Das Parlament: Spekulieren an der Börse hat bei vielen Ethikern einen schlechten Ruf - auch bei Ihnen?
Ulrich Thielemann: Spekulationen haben oft den Ruch des Unmoralischen - im Unterschied zu Investitionen, die gemeinhin als moralisch in Ordnung gelten. Allerdings sind Investitionen stets spekulativ. Die Zukunft ist ungewiss. Man gibt in beiden Fällen heute etwas aus in der Hoffnung, dass sich dies morgen auszahlt. Ethisch problematisch ist etwas anderes, nämlich eine Gewinnmaximierung um jeden Preis. Wenn also alle Ansprüche, die beim Spekulieren oder Inves-tieren berührt werden, bestenfalls insofern Berücksichtigung finden, als sie die Erzielung des höchstmöglichen Gewinns beeinflussen.
Das Parlament: Was soll daran so schlimm sein?
Ulrich Thielemann: Gewinnmaximierung heißt, alles daran zu setzen, dass die Gewinne so hoch wie möglich sind. Man erhebt damit Gewinn gleichsam zum obersten Moralprinzip. Eine der Folgen ist, dass man Beschäftigte auch ohne betriebliche Not entlässt. Dies haben wir ja in jüngerer Zeit beobachtet. Man bemüht sich dabei noch nicht einmal um eine Rechtfertigung - etwa mit Verweis auf den Wettbewerbsdruck. Man verkündet es einfach. Dies war der Fall Deutsche Bank. Die Botschaft lautet dabei: Warum sich mit zwölf Prozent Eigenkapitalrentabilität zufrieden geben, wenn doch 25 Prozent möglich sind? Und wenn man dafür ein Drittel der Belegschaft entlassen muss, so be it.
Das Parlament: Machen Sie dafür die Börse verantwortlich?
Ulrich Thielemann: Aus der Börsenlogik heraus ergibt sich, dass das Kapital dorthin verschoben wird, wo 25 Prozent Rendite zu holen sind, und nicht dorthin, wo es vielleicht "nur" zwölf Prozent gibt, dafür aber der Druck auf Beschäftigte oder Zulieferer ein Maß kennt.
Das Parlament: Damit entlassen Sie Herrn Ackermann aus der Verantwortung. Er hat doch trotz allem einen gewissen Spielraum.
Ulrich Thielemann: Durchaus. Interessant ist aber, dass ein neuer Sachzwang heraufbeschworen wird - nicht von Herrn Ackermann selbst so explizit benannt, aber durch Kommentatoren, die ihm nahestehen. Die Argumentation lautete: Wenn die Deutsche Bank nicht ihre Rentabilität steigert, gerät sie in Gefahr, übernommen zu werden.
Das Parlament: Sie sprechen der Börse damit viel Macht zu. Haben nicht auch andere Gruppen, beispielsweise die Kunden, großen Einfluss auf die Unternehmen?
Ulrich Thielemann: Selbstverständlich. Und sicherlich sind auch viele Kunden nicht immer einverstanden mit all den Rationalisierungen, die eingesetzt werden, um die Rentabilität weiter zu heben. Von allen Interessengruppen hat das Kapital aber den längsten Hebel. Es sitzt sozusagen am Ende der Nahrungskette. Es kauft und verkauft nicht nur Produkte, sondern ganze Unternehmen.
Das Parlament: Manchmal gehen Kapitalmarktorientierung und Kundenfreundlichkeit Hand in Hand. Beispielsweise musste man bei der früheren Bundespost oft monatelang auf einen Telefonanschluss warten, jetzt geht das viel schneller. Da war der Börsengang der Deutschen Telekom hilfreich.
Ulrich Thielemann: Es gibt diesen positiven Einfluss des Kapitalmarktes, das will ich keineswegs bestreiten. Der Service der Telekom hat sich verbessert, es ist zu begrüßen, dass hier vermehrt auf Effizienz geachtet wird. Man muss aber zwischen Gewinnerzielung und Gewinnmaximierung scharf trennen. Gute Unternehmensführung hat verschiedene Ansprüche zu berücksichtigen, nicht nur jene des Kapitalmarktes. Allerdings nimmt die Radikalität, mit der sich das Management am Kapitalmarkt ausrichtet, gegenwärtig zu. Das kritisieren übrigens auch Chefs von äußerst erfolgreichen Unternehmen, beispielsweise Wendelin Wiedeking von Porsche.
Das Parlament: Dass Manager wie Wiedeking der Knute des Kapitalmarktes ausweichen wollen, erscheint verständlich. Es wird eben mehr Effizienz von ihnen verlangt. Glauben Sie nicht, dass das eher für eine volkswirtschaftlich positive Rolle der Börse spricht?
