Das Parlament: Sie haben eine Modernisierung des Lagermuseums, eine "Auffrischung" der Hauptausstellung, angekündigt. Warum ist das notwendig?
Piotr Cywiński: Es geht nicht um die Modernisierung des Museums, sondern um die Erneuerung der Hauptausstellung, die 1955 entstand und somit wohl die weltweit älteste Exposition zu diesem Thema ist. Sie muss unbedingt erneuert werden, weil sie in der Form überholt ist und aus einer Zeit stammt, in der über den Zweiten Weltkrieg völlig anders gesprochen wurde - ihre Adressaten waren vor allem Menschen, die den Zweiten Weltkrieg noch sehr gut in Erinnerung hatten. Heute haben wir mit neuen Generationen zu tun, mit jungen Menschen, deren Eltern sich nicht an die Kriegszeit erinnern. Also müssen nun etwas andere Ausdrucksformen gefunden werden. Der Wunsch, die Ausstellung umzugestalten, steht im Übrigen schon seit Jahren im Raum.
Das Parlament: Wer hat ihn geäußert?
Piotr Cywiński: Ehemalige Häftlinge, aber auch Lehrer und Museumsmitarbeiter.
Das Parlament Wie erklären Sie sich dann die Proteste gerade der ehemaligen Häftlinge, die im vergangenen Jahr durch die polnische Presse gingen? Die Zeitzeugen bangen demnach um die Authentizität dieses Ortes...
Piotr Cywiński: Es handelte sich um einen Journalisten der Zeitung "Haaretz", von dem sich Yad Vashem und die israelische Botschaft in Polen schnell distanzierten. Ich habe mit einigen der zitierten Personen gesprochen und sie haben mir gesagt, dass sie nicht korrekt wiedergegeben wurden.
Das Parlament Wie sieht das neue Konzept nun konkret aus?
Piotr Cywiński: Noch liegt das Konzept nicht vor, es ist aber in Arbeit. Viele Gespräche sind notwendig. Und sie finden schon statt. So war ich im September in Yad Vashem, im Dezember im Holocaust Memorial Museum in Washington; noch im Dezember stellte ich die ersten Ideen dem Internationalen Auschwitz-Rat vor, der den Beginn der Arbeiten an den Veränderungen einstimmig billigte. Zurzeit wird über bestimmte grundsätzliche Fragen diskutiert: In welche Richtung sollte die neue Ausstellung gehen, was sollte sie zeigen, auf welche Weise sollte sie das Besagte zeigen. Über diese Fragen werden noch Gespräche mit Fachleuten aus der ganzen Welt sowie im Kreise des Internationalen Auschwitz-Rates geführt werden. Und erst danach kann mit den Details für das Szenario der neuen Ausstellung begonnen werden.
Das Parlament: Wann soll sie starten? Vielleicht etappenweise?
Piotr Cywiński: Auf jeden Fall etappenweise. Ich denke, dass mit der Planung des detaillierten Szenarios im Herbst dieses Jahres begonnen werden kann, und bis Juli möchten wir die Phase der Meta-Fragen, der ganz grundsätzlichen Aspekte, abschließen. Man muss wissen, dass diese Ausstellung auch wegen architekturbezogener Schwierigkeiten verändert wird. Heute befindet sich die Hauptausstellung in den Baracken 4, 5, 6, 7 und 11 von Auschwitz I - im Erdgeschoss und im Obergeschoss. Allerdings sind wir bei der hohen Besucherzahl - in den vergangenen zwei Jahren betrug sie eine Million pro Jahr - gezwungen, die Hauptausstellung in den Obergeschossen relativ bald zu schließen, da sie noch von den Häftlingen selbst gebaut worden waren und für eine so hohe Besucherzahl nicht geeignet sind. Als die Besucherzahl noch viel kleiner war, war es kein Problem. Also wird die neue Ausstellung mehr Baracken einbeziehen, allerdings nur in den Erdgeschossen.
