No-Devaluation Policy during the Asian
Financial Crisis, Japanese Journal of Political Science, 4 (2003),
S. 61 - 76.
3 Vgl. Bernhard Seliger, Südkorea
und die wirtschaftliche Integration Ostasiens - wirtschaftliche und
politische Herausforderungen, in: Patrick Köllner (Hrsg.),
Korea Jahrbuch 2001, Institut für Asienkunde, Hamburg 2001, S.
141 - 157.
4 Vgl. dazu ausführlich ders.,
Economic Integration in Northeast Asia: Preconditions and Possible
Trajectories, in: Global Economic Review, 31 (2002) 4, S. 17 - 38,
sowie zu den speziell außenpolitischen Aspekten Ludger
Kühnhardt, Northeast Asia: Obstacles to Regional Integration,
in: TEA Study (2005) 13, Ruhr-Universität Bochum, im Internet:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/oaw/poa/pdf/TEA%20S13.pdf.
5 Vgl. Bernhard Seliger, A Free Trade
Area between Japan and Korea - Economic Prospects and Cultural
Problems, in: Journal of Pacific Asia, 12 (2005), S. 93 -
129.
6 Vgl. Heinrich Kreft,
Neomerkantilistische Energie-Diplomatie. China auf der Suche nach
neuen Energiequellen, in: Internationale Politik, 61 (2006) 2, S.
50-57.
7 Vgl. Werner Pascha, Economic
Integration in East Asia and Europe - A Comparison, in: Karl-Peter
Schönfisch/Bernhard Seliger (Hrsg.), ASEAN plus three (China,
Japan, Korea) - towards an economic union in East Asia?,
Seoul-Singapur: Hanns-Seidel-Stiftung, 2004, S. 39 - 60, hier S.
48.
8 Vgl. Bernhard Seliger, The Optimum
Size of East Asian Economic Integration and the Role of Korea, in:
Korea and World Affairs, 30 (summer 2006) 2 , S. 238 - 258.
9 Vgl. Peter Beck, Northeast Asia's
Undercurrents of Conflict, in: Asia Report, (2005) 108 (Seoul:
International Crisis Group).