Ulrich Thielemann: Wie gesagt, solch eine antreibende Wirkung kann sicherlich ihr Gutes haben. Es darf nur nicht das alles beherrschende Prinzip werden.
Das Parlament: Aktien zählen, über die Jahrzehnte gesehen, zu den besten Anlagen überhaupt. Früher profitierten davon fast nur die Wohlhabenden, mittlerweile hat sich die Börse demokratisiert. Ist das nicht begrüßenswert?
Ulrich Thielemann: Der Anteil der Kapitaleinkommen am Bruttosozialprodukt hat zugenommen. Und es gibt auch immer mehr Aktionäre. Aber es profitieren nach wie vor nur sehr wenige wirklich davon. Offenkundig kann nicht jeder sozusagen Vollzeitaktionär sein. Ein paar Leute müssen den Wohlstand schon noch erzeugen. Und wir beobachten, dass viele Beschäftigte an Kaufkraft verlieren, vor allem in den USA, aber auch hierzulande. Wachsende Anteile der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung wandern zum Kapital - und zum Management. In den USA ist der überwiegende Anteil des durchaus beachtlichen Wachstums der sehr kleinen Schicht der so genannten Super Rich zugeflossen. Der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit bleibt bestehen. Neu ist, dass dieser Konflikt heute auch innerhalb ein und der selben Person ausgetragen wird. Ein Angestellter, der Aktien seines Arbeitgebers kauft, freut sich sicher über steigende Unternehmensgewinne und einen anziehenden Kurs. Er merkt dabei aber nicht, dass er sich sozusagen selber outsourct, wenn die Gewinnsteigerung eben darauf beruht.
Das Parlament: Wie sollte die Börse funktionieren, um moralisch einwandfrei zu sein?
Ulrich Thielemann: Wenn wir hier einmal von der Regulierung des Kapitalmarktes absehen, die meines Erachtens ethisch unausweichlich ist und die in einer globalisierten Wirtschaft natürlich ebenfalls global ausgestaltet sein muss, so ist auf das so genannte nachhaltige oder sozial verantwortliche Investieren hinzuweisen. Dieses erlebt ja geradezu einen Boom. Man kann dies begreifen als Durchbrechung des Prinzips, dass es dem Anleger egal ist, wie die Gewinne entstehen. Man übernimmt auf diese Weise gesellschaftliche Verantwortung, eben als Aktionär.
Das Parlament: Nachhaltiges Investieren ist ein schwammiger Begriff. So sagen viele Vertreter der harten Gewinnmaximierung, nur wer in ihrem Sinne agiere, sichere nachhaltig die Existenz eines Unternehmens.
Ulrich Thielemann: Der Begriff ist tatsächlich problematisch. Er spielt suggestiv mit seiner Doppelbedeutung: Ist da der "nachhaltig" durchsetzbare Gewinn gemeint, also Gewinnmaximierung, oder eine im Sinne der Rio-Deklaration "nachhaltige", also ökologisch und sozial verantwortliche Art der Gewinnerzielung?
Das Parlament: Viele nachhaltige Investments warfen zuletzt hohe Erträge ab. Muss man auf lange Sicht auf Rendite verzichten, wenn man ethisch korrekt anlegt?
Ulrich Thielemann: Letztlich ja. Denn der langfristig höchstmögliche Gewinn widerspricht verantwortbaren Formen der Unternehmensführung. Und warum sollte man sich eigentlich nicht mit einer Rendite von, sagen wir mal, zwölf Prozent begnügen können, wenn dies ethisch verantwortlichem Handeln entspricht, anstatt 15 Prozent anzupeilen, die theoretisch möglich wären? Diese 15 Prozent unter allen Umständen zu wollen, wäre maßlos. Grundsätzlich verdammt die Ethik nicht das Gewinnstreben und den Eigennutz. Sie stuft beides aber zurück und macht es zu relativen Rechten anstatt zu absoluten. Deshalb können Sie von mir als Wirtschaftsethiker auch keine andere Antwort erwarten. Gewinn und Eigeninteresse können nie die letzte Maßgabe des Handelns bilden, zumindest dann nicht, wenn dieses als verantwortbar gelten können soll. Warum auch sollte man, wenn man gute Gewinne erzielen möchte, alles daran setzen müssen, dass die Gewinne so hoch wie möglich sind?
Das Interview führte Martin Reim. Er ist Redakteur in der Wirtschaftsredaktion der "Süddeutschen Zeitung", München.