Das Parlament Was ist für Sie bei dieser Modernisierung am wichtigsten?
Piotr Cywiński: Für mich sind die Fragen der Verantwortung und der grundsätzlichen menschlichen Entscheidungen am wichtigsten. Es ist für mich paradox, dass jedes Jahr Millionen Menschen die verschiedenen ehemaligen deutschen Konzentrationslager besuchen, doch wenn es irgendwo auf der Welt zu einem extremen antisemitischen Vorfall kommt oder sogar zum Völkermord, der nicht unbedingt mit dem Antisemitismus zusammenhängt, dann sind diese Millionen überhaupt nicht zu hören. Genau das ist eine der schwierigsten Fragen, die gut überlegt sein sollen, bevor eine konkrete Methodologie für die neue Ausstellung angenommen wird.
Das Parlament: Es heißt, Sie wollen die Jugendlichen anziehen…
Piotr Cywiński: …es geht nicht so sehr darum, dass ich die Jugendlichen anziehen möchte, aber sie bilden die größte Besuchergruppe hier, deshalb sollten wir uns in einer etwas anderen Sprache an sie wenden…
Das Parlament ... und wie, in einer Welt, in der oberflächliche Unterhaltung dominiert?
Piotr Cywiński Die meisten Ausstellungen zu diesem Thema und das gesamte Ausstellungswesen entwickeln sich weltweit in Richtung Überraschung, Multimedia und Außergewöhnlichkeit. Für mich ist es ganz klar, dass wir nicht diesen Weg wählen sollten, denn wir befinden uns hier am authentischen Ort des Mordes. Hier gibt es keinen Platz für irgendwelche Tricks, Feuerwerke oder überraschende Methoden. Hier sollten vor allem die Bescheidenheit dieses Ortes und seine Tragik zu uns sprechen.
Das Parlament: Kehren wir zur Hauptausstellung zurück. Geht es bei ihrer Modernisierung auch um die in den polnischen Medien erwähnten Überbleibsel des kommunistischen Konzepts, wonach Opfer von Auschwitz vor allem das polnische Volk war, was wiederum Proteste von jüdischer Seite hervorrief…
Piotr Cywiński: Nein, das sind Thesen, die sich immer wieder zeigen. Vielleicht war das so in den 60er- oder 70er-Jahren. Heute gibt es das ganz bestimmt nicht. Hier geht es um eine Ausstellung, die sich auf den Holocaust konzentriert, sich aber auch mit anderen Bereichen von Auschwitz befasst. So wie der Holocaust sich nicht nur auf Auschwitz reduzieren lässt, so ist Auschwitz ein über den Holocaust hinausgehender Begriff mit einer sehr komplizierten Geschichte. Doch die eigentliche Ausstellung ist - wie erwähnt - überholt, nicht wegen des Inhalts, sondern eher wegen der Formen der Darstellung und der Didaktik. Und sie ist überholt im Lichte einiger wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. So gibt es Themen, die vor 50 Jahren nicht so stark betont waren.
Das Parlament: Zum Beispiel?
Piotr Cywiński: Zum Beispiel die Geschichte des Sonderkommandos und der Aufruhr im Sonderkommando. Diese Menschen wurden noch vor 20 Jahren weltweit besonders heftig verurteilt, weil sie an den Vernichtungsaktionen mitgewirkt hätten. Erst die Forschungen in den 80er-, vor allem aber in den 90er-Jahren veränderten das Bild dieser Unglücklichen.
Das Parlament: Seit einiger Zeit ist von einer Änderung der offiziellen Bezeichnung des Lagers die Rede, um Verfälschungen zu vermeiden. Die Polen fühlen sich durch Presseinformationen über "ehemalige polnische Vernichtungslager" tief verletzt. Inwieweit finden Sie dies wichtig und wann soll die neue Bezeichnung angenommen werden?
