Franz Bähr, 65 Jahre alt, übergewichtig, zuckerkrank, geschieden. Brille, Glatze. Seit einiger Zeit Fußgänger. Früher Ferrari-Fahrer, heute Pleitier. Manche sagen: Franz Bähr ist ein Schwein. Franz Bähr sagt nichts. Er schweigt. Er wird wissen, warum.
Franz Bähr nannte sich vor Jahren gern "Baulöwe". Aber das ist lange vorbei. Heute ist Franz Bähr kein Löwe mehr. Und mit Bau hat er auch nichts mehr zu tun. Aus dem Baulöwen ist ein Maulwurf geworden. Eingegraben. Er scheut das Tageslicht. Er will sein Haus nicht mehr verlassen.
Er hat Angst. Er schämt sich. Vielleicht. Schämen - das würde wenigstens noch einen letzten Rest von Anstand dokumentieren. Ein kleiner Beleg für ein Minimum an verbliebener Moral.
Moral. Ein großes Wort im Zusammenhang mit Franz Bähr. Moral und Franz Bähr: Das ist wie Feuer und Wasser. Stattdessen: Geschäft und Franz Bähr. Das passt. Geschäft um jeden Preis. Auf wessen Kosten auch immer und zu wessen Lasten.
Franz Bähr hat gebaut. Siedlungen. Häuser. Hochhäuser. Ein Hotel. Er hat gekauft und verkauft. Er hat Millionen gemacht und Millionen versenkt. Franz Bähr war ein Spieler und kein ehrbarer Geschäftsmann. Er ist gescheitert und hat andere zum Scheitern verurteilt.
Franz Bähr hat seine Pleite hingelegt kurz nach der Wende. Er hatte zu hoch gepokert. Kein Einzelfall in den neuen Bundesländern. Neunzig Häuser in einem abseits gelegenen Waldgebiet und Kosten, die explodierten. Schlechte Voraussetzung für einen Bauträger, der Großes will, aber das Kleine nicht kennt - Bescheidenheit, Demut, Toleranz. Die Dimension seines Scheiterns entspricht ungekehrt proportional dem gesellschaftlichen Anspruch von Franz Bähr. Villa mit Bechstein-Flügel im riesigen Wohnzimmer; Garten mit chinesischem Teehaus; Doppelgarage mit Sport- und Geländeauto; Essen nur in vornehmsten Häusern, Reisen nur Erster Klasse. Urlaub auf Elba: stets sechs Wochen am Stück. Und zu Hause kreiste der Pleitegeier.
Franz Bähr zog die Notbremse. Irgendwann. Vielleicht hatte er in einem Mafia-Schmöker gelesen, wie man sich sanieren kann. Rechnungen frisieren. Einen Handwerker - hier heißt er Öztürk - mit ins Boot nehmen. Ihm Geld für null Arbeit zahlen, aber den Hauptbatzen des Erlöses in die eigene Tasche stecken. Die Rechnung schrieb Öztürk. Franz Bähr war der Adressat, dessen Objekt von einer Bank finanziert wurde. Und Franz Bähr schickte diese frisierten Rechungen der Bank, die prompt an ihn zahlte. Er war wieder flüssig. Komplize Öztürk bekam seinen, einen kleinen Anteil. Immer pünktlich. Eine Zeitlang. Bis die Sache aufflog.
Betrug zur Firmensanierung: kein Kavaliersdelikt. Polizei, Staatsanwaltschaft, Finanzamt. Dann der Konkurs. Franz Bährs Firma ging über den Jordan. Öztürks Firma gleich mit. Die Ermittlungen laufen endlos. Schon über sechs Jahre. Noch immer keine Anklage. Öztürk lebt von Hartz IV. Er hasst Franz Bähr. Franz Bähr ist sein Unglück. Er will Franz Bähr ans Leder. Lauert ihm auf. Bedroht ihn. Franz Bähr flüchtet. Lebt für ein paar Jahre auf Elba, traut sich nicht nach Haus. Wegen Öztürk. Irgendwann geht das Geld aus. Franz Bähr kann die Wohnung auf Elba nicht mehr bezahlen. Trotz des Schwarzgelds, das er auf die Seite gebracht hat.
Einmal haben sie ihn erwischt, am Grenzübergang bei St. Margarethen. Zu Fuß mit einer Plastiktüte. 150.000 Euro in bar waren drin. Franz Bähr stand wegen der immensen Steuerschulden auf der Fahndungsliste und wurde sofort festgenommen. Der Mann, der einmal Baulöwe war, war plötzlich Häftling. Für eine Nacht. Die 150.000 waren in der Schweiz deponiert gewesen. Jetzt hat sie der Fiskus. Der will noch mehr von Franz Bähr. Der aber sagt, es sei nichts mehr zu holen bei ihm.
Deshalb hält der Fiskus sich an Franz Bährs früherer Ehefrau Eva schadlos. Steuerschulden sind Ehrenschulden, oder so ähnlich. Eva hatte mal für ihn gebürgt bei einem seiner Projekte. Obwohl sie schon längst getrennt waren. Sie hat's getan aus reiner Menschenliebe. Um ihn nicht abstürzen zu lassen. Er hatte damals gesagt, er werde, wenn je Forderungen aus dieser Sache auf sie zukommen sollten, alle übernehmen. Das hat er ihr sogar schriftlich gegeben. "Freigestellt im Innenverhältnis" nennt sich so was. Wert heute: null!
Franz Bähr sagt, jeder, der wegen der Bürgschaftssache Geld von ihm wolle, solle sich an seine Ex-Frau wenden. Deshalb muss Eva jetzt zahlen. An den Fiskus, an Banken. Für Franz Bähr, der irgendwo sein Schwarzgeld versteckt hat.
Franz Bähr hat kein Gewissen. Auch heute noch nicht. Erst hat er Öztürk und dessen Firma ruiniert, jetzt ruiniert er die Frau, die ihm geholfen hat. Er kennt keine Gnade. Er versteckt sich. Er sieht seelenruhig zu, wie sie geschröpft wird. Die Millionen, die der Fiskus und die Banken von ihr wollen, hat sie nicht. Denn Eva wartet darauf, dass die Forderungen bald bei ihr auf dem Tisch liegen. Sie wird persönliche Insolvenz anmelden müssen. Einen Offenbarungseid leisten. Sogar das bisschen Geld verlieren, das sie mühsam auf ihrem Konto zusammengespart hat. Sie wird keinen Kredit bekommen und nicht mal eine Kreditkarte. Finanztechnisch gesehen, wird sie ein Nichts sein, bald.
Franz Bähr dagegen wird, eingegraben in seiner Wohnung, weiter von seinem Schwarzgeld leben. Öztürk wird weiter Hass auf ihn schieben. Er wird auf eine Gelegenheit lauern, ihm alles heimzuzahlen. Das ist seine Moral. Die Moral der Gewalt. Seine einzige Waffe, wie er glaubt.
Franz Bährs frühere Frau Eva genehmigt sich solche Gefühle nicht. Keinen Hass, keinen Gedanke an Rache. Gar nichts. Sie fügt sich ins Unabänderliche. Sie verdrängt. Sie weigert sich, ihr Los zu beklagen. Andernfalls würde ihr Franz Bähr doch immer gegenwärtig sein.
Sie will ihr Leben nicht mehr mit ihm teilen. Franz Bähr ist für sie gestorben. Ganz gleich, wovon und wie lange er noch lebt.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.