Piotr Cywiński: Wir reden hier von der Bezeichnung, die in die UNESCO-Liste eingetragen werden soll. Die polnische Regierung hat einen neuen Namen vorgeschlagen, allerdings nicht nur ausschließlich deshalb, weil Formulierungen über "polnische Lager" auftauchen, sondern wohl vor allem deswegen, weil einige Zeitungen zunächst so etwas Beleidigendes schreiben und anschließend eine Richtigstellung verweigern. In solchen Fällen müssen wir also vom bösen Willen ausgehen. Das ist sehr traurig. Soweit ich mich erinnere, hat die polnische Regierung diese Bitte im vergangenen Winter oder Frühjahr geäußert. Sie ist im Juli bei der UNESCO-Konferenz in Wilna angenommen worden, also müsste die UNESCO noch in diesem Jahr abschließend über diesen Vorschlag diskutieren. Ich denke nicht, dass es noch irgendwelche begründeten Bedenken geben dürfte, denn die vorgeschlagene Bezeichnung entspricht vollkommen den geschichtlichen Tatsachen.
Das Parlament: Wie lautet sie genau?
Piotr Cywiński: Ehemaliges deutsches nationalsozialistisches Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Das Parlament: Viele Emotionen hat das Projekt eines Hügels der Erinnerung und Versöhnung in Auschwitz hervorgerufen. Die Entscheidung des Stadtpräsidenten von Oswiecim, den Bundestag, und somit natürlich auch die Abgeordnete Erika Steinbach, in das Ehrenkomitee dieses Denkmals einzuladen, hat Empörung in Polen hervorgerufen. So zitierte die Presse etwa den Vizeminister Pawel Kowal. Auch Sie zeigten sich empört darüber. Wie ist Ihre Meinung heute dazu?
Piotr Cywiński: Ich habe sie nicht geändert. Wenn es ein Ehrendenkmal für die ehemaligen Häftlinge und Opfer sein soll, das gleichzeitig die Zukunft unserer Völker in Europa auf gesunden Grundsätzen bauen soll, dann fällt es mir schwer, eine Person im Ehrenkomitee zu akzeptieren, die die Oder-Neiße-Grenze konsequent in Frage stellte, eine Person, die für die Entwicklung von Visionen der Geschichte verantwortlich ist, die den Holocaust de facto relativieren. Behauptungen, in denen die Tragödie der Vertriebenen mit anderen Tragödien aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges gleichgestellt wird, stellen eine Relativierung des Holocausts dar. Ich denke, dass Versöhnung und Frieden auf völlig anderen Grundlagen aufgebaut werden sollten, und zwar vor allem auf der Wahrheit - egal wie schmerzhaft sie auch wäre. Es gibt große Beispiele von großartigen Deutschen und großartigen Polen, die den Grundstein für außerordentliche Veränderungen der Hetero-Stereotype zwischen unseren Völkern, für große Werke der Versöhnung legten. Ich denke, wir haben nun wirklich andere Vorbilder als Erika Steinbach.
Das Parlament: Sie haben in einem recht jungen Alter diese so verantwortungs- und ehrenvolle Position des Museumsdirektors von Auschwitz-Birkenau übernommen...
Piotr Cywiński: Ich betrachte dies nicht als eine Ehre, sondern eher als eine gewisse Mission, denn hier bin ich sozusagen der Wächter des Gewissens der gesamten Welt. Und das ist eine schwierige Herausforderung, eine mit großem Engagement verbundene und sehr moralische Herausforderung. Ich hoffe, dass sich die Zeit meiner Tätigkeit hier positiv auf diesen Ort auswirkt und damit auch auf das Bewusstsein der Welt über die Geschichte der Vernichtung von Juden und anderen Opfern der Konzentrationslager.
Das Interview führte Bernadette Schweda
Informationen über Gedenkstätte und Museum
Auschwitz-Birkenau im Internet: http://www.auschwitz.org.pl